Bodewehr Natur oder Wasserkraft
Gegen die geplante Wasserkraftanlage zur Stromerzeugung an der Bode bei Gröningen wächst der Widerstand.
Gröningen l Ein Unternehmen für industriellen Stahl- und Maschinenbau aus dem schwäbischen Günzburg (Bayern) plant bereits seit Oktober 2011 die Errichtung und den Betrieb einer Wasserkraftanlage in Gröningen an der Bode. Bestandteil des Vorhabens ist auch der Abriss des bestehenden Wehres und der Bau eines neuen etwa zehn Meter flussab. Ferner sollen ein Fischabstiegskanal sowie eine Fischaufstiegsanlage entstehen.
Für Geschäftsführer Jörg Steinbrunner ist der Bau einer Wasserkraftanlage an der Bode kein großer Eingriff. „Wir nehmen nur Wasser, welches übrig ist. Somit hat die Natur Vorrang“, sagt Steinbrunner gegenüber der Volksstimme. Geplant ist, dass Wasser mit einer Menge von 400 Litern pro Sekunde über den Mühlengraben fließt sowie mit jeweils 500 Litern pro Sekunde über eine Fischaufstiegs- sowie über eine Fischabstiegsanlage. „Die Restwassermenge aus der Bode soll dann über das Kraftwerk fließen, am Flusslauf oberhalb und unterhalb ändert sich nichts“, erklärt der Geschäftsführer.
Naturschützer und Touristiker sehen dies allerdings völlig anders. „Die aktuellen Vorgänge um die geplante Wasserkraftanlage Gröningen lösen bei uns mittlerweile mehr als Kopfschütteln aus und zeigen mal wieder das ganze Dilemma in Sachsen-Anhalt“, sagt Gerald Pomme von der Interessengemeinschaft (IG) „Bodelachs“. Bereits vor zwei Jahren, 2017, habe sich die Gruppe an den Petitionsausschuss des Landtages gewandt. Mit amtlichen Dokumenten untermauert sei in dem Papier auf „fragwürdige Maßnahmen an der Bode und auf die europäische Rechtssprechung“ hingewiesen worden. Ein Fachanwalt für Umweltrecht habe die Petition vollumfänglich bestätigt und ergänzt. „Eine abschließende Antwort des Petitionsausschusses steht noch immer aus“, berichtet Pomme weiter.
Die Argumente des Naturschützers gleichen sich mit denen der in der Volksstimme am 19. März veröffentlichten Aussagen des Anglervereins Oschersleben (AVO), handeln beide Verbände schließlich teils in Personalunion. So forderten rechtsverbindliche EU-Umweltrichtlinien von den Mitgliedsstaaten über die EU-Wasserrahmenrichtlinie eine Renaturierung ihrer Gewässer. „Eine solche Renaturierung ist mit Wehren und Turbinen natürlich nicht durchzusetzen, da sie schwere ökologische Schäden verursachen und den Zustand unserer Gewässer weiter verschlechtern“, untermauert Pomme seine Forderung nach Beendigung des geplanten Vorhabens. Nicht nur Fotos von durch mutmaßlich durch Turbinen getötete Aale legt er vor, sondern auch von geschredderten Blesshuhnküken sowie Röntgenaufnahmen von teils schwer verletzten Aalen. Ferner warnt der Umweltschützer, dass nicht umgesetzte EU-Richtlinien Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen und hohe Strafzahlungen zur Folge haben könnten, für die der Steuerzahler aufkommen müsse.
Auch die Wasserrahmenrichtlinie des Landes weise die Rekonstruktion von Wehren und den Bau von Wasserkraftanlagen als unrechtens aus. Das Bundesamt für Naturschutz fordere zudem seit Jahren, dass der Neubau entsprechender Anlagen mit einer Leistung von unter einem Megawatt nicht weiter verfolgt werden darf. Die prognostizierte mittlere Energiemenge, die durch die bei Gröningen geplante Anlage erzeugt werden kann, wird mit nur rund 0,62 Megawattstunden pro Jahr angegeben. Und zum Vergleich: Eine moderne Windkraftanlage erzeugt eine vier- bis elffache Menge an Strom.
