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Andrea Krause (41) ist eine von Tausenden engagierten Fluthelfern "Wir standen zehn Stunden in kaltem Wasser"

Von Karolin Aertel 11.12.2013, 11:25

Zum 22. Mal lässt die Volksstimme ihre Leser über die Magdeburger des Jahres abstimmen. In einer Serie stellen wir alle Kandidaten vor. Heute: Andrea Krause. Die 41-Jährige steht für Tausende engagierte Helfer, die im Juni dieses Jahres gegen die Flut kämpften.

Magdeburg l Die Lage hatte sich binnen weniger Tage dramatisch zugespitzt. Die Elbe stieg unaufhörlich. Deiche waren durchgeweicht, ganze Straßenzüge standen unter Wasser, die Kräfte vieler Helfer waren am Ende. Eine ganze Stadt zitterte vor den Wassermassen, die sich im Juni dieses Jahres ihren Weg durch die Landeshauptstadt bahnten. Auch Andrea Krause war nervös. Die 41-Jährige hatte ihr Geschäft in der Ottenbergstraße vorsichtshalber geräumt. Die Nähe zum bereits überschwemmten Hafengebiet gab Anlass dazu. Zunächst konnte die Mutter von drei Kindern wenig helfen. Der Jüngste ist gerade erst drei Jahre alt und verlangt ihre volle Aufmerksamkeit.

Doch ihr fiel es zunehmend schwer, sich zu konzentrieren: "Ich habe jede noch so kleine Information zur Lage in Magdeburg aufgesaugt", erinnert sie sich. Sie selbst sei zu diesem Zeitpunkt noch in Hermsdorf gewesen. Dann hielt sie es nicht mehr aus. "Ich konnte nicht zu Hause sitzen, während Menschen gegen die Flut kämpfen und um ihr Hab und Gut bangen." So schnappte sie sich ihre Freundinnen Christine Lorenz und Janine Binde, um den Magdeburgern zu Hilfe zu eilen. Es war am Abend des 8. Juni. Sie verabredeten sich mit ihrer ältesten Tochter Lisa (20), die in Magdeburg lebt. Die Sandsackfüllstation am Krökentor sei ihre erste Anlaufstelle gewesen. "Es war unglaublich. Die Menschenmassen dort glichen einem Ameisenhaufen. Es gab keinen Platz für uns." Und so seien sie weggeschickt worden, zur nächsten Station in der Listemannstraße. Doch dort bot sich ein ähnliches Bild. "Irgendjemand sagte, dass ein paar zivile Helfer in der Zollstraße Hilfe gebrauchen könnten und da sind wir dann hin."

Zwei Gruppen junger Leute hatten bereits zu diesem Zeitpunkt unaufhörlich Sandsäcke gestapelt. Wir haben uns einfach eingereiht und mitgemacht. Sack für Sack, Stunde um Stunde. "Das Schlimme war, dass wir knietief im Wasser standen - und das etwa zehn Stunden lang." Ihre Füße habe sie nicht mehr gespürt, ebenso wenig wie ihre Arme. Die Säcke seien immer schwerer geworden, doch ans Aufhören war nicht zu denken. "Ich muss trotz aller Tragik, die der Situation zugrunde lag, sagen, dass es irgendwie auch Spaß gemacht hat. Wir haben versucht, uns die ganze Nacht lang zu motivieren. Wir haben Lieder gesungen, haben Späßchen gemacht und viele tolle Menschen kennengelernt, die alle Schweiß und Blut ließen, um zu helfen." Es müssten daher die ganze Stadt und die vielen Helfer von außerhalb zum Magdeburger des Jahres nominiert werden, ist sie überzeugt.

"Die konnten gar nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben, den Damm in der Zollstraße zu halten"

Besonders angetan war Andrea Krause von der Gemeinschaft der Helfer in der Zollstraße, die in Eigenregie den Deich Sack für Sack erhöht haben. "Wir hatten das Gefühl, dass die Stadt den Werder schon aufgegeben hatte. Es waren irgendwann keine Einsatzkräfte oder Hilfsorganisationen mehr vor Ort. Und obwohl der Deich schon gefühlte zwei Meter hoch und dick war, sickerte das Wasser überall durch. Und was nicht durch den Deich kam, sprudelte eben aus den Gullys."

Doch sie hielten durch. Und dank der unzähligen Helfer an Sandsackfüllstationen und der Fahrer, welche die Säcke füllten und transportierten, wurden sie die ganze Nacht mit Material versorgt. "Nicht zu vergessen die Leute, die uns Brötchen und Kaffee brachten. Ihnen gebührt mindestens ebenso viel Dank." Nur durch das großartige Zusammenspiel aller konnten sie durchhalten. Bis morgens gegen 7 Uhr Helfer vom THW mit riesigen Pumpen anrückten und die Zivilisten ins Bett schickten. "Die konnten gar nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben, den Damm in der Zollstraße zu halten", erinnert sie sich. Es sei ein tolles Gefühl gewesen, das für einen Moment die Schmerzen und klitschnassen, eiskalten Füße vergessen ließ. Sie sei dann erst mal nach Hause gefahren. Dort wartete schließlich ihr dreijähriger Johannes und die siebenjährige Pauline.

Doch Ausruhen kam nicht infrage. Sie ließ alle ihre Kontakte spielen und organisierte anschließend Spenden und Hilfsgüter. Beim Bäcker nebenan habe sie Brötchen bekommen, beim Fleischer Met, im Waschmittelwerk in ihrem Geburtsort Genthin organisierte sie Shampoo und Duschbad, in ihrem Geschäft sammelte sie Geldspenden, von einem Bekannten bekam sie Konserven und Reis und sogar mit den Fans der Braunschweiger Fußballmannschaft tat sie sich zusammen, um Geld zu sammeln. Dabei ging ihr Engagement deutlich über die Stadtgrenzen Magdeburgs hinaus. So habe sie Spenden auch nach Breitenhagen und Fischbeck gebracht.

"Wir haben einen ganzen Abend über diese besondere Nacht gesprochen. Und über das Gefühl, das ein ganzes Land in Besitz genommen hat - das Gefühl der Verbundenheit."

Einige Helfer, die in der kritischen Nacht vom 8. zum 9. Juni auf dem Werder angepackt haben, hat Andrea Krause später via Internet ausfindig gemacht und ein Treffen in der Zollstraße organisiert. "Es war schön, viele noch einmal wiederzusehen. Wir haben einen ganzen Abend über diese eine, diese besondere Nacht gesprochen. Und über dieses Gefühl, das ein ganzes Land in Besitz genommen hat - das Gefühl der Verbundenheit."


Alle Kandidatenporträts auch unter www.volksstimme.de/magdeburgerdesjahres.
Hier geht es direkt zur Abstimmung.