Zirkus Tauziehen um Schimpanse Robby geht weiter
Robby ist Deutschlands letzter Zirkusschimpanse. Aktuell gastiert er mit dem Circus Belly wieder in Magdeburg.
Magdeburg l Freundlich streckt Robby seine Hand durch die Gitterstäbe, greift nach der Hand der Volksstimme-Redakteurin und drückt ihr einen Handkuss auf. Was für eine Begrüßung! Der Schimpanse wirkt zutraulich, entspannt und neugierig.
Nach dem obligatorischen Foto mit Zirkusdirektor Klaus Köhler möchte der Schimpanse auch selbst einmal den Auslöser betätigen. So niedlich das ist, hat Robby dennoch traurige Berühmtheit erlangt. Er ist Deutschlands letzter Zirkusschimpanse.
Um den Schimpansen gibt es seit Jahren einen Streit vor Gericht. Die große Frage: Soll Robby die Zirkusfamilie um Klaus Köhler verlassen und in eine Auffangstation für Schimpansen in Holland gebracht werden oder nicht?
Das Verwaltungsgericht in Lüneburg hat 27. April 2017 entschieden, dass der Schimpanse in einer Tierauffangstation resozialisiert werden und seinen Lebensabend mit seinen Artgenossen verbringen soll. Dagegen legte Köhler über seinen Anwalt Widerspruch ein, bezieht sich unter anderem auch auf eine Stellungnahme von Magdeburgs Zoodirektor Kai Perret, der sich mit Schimpansen gut auskennt.
Robby wurde in einem Zoo geboren und kam im Alter von etwa vier Jahren in den „Circus Belly“. Zirkusdirektor Klaus Köhler hat sechs leibliche Kinder – und Robby sei sein siebentes, sagt er.
Und so wuchs Robby auch in der Familie auf. In jungen Jahren saß er mit der Familie am Frühstückstisch. Noch heute spielen er und seine Ziehgeschwister zusammen Tauziehen. Er frisst vor allem Obst und Gemüse, aber auch seine tägliche Portion Milch sei wichtig, berichtet Klaus Köhler. Denn Schimpansen bräuchten auch tierische Eiweiße.
Mehrere Stunden am Tag beschäftigt sich die Familie mit dem Schimpansen – auch wenn er nur noch selten in der Manege steht. Gezwungen werde er zu Auftritten nicht. Denn wie Klaus Köhler sagt, sei Robby mit 47 Jahren ein alter Mann. Wenn er keine Lust hat, braucht er nicht in die Manege zu gehen. Klaus Köhler: „Das gibt er mir dann auch vorher schon zu verstehen.“
Der Schimpanse wiegt aktuell 75 Kilogramm. Am liebsten frisst er Bananen. „Oder wenn ich mal Datteln oder Feigen mitbringe, genießt er die auch. Er ist wirklich ein Gourmet“, sagt Klaus Köhler. Das Wesen seines Schimpansen beschreibt Köhler als ausgeglichen.
In der Blüte seines Lebens allerdings setzte bei ihm der Beschützerinstinkt ein. Wenn der Schimpanse seine Ziehfamilie in Gefahr sah, mischte er sich ein. „Das ist wie bei Hunden. Wenn deren Herrchen oder Frauchen bedroht wird, setzt auch bei ihnen der Beschützerinstinkt ein“, sagt Köhler. Köhler ist überzeugt: Seine Familie ist Robbys Familie.
Die Tierschutzorganisation „Peta“ setzt sich seit Jahren für die Befreiung des Schimpansen ein. 2011 hatte sie die Kampagne für die Befreiung von Robby gestartet, nachdem sie sich mit einer Auffangstation für Schimpansen in Holland in Verbindung gesetzt hatte, die eingeschätzt habe, dass der Schimpanse in einer Auffangstation besser aufgehoben wäre.
Die Tierschutzorganisation sieht die Haltung des Schimpansen als Tierquälerei an. Innen- und Außengehege seien viel zu klein, es gebe keine vernünftigen Kletterstrukturen, der Schimpanse werde eingesperrt und in der Manege unwürdig vorgeführt, sei lediglich zum Geldverdienen gedacht, sagt Peter Höffken, der bei Peta für Zirkus und Zootiere zuständig sei. Der Zirkusdirektor sage zwar stets, dass der Schimpanse zur Familie gehöre, „aber so geht man mit keinem Familienmitglied um“, findet Höffken. Vor der Peta-Kampagne wären die Bedingungen sogar noch schlechter gewesen.
Gutachten, die im Verlauf des Gerichtsverfahrens erstellt wurden, hätten ergeben, dass der Schimpanse verhaltensgestört sei. Ob die Mitarbeiter der Auffangstation Robby schon einmal gesehen hätten, wisse er nicht, sagt Höffken. Allerdings würde der Schimpanse noch beobachtet, wenn feststeht, dass er in die Auffangstation soll. „Aber vielleicht entscheiden sie dann ganz anders.“ Bislang wäre dort noch kein Schimpanse eingeschläfert worden, weil er sich nicht in eine Gruppe integrieren ließ. Aus seiner Sicht male der Zirkusdirektor mit Absicht dieses „Horrorszenario".
