Jubiläum 700 Jahre: Wie Prischier zu Pretzier wurde
Zum 700-jährigen Bestehen von Pretzier gibt es eine neue Chronik. Sie erzählt von slawischen Wurzeln und einem Besuch des Kaisers.
Pretzier l Wenn Henning Crucemann das gewusst hätte! Als der Ritter dem Salzwedeler Kloster zum Heiligen Geist am 13. Juli 1316 einen Hof in „Prischier“ verkauft, sorgt er damit ohne es zu wollen, für die allererste Erwähnung des Dorfes. Es ist der urkundliche Gründungsakt von Pretzier. Nur deshalb wird das Dorf 700 Jahre später, vom 3. bis 5. Juni 2016, ein großes Jubiläum feiern können.
Auf die Schliche gekommen sind Herrn Crucemann Manfred Wernecke und Uwe Gade aus Pretzier. Die beiden Männer haben für das bevorstehende Jubiläum ihres Ortes in Archiven gestöbert, mit Einwohnern und Unternehmen gesprochen. Herausgekommen ist eine umfangreiche Chronik, die die Hobby-Historiker während der 700-Jahr-Feier der Öffentlichkeit vorstellen wollen.
Bei ihren Recherchen sind Wernecke und Gade auf weitere interessante Details gestoßen. So dürften die wenigsten Salzwedeler wissen, dass die Gegend bereits in der Bronzezeit (2200 bis 800 vor Christus) besiedelt war. Das Dorf, aus dem der heutige Ort hervorgehen sollte, ist wesentlich jünger und wurde vor etwa 1100 Jahren von slawischen Siedlern gegründet. Der Name „Pretzier“ bedeutet dabei so viel wie „Am Weideland“.
Existierten Wendisch und Deutsch Pretzier noch lange Zeit parallel, so verschwand die slawische Siedlung irgendwann. Ihren Standort vermuten die Quellen unter anderem zwischen Königstedt und Stappenbeck. Mittelalter und frühe Neuzeit sind in Pretzier geprägt von einem wechselvollen Auf und Ab. Die Bauern müssen adligen Familien wie von der Jeetze und von dem Kneesebeck Abgaben und Frondienst leisten. Mehrfach wüten Feuersbrünste.
Im Dreißigjährigen Krieg machen marodierende Söldner den benachbarten Ort Krangen dem Erdboden gleich. Viele Einwohner finden in Pretzier eine neue Heimat.
Als sich zu Beginn des Industriezeitalters die Bedingungen verbessern, wächst auch die Bevölkerung. Von 141 Einwohnern im Jahr 1800 steigt sie bis 1900 auf 646. Den vorläufigen Höchststand erreicht Pretzier im Jahr 1946. Damals leben 1300 Menschen im Ort, darunter allerdings auch viele Flüchtlinge des gerade zu Ende gegangenen Zweiten Weltkriegs.
Mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 bricht in Pretzier die Moderne an. Schon vorher wird von 1852 bis 1854 die Fernverkehrsstraße von Salzwedel nach Seehausen über Pretzier gebaut. 1870 wird das Dorf Bahnhaltepunkt an der Strecke Salzwedel-Stendal und 1914 folgt ein Anschluss nach Osterburg.
Der als Gründerjahre bezeichneten Epoche macht das Dorf auch sonst alle Ehre. Bis zum Ersten Weltkrieg werden eine Molkerei und eine Ziegelei errichtet. Männer schließen sich zu Turn- und Gesangsverein zusammen. Das Dorf bekommt eine neue Kirche.
Und 1893 schaut selbst Kaiser Friedrich Wilhelm II. vorbei, wenn auch – wie in den Chroniken zu lesen – vor dem Hintergrund, dass die Altmärker für seinen Geschmack zu häufig die Sozialdemokraten wählen.
Nach den Jahren des Aufschwungs folgt mit den Weltkriegen eine Zäsur. Viele Männer verlieren an der Front ihr Leben. Das Kriegerdenkmal zeugt bis heute davon. Eine der wenigen positiven Notizen dieser Zeit ist die Gründung der Feuerwehr im Jahr 1934, an der damals immerhin rund 100 Einwohner teilnehmen.
Zu DDR-Zeiten dominiert die Landwirtschaft, viele Einwohner pendeln aber schon damals zum Arbeiten in Zuckerfabrik, Chemiewerk oder Pumpenfabrik nach Salzwedel.
Nach der Wende folgt 2009 zwar die Eingemeindung nach Salzwedel. Pretzier etabliert sich aber als Schul- und Kita-Standort. Mehrere Unternehmen entdecken zudem die Standortvorteile des Ortes an der B 190 und siedeln sich an. Auch als Eigenheim-Standort erfreut sich der Ort wachsender Beliebtheit.
Und so ist Pretzier heute mit 1094 Einwohnern mit Abstand der zweitgrößte Ortsteil Salzwedels. Eine positive Entwicklung, die die Pretzierer zu Recht feiern wollen. Wenn Ritter Crucemann das gewusst hätte, er hätte seinen Hof wohl behalten!