Das grüngeführte Landesumweltministerium sieht denn auch die Potentiale der Wasserkraft vor dem Hintergrund der Energiewende „aus unterschiedlichen Gründen begrenzt“, wie aus einer Antwort an die Volksstimme hervorgeht. Dennoch wird an der weiteren Prüfung des Vorhabens festgehalten.
So befindet sich das geplante Wasserkraftwerk zwar in einem FFH-Gebiet und sei gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes vor seiner Zulassung auf seine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebietes zu überprüfen. Jedoch könne auf die FFH-Verträglichkeitsprüfung verzichtet werden, „wenn die Vorprüfung den Nachweis erbringt, dass das Vorhaben zu keiner erheblichen Beeinträchtigung führt ...“ So habe die Obere Naturschutzbehörde anhand der vorliegenden Planungsunterlagen geprüft, ob sich das Vorhaben erheblich nachteilig auf das FFH-Gebiet auswirken kann. „Sie hat festgestellt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung ... ,vor allem unter den Bedingungen der Fischaufstiegs- und Abstiegshilfen, nicht abzusehen ist.“
Auch das Landesverwaltungsamt sieht keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen. So würden die künftige Wasserkraftanlage und die damit verbundenen Bautätigkeiten „nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des Schutzgutes Mensch beitragen“.
Im Ergebnis von Untersuchungen sei zudem festgestellt worden, „dass durch die Errichtung und den Betrieb der Wasserkraftanlage keine erheblich nachteiligen Auswirkungen für Tiere“ wie Aal, Bachneunauge, Insekten, Biber, Fischotter, Fledermaus, Gartenrotschwanz, Eisvogel sowie Amphibien „hervorgerufen werden können“. Ferner könne eine Verschlechterung von Lebensräumen nach Naturschutz-Richtlinien der Europäischen Union „aufgrund des Eingriffs in einem durch das vorhandene Wehr stark vorbelasteten Bereich ausgeschlossen werden.“
Doch nicht nur der AVO und die IG „Bodelachs“ sehen die Argumente aus dem Landesverwaltungsamt für das Bauwerk kritisch. „Neue Wasserkraft soll es eigentlich nicht mehr geben“, sagt beispielsweise die Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes (Nabu), Annette Leipelt. Auch sie führt die Wasserrahmenrichtlinie der EU an. Außerdem sagt die Nabu-Chefin: „Querbauten sind nach dem Gewässerentwicklungskonzept des Landes nicht mehr vorgesehen, schon gar kein doppelter Verbau wie bei Gröningen geplant.“ Fischaufstiege seien kein Allheilmittel und die Stromerzeugung so gering, dass die zu erwartenden Eingriffe in keinem Verhältnis stünden.
Auch aus kommunaler Sicht kommt Gegenwind. So steht die Verbandsgemeinde Westliche Börde dem Vorhaben weiterhin kritisch gegenüber. Bürgermeister Fabian Stankewitz (SPD) fordert sogar die Freigängigkeit der Bode. Das komme vor allem dem Wassertourismus zugute. „Die Wertschöpfung aus dem Kanu-Tourismus an der Bode ist für uns als Verbandsgemeinde bedeutend größer“, hebt Stankewitz hervor. So ende die Wertschöpfung aus einer Wasserkraftanlage mit der Fertigstellung dieser. Der Tourismus verspreche dagegen längerfristige Einnahmen für die Kommune durch Steuern.
