Lesung Ein Trio berührt seine Zuhörer
Danuta Ahrends und Anna Radtke lasen am Freitag.in Werben. Unterstützt wurden sie von Liedermacher Thomas Stein.
Werben l Vor der Geburt musste die Fruchtblase im Osten und im Westen platzen, da gab es keinen ideologischen Unterschied. Was das Drumherum betrifft, sah das schon anders aus. Während Anna Radtke, aufgewachsen in Westberlin, in einem Geburtshaus von Hebammen einfühlsam auf das entscheidende Hecheln vorbereitet wurde und Entspannungen einübte, lernte Danuta Ahrends in der vergleichsweise sterilen Atmos-phäre des Osterburger Krankenhauses das Hecheln „erst kurz vor der Angst“.
Verblüffend persönliche Geschichten wie diese ließen die Zuhörer in der Werbener Salzkirche teilweise aufprusten, in jedem Fall irgendwie berührt sein. Die Autorinnen unternahmen „Rückblicke über die Mauer“, zwischendrin beeindruckte der Tangermünder Thomas Stein als Liedermacher mit der „Laus auf dem Kopf bei dem, den sonst nichts mehr juckt“.
Schade, das könnte sie doch auch selber, dachte Danuta Ahrends einst, als sie auf einer Veranstaltung fremde Texte über die Wende vorlas. So erinnerte sie sich selbst und kam gemeinsam mit Anna Radtke, ihrer Kollegin in der Osterburger Stadt- und Kreisbibliothek auf die Idee, das Gelebte gegenüberzustellen. So lasen die Autorinnen in der Werbener Salzkirche abwechselnd Geschichte für Geschichte. Danuta Ahrends erzählte von Abenden mit „Aktenzeichen XY ungelöst“, die sie so gar nicht gruselig fand, denn all das Schlimme konnte ja im Osten nicht passieren. Die Verbrecher lebten auf der anderen Seite der Mauer. „Und wenn bei uns jemand straffällig wurde, konnte er ja sowieso nicht weg.“ Danuta Ahrends erzählte von den Montagsgebeten in St. Nicolai Osterburg, von Bürgersteigen im Westen, „die sie Fußwege nannten“, und dass sie den Mauerfall schier verschlafen hat.
Anna Radtke tat kund, dass sie die BRD keineswegs idealisierte, dass ihre Verwandten im Osten davon aber nichts hören wollten. „Bei uns gab es nicht nur Bananen und Reisefreiheit“, aber eine relative Sicht auf die Dinge sei damals häufig nicht drin gewesen. „Du weißt nicht, was du redest“, war man ihr begegnet.
Anne Radtke berichtete den Zuhörern von Abenteuern im Garten von Schloss Bellevue, von der „semipermeablen Mauer“ und dass mit der Wende vieles anders wurde als gedacht. „Ich merkte, wie diese trennende Grenze uns verbunden hatte“, so die Räbelerin über ein Paradoxon. „Nach der Wende waren die Wege von Ost nach West länger als umgekehrt.“
Danuta Ahrends und Anna Radtke liebten schon als Kind das Kino, das Toben und das Nachsinnen. Beide haben heute Familie und sitzen, da „längst alle Mörder deutschlandweit gleichmäßig verteilt sind“, vor einem gemeinsamen Publikum. Das gefällt auch ihnen selbst samt Thomas Stein so gut, dass sie überlegen, was als Nächstes kommen könnte. Könnte! „Man muss ja aufpassen, dass es nicht zu viel wird mit den Projekten“, sagt Danuta Ahrends, die genauso wie Thomas Stein im Club altmärkischer Autoren ist.
Vorsichtige Zurückhaltung also – oder blufft Frau Danuta Ahrends? Das hat sie nämlich als Kind in der Schule gelernt, wo sie auf Geheiß ihrer Mutter selbstverständlich niemals (niemals!), Westfernsehen geguckt haben durfte.
Die heutige Lesung im Düsedauer Dorfgemeinschaftshaus beginnt um 19 Uhr.