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Schmersauer inszenierte die "Dreigroschenoper" / Ingrid Birkholz spielte die "Spelunken-Jenny" Goswin Moniac führt in Russland Regie

Von Diana Kokot 19.01.2012, 04:21

Goswin Moniac aus Schmersau führte Regie bei der "Dreigroschenoper" im russischen Mitschurinsk. Seine Frau Ingrid Birkholz spielte die Rolle der Spelunken-Jenny.

Schmersau l In diesem Jahr begeht das Dorftheater Gladigau sein 10-jähriges Bestehen, die Vorbereitungen für das aktuelle Stück laufen schon seit Wochen. Allerdings mussten die Darsteller ihre ersten Leseproben dieses Mal ohne Regisseur Goswin Moniac absolvieren, denn er und seine Frau Ingrid Birkholz waren zu diesem Zeitpunkt noch in Mitschurinsk.

Ursprünglich war geplant gewesen, dass die dortigen Proben zur Inszenierung von Brechts "Dreigroschenoper" am Dramatischen Theater bereits im April 2011 beginnen sollten. Goswin Moniac würde für die Regie verantwortlich sein, und seine Frau wollte in die Rolle der "Spelunken-Jenny" schlüpfen. Aber wie sagt der Volksmund so treffend: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt ...

Moniac erkrankte an einer schweren Lungenentzündung, musste zwölf Tage in einem Krankenhaus in Mitschurinsk zubringen und brauchte anschließend noch etliche Wochen, um wieder ganz gesund zu werden.

Damit die Zeit bis zur Premiere der "Dreigroschenoper" überbrückt werden konnte, brachte der Oberspielleiter des Dramatischen Theaters ein eigenes Stück auf die Bühne. Im Herbst startete dann der zweite Anlauf für die Inszenierung des Brecht-Stücks. Goswin Moniac reiste Ende Oktober nach Mitschurinsk und nahm dort als Regisseur gleich die Fäden in die Hand. Ingrid Birkholz folgte ihm, nachdem sie gemeinsam mit Wolfgang Kaven eine Lesung bei den Osterburger Literaturtagen gestaltet hatte.

Unterschied wie Tag und Nacht

"Schon kurz nach meiner Ankunft in Mitschurinsk wurde mir klar, worauf ich mich eingelassen hatte. Der Alltag in Russland und in Deutschland - ein Unterschied wie Tag und Nacht. Auf dem täglichen Weg ins Theater sahen wir so viel bedrückende Armut und daneben protzigen Neu-Reichtum. Wir wohnten zu zweit in einem kleinen Raum. Das Sofa wurde abends ausgezogen und diente uns dann als Bett. Rückzugsmöglichkeiten, um beispielsweise Text zu lernen, gab es nicht. Und dabei mussten wir noch dankbar sein. Die anderen Schauspieler lebten weitaus beengter, einige nahmen für die Proben Anreisen über Hunderte Kilometer in Kauf. Aber trotzdem waren sie motiviert und neugierig auf Brecht, dessen Stücke sie noch nie gespielt hatten", erinnert sich Ingrid Birkholz. Ihr Mann ergänzt: "Uns wurde von Anfang an von der Theaterleitung viel Hochachtung entgegengebracht." Die ,Dreigroschenoper\' sollte ein besonderer Höhepunkt werden, denn das Dramatische Theater Mitschurinsk begeht in der Spielzeit 2012/2013 seine 115. Spielzeit.

Umso erstaunlicher war es, welche Gründe mitunter dazu führten, dass einige der fest zugesagten Proben von einem Tag zum anderen abgesagt wurden. "An einem Tag wurde das Theater für eine Wahlkampf-Veranstaltung gebraucht und war durch die Sicherheitskräfte schon Stunden vorher abgeriegelt. An einem anderen Tag fand in den Räumen eine Landwirtschaftsmesse statt. Dagegen konnte auch die Direktorin des Theaters nichts machen. Aber sie bemühte sich nach Kräften, uns zu unterstützen."

Noch ein weiteres Problem erschwerte die Arbeit. Goswin Moniac, der schon zuvor als Regisseur in Mitschurinsk gearbeitet hatte, hätte nicht vermutet, dass sich die Darsteller mit dem Stück so schwer tun würden. "Sie waren an ihren geliebten Tschechow und seine Stücke gewöhnt. Da geht es immer sehr gefühlvoll und bedächtig zu. Und plötzlich kommt da dieser Brecht mit seinen klaren Aussagen, ganz direkt, laut, aggressiv. Das war etwas Fremdes für die Schauspieler. Anfangs haben sie auch das Thema der "Dreigroschenoper" gar nicht verstanden. Wieder und wieder musste ich ihnen sagen, ja fast einbläuen: Es geht ums Geld. Es geht immer nur ums Geld!"