Hans-Peter Lemgau betreibt den einzigen Campingplatz an der Bode überhaupt und freut sich über die Jahr für Jahr steigenden Zahlen an Wassertouristen. Eigenen Angaben zufolge chartern bei ihm mehrere tausend Flussliebhaber seine Paddelboote, um die Bode auf dem Wasser zu erkunden. Auch er fordert Freigängigkeit für die Bode. „Nicht nur, dass die Kanu-Touristen ihre Boote um die Querbauwerke aufwendig herumtragen müssen. Wehre sind auch kreuzgefährlich“, sagt Lemgau und betont, dass seine Kunden an die Bode kommen, um die Natur zu genießen. Wie die Angler fordert auch der Touristiker den Abriss des alten Bauwerks und den Bau von Sohlgleiten, also unter dem Wasserspiegel quer zur Strömung liegende Pfahlreihen. So könnten die Paddler mit ihren Booten den Fluss hin- abgleiten und weiter Wasser den Mühlengraben entlangfließen, um die Fundamente von Bauwerken in der Nähe zu stabilisieren. Und die Angler sehen in den Sohlgleiten die Vorzugslösung, weil diese von Fischen besser akzeptiert würden als Aufstiegshilfen.
Auch der Bürgermeister von Gröningen, Ernst Brunner (SPD), steht der Wasserkraftanlage kritisch gegenüber. „Ich denke, für dieses Vorhaben führt die Bode zu wenig Wasser“, sagt der Rathauschef. Für ihn sei jedoch wichtig, dass der Mühlgraben auch künftig genügend Wasser führt. Wie vom Landesverwaltungamt gebeten habe die Gemeinde eine Stellungnahme vorbereitet, die am 3. Juni im Gröninger Stadtrat zur Abstimmung kommen soll. In dem Papier wird die Errichtung einer Wasserkraftanlage nicht abgelehnt, jedoch unter anderem der Bau von Kanu-Einsatz- und Umtragestellen sowie die Ertüchtigung der ehemaligen Eisenbahnbrücke zur Fußgängerbrücke gefordert. Der Hauptausschuss hat der entsprechenden Beschlussvorlage bereits zugestimmt.
Den Widerstand der Angler und der IG „Bodelachs“ findet Investor Jörg Steinbrunner indes „weniger erfreulich.“ So seien die Angler von Beginn an mit eingebunden gewesen. „Wir haben die Pläne vorgelegt, aber es war kein Konsens zu erzielen.“ Ein Großteil seiner 20 Mitarbeiter seien in die Planungen involviert und bisher rund 200.000 Euro für Gutachten und Grundstückskauf links des Wehres investiert worden. Insgesamt will Steinbrunner 1,8 Millionen Euro aufwenden, die über die Stromeinspeisung in 20 Jahren zurückkommen sollen. Die Einspeisung ins Stromnetz wird übrigens nicht mehr über das „Erneuerbare Energiengesetz“ gefördert.
Laut dem Umweltministerium werden die Auswirkungen auf Belange des Naturschutzes im Planfeststellungsverfahren bewertet und abgewogen. Einwände können in das Verfahren eingebracht werden. Dafür werde gegenwärtig die öffentliche Auslegung der Planungsunterlagen vorbereitet.
Für Gerald Pomme hätte das aufwendige Planungsverfahren erst gar nicht eröffnet werden dürfen. Für ihn und seine Mitstreiter ist klar, dass entsprechende Bauvorhaben laut EU- und deutschem Recht in Naturschutzgebieten generell verboten sind. So bitten die Umweltschützer um Unterstützung aus der Bevölkerung. Noch bis Ende Mai 2019 liegen Unterschriftenlisten aus, in denen Bürger Stellung gegen das Vorhaben beziehen können. Die Listen sind unter anderem im Landhandel „Muhl‘s“ und beim Bootsverleih „An der Bode“ in Gröningen sowie in „Finnis Bastelstübchen“ und im Lotto-Laden bei Marktkauf in Oschersleben zu finden. Sie sollen im Juni 2019 an die Umweltministerin geschickt werden. „Jetzt ist die Politik gefragt“, begründet Gerald Pomme die Aktion.