Einen Zeitpunkt, ab dem die Eingliederung in eine Schimpansengruppe nicht mehr möglich wäre, nennt er nicht. Aktuell wären die Experten der Ansicht, dass Robby in der Auffangstation besser aufgehoben wäre.
Aber natürlich sei ihm bewusst, dass die Resozialisierung umso schwieriger werde, je älter der Schimpanse sei. Höffken: „Deshalb hoffen wir, dass der Zirkusdirektor die Berufung zurückzieht und den Schimpansen freigibt.“ Gutachter hätten das Alter des Schimpansen auf 40 Jahre geschätzt.
Zirkusdirektor Klaus Köhler hingegen sieht in dem Urteil des Gerichts Robbys Todesurteil. „Wenn ich dagegen keinen Widerspruch einlegen würde, wäre ich ein schlechter Mensch“, sagt er. Denn Robby lebt seit Jahrzehnten in der Zirkusfamilie. An Artgenossen seiner Art sei er nicht gewöhnt, habe ihre Mimik und Gestik nie erlernt.
Köhler befürchtet, dass Robby in einer neuen Gruppe nicht zurechtkommen würde. Stattdessen würde er vereinsamen und daran sterben, glaubt Köhler. Klaus Köhler: „Wir sind seine Familie.“ Um seinen Ziehsohn nicht aus der gewohnten Umgebung herausreißen zu lassen, will er notfalls bis zum Obersten Gerichtshof in Karlsruhe gehen. Und auch andere Experten holt sich der Zirkusdirektor ins Haus.
Angefeindet werde er zwar von Tierschutzorganisationen. Aber jeder, dem er seine Geschichte erzählt habe, wäre mit ihm einig gewesen, dass der Schimpanse in seinem gewohnten Umfeld bleiben sollte.
Bei Zoochef Kai Perret, der sich mit Schimpansen gut auskennt, hat sich Klaus Köhler Hilfe geholt. Auf Bitten des Anwalts von Klaus Köhler besuchte Perret den Zirkus in Bernburg, wo er vor dem Gastspiel in Magdeburg zu erleben war. Auf Nachfrage erklärte Perret am Mittwoch: „Ich habe mir Gutachten und Urteil angesehen. Meiner Meinung nach ist das, was das Gericht da gemacht hat, nicht ganz vollständig.“
Die Frage sei, leidet das Tier in seiner jetzigen Situation? Nachdem er den Schimpansen beobachtet hat, lautet Perrets Antwort auf diese Frage, dass er zumindest keine Anzeichen dafür beobachtet habe. Robby zeige weder depressives Verhalten, noch neige er zu Übersprungshandlungen. „Der Schimpanse ist tiefenentspannt“, sagt Perret.
Dass sich der Schimpanse wohlfühlt in seiner Umgebung, möchte Perret nicht sagen, „aber er wirkt zufrieden, auch wenn er sich in einer für Schimpansen untypischen Umgebung befindet“. Für Perret ist unstrittig, dass Wildtiere nicht in einen Zirkus gehören. In diesem speziellen Fall aber bleibe die große Frage offen, wie sich Robby in einer völlig neuen Umgebung und mit seinen Artgenossen, mit denen er seit 40 Jahren keinen Kontakt hatte, zurechtfinden würde. Kai Perret: „Ich wage zu bezweifeln, dass das gelingt.“
Zudem wirke der Schimpanse zwar äußerlich körperlich gesund, aber niemand wisse um seinen wirklichen Gesundheitszustand und ob er fit genug wäre, sich in einer Schimpansengruppe einzugliedern.
Aus eigener Erfahrung im Magdeburger Zoo weiß er, wie schwierig die Eingliederung von Schimpansen sein kann. „Das kann blutig und im schlimmsten Fall auch tödlich enden“, sagt Perret.
Der Magdeburger Zoodirektor kritisiert außerdem, dass die vermeintliche Befreiung um jeden Preis geschehe – selbst um den Preis des Lebens des Schimpansen. Denn sollte er sich in der neuen Gruppe nicht einfügen können, würde er getötet werden. „Und das verstehe ich nicht“, sagt Perret, der empfiehlt, dass der Widerspruch Köhlers gegen das Gerichtsurteil zugelassen wird.
Tierschutzorganisationen seien zum Teil sehr dogmatisch. Seiner Ansicht nach gehe es hier vor allem um den Erfolg, den letzten Zirkusschimpansen Deutschlands befreit zu haben, danach aber wäre der Schimpanse für sie abgehakt.
Neben dem Schimpansen leben weitere Tiere im Circus Belly. Vom heutigen 6. Juli 2017 bis zum 16. Juli erleben die Besucher der Vorstellungen Kamele, Lamas, Pferde und Hunde. Aber auch klassische Clownerie, Akrobatik und Artistik und vieles mehr. Premiere ist am heutigen Donnerstag um 19 Uhr im Zirkuszelt an der Ottersleber Chaussee, gegenüber der Esso-Tankstelle. Vorstellungen folgen dann donnerstags und freitags um 19 Uhr, sonnabends um 11 und um 19 Uhr sowie sonntags um 11 Uhr.
Der Kampf um den Schimpansen wird weitergehen. Ausgang offen ...