Manchmal, so gesteht Moniac im Rückblick ein, habe er nicht nur gehadert, sondern sogar daran gezweifelt, ob die erste Aufführung überhaupt gelingen würde. Auch seine Frau erlebte Situationen, an denen sie bereute, sich auf dieses Wagnis "Theater spielen in Russland" eingelassen zu haben. Zwar hatte sie in den Monaten zuvor intensiv die Sprache gelernt, doch bei den Proben merkte sie immer wieder, dass ihr Wortschatz nicht ausreichte.

"Vor allem, wenn ich angespannt war oder spontan etwas erwidern wollte, fehlten mir oft die passenden Begriffe. Dann war ich sehr froh, Natalia, eine wunderbare Dolmetscherin und inzwischen auch Freundin, an der Seite zu haben".

In einem Brief an eine Freundin schreibt Ingrid Birkholz am 22. November unter anderem: "Ich sitze hier in unserem ,malenka Quartiera\' an der ausklappbaren Schreibplatte der üblichen Schrankwand und versuche die Fülle von Eindrücken zu sortieren. 42 Jahre stand ich auf der Bühne, habe dann "Adieu" gesagt - und nun hat es mich wieder mit ungeheurer Wucht gepackt. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Vor 20 Jahren spielte ich zuletzt die "Jenny" in Osnabrück. Jetzt traue ich mir das Ganze noch einmal zu, und das sogar auf russisch... Jeder Tag ist ein Abenteuer."

Dieses Stück ist aktueller denn je

Trotz aller Schwierigkeiten gab das Künstler-Paar nicht auf. Im Gegenteil, Goswin Moniac hatte eine Fülle von Ideen und Anregungen parat. Er versuchte, so viel wie möglich zu vermitteln - hartnäckig, eindringlich, immer auf die ihm eigene ruhige, höfliche und freundliche Art. Er redete mit Beleuchtern und Technikern, spielte den Darstellern bestimmte Abläufe vor. Er zeigte alles genau, erklärte, brachte die Spannung auf den Punkt. Er war unermüdlich in seinem Eifer, in seiner Begeisterung für das Stück. Und er hatte Erfolg. Der Funke sprang über. Das Ensemble wuchs immer mehr zusammen und entdeckte mit wachsender Begeisterung, wie aktuell gerade dieses Stück ist.

"Man hatte so oft den Eindruck, als wären viele Passagen für die heutigen politischen Verhältnisse in Russland geschrieben worden. Und das herrliche war: die Schauspieler konnten auf der Bühne Sätze sagen, die sie sich sonst niemals getraut hätten, öffentlich auszusprechen," erklärt Goswin Moniac lächelnd und zitiert Mackie Messer: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank." Dann erzählt er von der Premiere, die am 26. November 2011 stattfand. Jeder gab sein Bestes, auf der Bühne und auch dahinter. Natürlich war auch für die Zuschauer diese Art von Begegnung mit Brecht etwas ganz Neues, denn in Russland kennt man den deutschen Dichter in erster Linie als Theaterwissenschaftler. Das hautnahe Miterleben der Aufführung der "Dreigroschenoper" bescherte dem Publikum von Mitschurinsk eine bisher ungewohnte Erfahrung.

Die Reaktionen waren unterschiedlich. Einige Premierengäste verließen bereits in der Pause das Theater, aber der überwiegende Teil der Zuschauer blieb - und applaudierte lange und begeistert.

"Goswin hat eine so intelligente, lebendige, sinnliche und vergnügliche Inszenierung hingelegt. Das wurde allgemein erkannt und gewürdigt. Hinter ihm liegt eine große Arbeit mit enormer Anstrengung, unendlich vielen Proben, Chorarbeit ohne Mikro, fremdem Theaterstil, ohne psychologischen Ansatz.

Auch mit meinem Part war ich zufrieden. Es ist mir gelungen, in den drei Vorstellungen, bei denen ich in Mitschurinsk auf der Bühne stand, mit der Jenny eine reife, schöne Hure zu verkörpern - singend in deutsch und russisch, Argentinischen Tango tanzend, spielend im roten Kleid aus Stendaler Theatertagen. Ich habe hinterher viele Komplimente bekommen, so wunderbare Worte, die mir tief unter die Haut gingen", erklärt Ingrid Birkholz mit einem Hauch Wehmut in der Stimme und fügt dann hinzu: "Was uns jetzt bewegt, ist die Frage, wie oft das Stück in Zukunft gespielt werden kann, ob genug Publikum kommen wird." Das persönliche Fazit der Schauspielerin: "Schön war\'s und sehr, sehr anstrengend. Der Abschied von unseren russischen Freunden ist uns unendlich schwer gefallen. Ich bin zutiefst dankbar für diese Einladung. Das war der Höhepunkt an Abenteuer in meinem bisherigen künstlerischen Leben!"