Heimatgeschichte Als Hötensleben eine kulturell wertvolle Nische bot
In den 1960er Jahren entwickelte sich im Hötensleber Dorfklub das Kunstkabinett. Der damalige POS-Lehrer Jörg-Heiko Bruns setzte auf Literatur, Musik und bildende Kunst.

Hötensleben. - Der am 1. September 1959 in Hötensleben gegründete Dorfklub entstand auf der Grundlage eines von der Gemeindeverwaltung beschlossenen Statuts. Er entwickelte sich nach und nach zum Zentrum der Koordinie- rung der Kulturarbeit im Dorf. Zu den bereits 1963 bestehenden zwölf Arbeits- und Interessengemeinschaften, Zirkeln und Grup-pen, gesellte sich im Januar 1964 ein Kunstkabinett.
Die Idee zur Schaffung dieser Einrichtung stammte von Jörg-Heiko Bruns, seit 1960 Lehrer an der örtlichen POS. In seinem 1962 beendeten Zusatzstudium als Musikerzieher am Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee hatte er sich auch ein solides Wissen über die bildende Kunst angeeignet. Hinzu kam, dass der Dozent und Kunstwissenschaftler Lothar Lang 1961 am Institut ein Kunstkabinett gegründet hatte und somit Theorie und Praxis zusammenbrachte.

Für Bruns, einem begeisterten Lang-Schüler, wurde es zu einem Leitobjekt. Zurück in Hötensleben begann er mit der Umsetzung seines Vorhabens. Ein Kunstkabinett in einem Dorf einzurichten, das war neu, das gab es bis dahin noch nicht. Der Dorfklub unterstützte ihn, denn er sah darin, dem Bitterfelder Weg folgend, Möglichkeiten, Bürger des Ortes an die bildenden Künste, Musik und Literatur heranzuführen und mit Kunstschaffenden ins Gespräch zu kommen.
In seinen Kollegen Werner Köhler, Rüdiger Biallas und Hannelore Meyer fand Bruns bereitwillige Unterstützer und Mitarbeiter. Sie waren davon überzeugt, dass das Heranführen an die Kunstbetrachtung die Grundlage für ein tieferes Hineindenken in die künstlerische Problematik sein kann. Dazu könnten gelungene Ausstellungen und interessante Diskussionen mit den Schaffenden einen wesentlichen Beitrag leisten. Am 14. März 1964 hatte die erste Ausstellung im „Roten Salon“ des Kulturhauses „Martin-Andersen-Nexö“ Premiere. Mit einem musikalisch-literarischen Intermezzo wurde sie mit Arbeiten der Berliner Grafikerin Helena Scigala eröffnet. Die Veranstalter waren mit der Resonanz der Auftaktausstellung rundum zufrieden.
Veranstaltungen im Roten Salon
Schon nach kurzer Zeit wurde das Kabinett mit seinen Ausstellungen bekannt. Für viele Dorfbewohner war es zu einem Bedürfnis, zu einer „kulturellen Nische“ geworden. Zu den Veranstaltungen im „Roten Salon“ kamen 40 bis 50 Bürger, mehr Plätze standen nicht zur Verfügung. Da in dem Raum auch andere Veranstaltungen stattfanden, bekamen deren Besucher auch Kontakt mit den ausgestellten Künstlerarbeiten.
Vertreter der regionalen und überregionalen Presse und des Rundfunks besuchten den Ort, das Kunstkabinett kam weithin ins Gespräch. Liest man heute die Namen der Künstler, die in den zehn Jahren des Bestehens des Kabinetts (50 Ausstellungen) mit ihren Arbeiten und zu Gesprächen nach Hötensleben kamen, stellt man fest, dass ein großer Teil von ihnen auch zur international geschätzten DDR-Kunstelite gehörte. Genannt seien Herbert Sandberg, Herbert Tucholski, Rene Graetz, Bruno Beye, Wilhelm Höpfner, Doris Kahane, Lea und Fritz Grundig, Fritz Cremer, Charlotte E. Pauly und Walter Arnold.
Zu einzelnen Eröffnungen der Kunstausstellungen kamen auch Werktätige, die von ihren Brigaden delegiert worden waren. So kam es, dass man in manchem Brigadetagebuch lobende und anerkennende Einträge von Ausstellenden verzeichnet sind.
Mehr als ein Ausstellungsort
Das Kunstkabinett war aber nicht nur Ausstellungsort für die „Großen“. Es bot auch Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Arbeiten zu bestimmten Themen zu präsentieren und darüber zu diskutieren. Auch das bildnerische Volkskunstschaffen der Kreise Oschersleben, Halberstadt und Wernigerode fand Platz im Kabinett. Auch Werner Köhler (Hötensleber Motive) und seine früheren Schüler Wolfgang Knop und Klaus Marczinowski überzeugten mit ihren Arbeiten. Für die damalige Schülerschaft der POS wurden Kunsterlebnisse fast eine Selbstverständlichkeit .
In der Kulturgeschichte von Hötensleben ist die Zeit der Existenz des Kunstkabinetts mit einem Ausrufezeichen versehen. Es war eine Bereicherung und stand dem Ort gut zu Gesicht. Bruns hatte sich trotz Gegenwindes nicht entmutigen lassen. Jörg-Heiko Bruns (Jahrgang 1940) machte bald sein Hobby zum Beruf. Er bildete sich zum Kunstwissenschaftler, Publizisten und Kurator fort und war in der Kunstszene fest verankert.