Demonstration Wie "Querdenker" mit Freiheit umgehen
"Querdenker" haben in Magdeburg demonstriert. Doch wie homogen tickt diese Bewegung, der auch Antisemitismus vorgeworfen wird?
Magdeburg l „Wir sind die 2. Welle“ steht auf einem Plakat. Ein paar schwarze T-Shirts ziert derselbe Gedanke. Dazwischen halten Menschen Sprüche auf Schildern hoch. Sie sollen mahnen: „Wer in einer Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf“ oder fordern ganz klar: „Hände weg vom Grundgesetz“. Weiter hinten schwenken Teilnehmer schweigsam drei schwarz-weiß-rote Fahnen – die Flagge des Kaiserreichs von 1871. „Nicht verboten“, so das Urteil der Polizei.
Bis zu 300 Demonstranten sind schätzungsweise am Sonnabend der „Querdenken-391“-Bewegung auf den Alten Markt in Magdeburg gefolgt. Laut Polizei seien es etwa 250 bis 260. Auf circa 600 bis 650 schätzt es dagegen das Organisationsteam. Angemeldet war die Kundgebung für bis zu 800 Teilnehmer.
Aus ganz Mitteldeutschland seien sie angereist, um bei brütender Hitze für ein „Recht auf Leben“ – so das Motto der Kundgebung – zu demonstrieren. Demo-Touristen sind bei den „Querdenkern“ nicht ungewöhnlich. Auch bei der Kundgebung in Berlin am 1. August waren extra zahlreiche Teilnehmer aus anderen Bundesländern angereist.
Doch was bedeutet dieses Recht auf Leben für jeden Einzelnen? Was ist (Meinungs)Freiheit? Und wie stark nehmen Rechtsextreme Einfluss auf die Bewegung? Ein kleiner Blick auf Redner und Teilnehmer:
Da tritt zum Beispiel Sabrina ans Mikrofon, Nachname unbekannt. Mutter sei sie, studierte Wirtschaftsinformatikerin und als Homöopathin wisse sie: „Ein Virus reicht nicht aus, um krank zu werden.“ Sie fordert, mehr alternative Medizin zuzulassen, Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine – und ja, man brauche auch die Schulmedizin. Applaus. Und dann: „Ich brauche ganz viel Sauerstoff. (...) Deshalb kann ich überhaupt keine Maske tragen und ich werde es auch nicht tun.“ Noch mehr Beifall.
Die Corona-Regeln und damit die Entscheidungen der Regierung seien es, die vielen Demonstranten besonders aufstießen. So auch Eckart Spindler aus Halle. „Die Maßnahmen gehen einfach zu weit“, sagt er in einem Gespräch mit der Volksstimme. Der Lockdown habe massenweise Existenzen bedroht, die Maskenpflicht sei überzogen und ein Nutzen nicht bewiesen.
Dass sich unter die Organisatoren dieser Kundgebung auch Personen mischen, die der rechtsextremen beziehungsweise Reichsbürger-Szene zugeordnet werden, davon wisse er nichts. Und davon wolle er sich auch ausdrücklich distanzieren. Man setze eher auf einen offenen Dialog. Spindler: „Wir schließen niemanden aus, der sich an die Regeln hält, der friedlich ist und niemanden diskriminiert und nichts Verfassungsfeindliches sagt.“
So denkt auch Dietlind Herzog. Die Krankenschwester aus Bernburg fordert unter anderem, Massentests einzustellen und nur die Erkrankten zu behandeln. An ihrer Jacke trägt sie einen Anstecker. „Oma gegen rechts“ steht darauf. Warum sie das tue? „Weil ich nicht in die rechte Ecke gestellt werden möchte von den Medien.“
Doch erheben an diesem Tag wirklich nur Gegner der Corona-Maßnahmen und Regierungskritiker ihre Stimme? Machen sie sich damit wirklich nur stark für Meinungsfreiheit? Nein. Ans Mikrofon treten auch Redner, die die Bundesrepublik gar nicht erst als Rechtsstaat anerkennen.
Das Bündnis Solidarisches Magdeburg warnt vor einer Unterwanderung der „Querdenker“-Bewegung durch die rechte Szene. Auf einer Gegenkundgebung, auf der die Polizei gerade einmal 15 Teilnehmer zählt, erklärt Franka Kretschmer vom Bündnis: „Es besteht die Gefahr, dass diese Bewegung die Unsicherheit der Menschen ausnutzt, um bei ihnen ihre rechten Ideologien zu platzieren.“ Und: Andere durch das Weglassen der Maske zu gefährden, sei eben keine Freiheit.
Auch Verfassungsschützer warnen laut Nachrichtenagentur dpa, dass sich Extremisten unter die Demos der „Querdenker“ mischen. Wenngleich die Mehrzahl der Personen noch ohne jeglichen extremistischen Hintergrund sei. Zur Erinnerung: Das Motto der Demo in Berlin mit Tausenden Anhängern war „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“. Den Titel „Tag der Freiheit“ trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935.
Dass die gepriesene Meinungsfreiheit und die Freiheit des Einzelnen wohl doch nicht für alle gelten darf, beweisen vereinzelt Demonstranten auf dem Alten Markt. Lügenpresse schallt es plötzlich über den Platz, als die Kritik am russischen Impfstoff zur Sprache kommt. Zudem werden einige Gespräche der Volksstimme mit Demonstranten durch vehemente Zwischenrufe gestört. Man solle sich auf keinen Fall mit der Presse unterhalten, heißt es. Die Freiheit, sich für ein Gespräch mit Vertretern der Presse zu entscheiden, scheint nicht jedem zu gefallen.
Für Überraschung sorgt derweil das Glockenspiel am Alten Rathaus. Normalerweise erklingt hier sonnabends pünktlich 17 Uhr „Die Gedanken sind frei“. Das wissen aus Erfahrung auch die „Querdenker“. Sie treffen sich bereits seit einigen Wochen – zwar in deutlich kleinerem Kreis – zu dieser Zeit an dieser Stelle. Sie freuen sich auf das Lied. Gerade wollen sie zum Mitsingen anstimmen, als unvermutet die Europa-Hymne „Ode an die Freude“ erklingt.