Kinderheim Seit 75 Jahren ein "neues Zuhause"
Seit 75 Jahren finden im "Waldhaus" in Altbrandsleben Kinder und Jugendliche ein neues Zuhause.
Altbrandsleben l „Wir hatten hier eine fantastische Kindheit. Ich habe nichts anderes kennengelernt als das Waldhaus. Da hängt man dran“, sagt Uwe Hägebarth. Im Jahr 1954 kommt der damals Zehnjährige in Altbrandsleben an und wächst im „Waldhaus“ auf, wird hier ab 1962 sogar Hilfserzieher. „Als Kinder haben wir in der Landwirtschaft geholfen und uns ein paar Pfennige dazuverdient. Damit haben wir unsere Ausflüge organisiert“, erinnert sich der heute 75-Jährige. Mit einem Staatsexamen in Psychologie und der Leitungsübernahme eines Kinderheims in Schlagenthin (Landkreis Jerichower Land) nimmt Hägebarths Karriere ihren weiteren Verlauf. „Nun komme ich mindestens zwei Mal pro Jahr hierher. Ich habe hier eine schöne Kindheit verbracht und wurde bis zum Erwachsensein liebevoll begleitet“, erzählt Uwe Hägebarth weiter.
Seit nunmehr 75 Jahren werden im „Waldhaus“ Kinder und Jugendliche betreut. Die Geschichte reicht viel weiter zurück, nämlich bis ins Jahr 1919. Erbaut nach dem ersten Weltkrieg diente es zunächst als Erholungsheim für an Tuberkulose erkrankte Menschen, bis im Jahr 1944 Kriegswaisen aufgenommen wurden. Seither diente das Anwesen als Kinderheim. Vor genau 15 Jahren hatte das „Trägerwerk Soziale Dienste“ den Betrieb übernommen.
„Was hier in den vergangenen Jahren entstanden ist, ist absolut beeindruckend“, sagt Trägerwerk-Geschäftsführer Jörg Rommelfelder während einer Feierstunde am Mittwochnachmittag, 12. Juni. So habe die Einrichtung drei Gesellschaftssysteme miterlebt. All diese Systeme hätten Kinder und Jugendliche hervorgebracht, die Unterstützung benötigten, „auch die Bundesrepublik ist gefordert“, betonte der Geschäftsführer.
Einrichtungsleiter Volker Bauer dankte im Anschluss Mitarbeitern, Sponsoren und Unterstützern. Zwei von ihnen sind Pfarrerin Helga Pötzsch und Maria Mechelt von der Kirchengemeinde Altbrandsleben. Schon seit Jahrzehnten wird die Verbindung zwischen Ortschaft, Kirche und Einrichtung gepflegt, erzählt die Pfarrerin. „Mein Dank gilt ihnen und den Altbrandslebern“, sagt der Heimchef weiter und ergänzt: „Wir können aber auch stolz sein auf unsere Kinder und Jugendlichen. Ihnen gilt ebenso mein Dank.“
Auch Bürgermeister Benjamin Kanngießer (parteilos) fand ein paar Worte und gratulierte „für 75 Jahre Erfolgsgeschichte. Dank an alle, die in der Jugendarbeit Hervorragendes leisten.“ Am Ende seines Grußwortes überreichte der Rathauschef einen Geldumschlag für die Kinder und Jugendlichen.
Anschließend wurde im Gebäude eine Fotoausstellung zur Geschichte der Einrichtung eröffnet. Zu sehen sind Aufnahmen von den Anfängen bis in die Gegenwart. „Aus uns allen ist etwas geworden“, sagte Hans-Joachim Bennroth, der ganz interessiert die Bilder anschaute. Im Jahr 1961 kam er nach Altbrandsleben, hat hier sogar seine spätere Ehefrau kennengelernt. „Es war keine schlechte Zeit, nur hätte man sich auch etwas Schöneres wünschen können, zum Beispiel ein Zuhause“ erinnert sich der Oschersleber weiter. Nach seiner Zeit in Altbrandsleben habe er Hochseefischer gelernt, sei vier Jahre zur See gefahren.
Auch aus Winfried Eickstädt ist etwas geworden, nachdem er 1952 als Flüchtlingskind in das „Waldhaus“ kam, weil seine Mutter ihn und die vielen Geschwister nicht habe betreuen können. „Hier hatten wir Enten, Schweine und Hühner zur Selbstversorgung. Wir haben kräftig mit angepackt und auch beim Schlachten geholfen“, erinnerte sich Eickstädt. Auch das Schwimmbad, welches heute nicht mehr existiert, wurde aus eigener Kraft gebaut. Später nach der „Waldhaus“-Zeit hat der ehemalige Bewohner Ökonomie studiert und als Reiseleiter für das DDR-Reisebüro gearbeitet.
Auch heute fühlen sich die „Waldhaus“-Bewohner wohl und gut aufgehoben. Das zumindest betont Eva-Maria Seela. Mit einem Beitrag hat sich die 17-Jährige an einer kleinen Kunstausstellung beteiligt, die am Donnerstagnachmittag eröffnet wurde. Mit Seidenmalerei hat sie ihr bisheriges Leben „phantastisch umhüllt“, wie sie erklärt. Und sie fügt hinzu: „Seit zwei Jahren wohne ich nun hier. Das ist das Beste, was mir und meiner Mutter passieren konnte.“
Derzeit legt Eva-Maria ihre Schulprüfung ab, um alsbald nach Merseburg zu ziehen. „Den Wohnungsschlüssel bekomme ich in den nächsten Tagen, dann beginnt meine Lehre zur Mechatronikerin für System- und Hochvolttechnik bei einem großen deutschen Autohersteller.“
Der Veranstaltungsreigen zum 75. Geburtstag der Einrichtung „Waldhaus“ geht indes noch weiter. So wird am Freitag, 14. Juni, um 16 Uhr ein Jahrmarkt eröffnet. Anschließend soll ein buntes Unterhaltungsprogramm folgen. Der Abend endet mit Lagerfeuer und Stockbrot.
Am Sonnabend, 15. Juni, startet um 13.45 Uhr ein Jubiläums-Radrennen. Anschließend kann sich am Büfett mit Kuchen und Kaffee gestärkt werden, bevor die Festwoche feierlich beendet wird.