Altes Schloss Ein Brief schreibt die Geschichte neu
Das Alte Schloss in Tylsen war einst eine Bibliothek. Ein Fundstück offenbart neue Erkenntnisse zu seiner Geschichte.
Tylsen/Salzwedel l Der Dreißigjährige Krieg, der auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation tobt, hat gerade erst begonnen, als 1620 das Neue Schloss in Tylsen unter der Leitung von Thomas von dem Knesebeck erbaut wird. Viele Jahre sollte es eines der Prunkstücke in der Altmark sein. Heute ist es nur noch eine Ruine.
Wesentlich besser erhalten und bereits zuvor entstanden, ist das Alte Schloss. 1887 ist es von einem weiteren Mitglied der Ahnenlinie der Knesebecks, Alfred von dem Knesebeck, so umgebaut worden, dass es sich als Bibliothek eignete. Im Zuge dessen ging der umfangreiche Buchbestand von 3787 Bänden der Knesebecks vom Neuen ins Alte Schloss über.
Bislang wurde davon ausgegangen, dass die neu entstandene Bibliothek mit Schwerpunkt auf Theologie, Geschichte und Jura nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst wurde. Insofern, als im Chaos der Nachkriegszeit etliche Bücher zerstreut wurden. Ein kleiner Teil davon, insbesondere die wichtigsten erhalten gebliebenen, landete in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle. Der Rest, so glaubte man, ging verloren.
Neuesten Erkenntnissen von Stadtarchivar Steffen Langusch zufolge sind allerdings zwei Dinge in dieser Geschichte nicht korrekt. Denn zum einen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Bücherzerstreuung schon vorher begann und zum anderen sind nicht alle restlichen Bücher verschollen. Drei davon befinden sich gegenwärtig im Salzwedeler Stadtarchiv.
Alle drei stammen aus dem 17. Jahrhundert. Eines sogar von 1611. Geschrieben vom Salzwedeler Georg Stampehl, hat es sogar den Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 überstanden. Ein weiteres Buch stammt aus der Feder von Andreas Probst und wurde 1654 geschrieben. Probst war seinerzeit Kreisarzt in der Altmark, wenngleich die Funktion in jener Zeit noch Landphysicus hieß.
Zwar handele es sich aus fachlicher Sicht um keine bedeutsamen Werke, sagt Steffen Langusch. Dennoch seien die Bücher theologische Fachliteratur und somit als wertvoller einzuschätzen, als das bei Romanen der Fall gewesen wäre.
Auf den Büchern selbst befinden sich Stempel des Stadtarchivs und die Signatur von Max Adler, der von 1915 bis zu seinem Tod 1935 die Verwaltung des Stadtarchivs inne hatte – gemeinsam mit Professor Karl Gaedcke. Beide arbeiteten sie zugleich als Lehrer, während Adler gar die Stelle als Rektors des Jahngymnasiums inne hatte. Beide haben Straßen in der Hansestadt ihren Namen gegeben.
Derweil lässt sich für die Bücher sogar ein Zeitraum bestimmen, in dem sie vermutlich ins Archiv gelangten. Zwischen 1926 und 1935 müssen die alten Werke den Weg in das Dokumentzentrum genommen haben. So genau eingrenzen lässt sich das nur, weil ein Brief von 1926 aufgetaucht ist.
Dieser stammt von Traugott Otto Radlach, ein Pensionär, der damals in Groß Möringen lebte, und ist an einen Pfarrer namens Helmut Schapper adressiert. Darin schreibt Radlach, dass er von dem Plan gehört habe, die Bibliothek zu verkaufen. Da ihn das, so heißt es, zutiefst bewege und der Bestand ein „unbezahlbarer Schatz“ sei, müsse der altmärkische Geschichtsverein „alles aufwenden, um den drohenden Verlust abzuwenden“.
Wem die Bibliothek damals gehörte, ist ungewiss. Klar ist jedoch, dass die Familie, die zu dem Zeitpunkt Inhaber war, erhebliche finanzielle Schwierigkeiten hatte. Klar ist aber auch, dass Alfred von dem Knesebeck, der das Alte Schloss knapp 40 Jahre zuvor erneuert hatte, mit der Bibliothek einen Dienst an der Wissenschaft leisten wollte. So hieß es damals in der Inschrift über der Eingangstür „Der Wissenschaft zu Nutz“.
Darauf jedenfalls geht Radlach in seinem Brief ein. Nicht nur wäre es ein Verlust für die Forschung, sondern auch einer für die Geschichte der Altmark sowie die Familienhistorie der Knesebecks, zeichnete Radlach ein düsteres Bild. Lieber solle die Familie Bäume fällen, um an Geld zu kommen. „Die Bäume wachsen wieder, aber die Bücher nicht“, so seine Worte 1926. Viel Geld brächten alte Bücher ohnehin nicht, schrieb er.
Im Altmärkischen Geschichtsverein wiederum, von dem Radlach ein Eingreifen forderte, waren auch Max Adler und Karl Gaedcke. In der Folge muss sich der Altmärkische Geschichtsverein darum bemüht haben, einen Teil des Bestandes in seinen Besitz zu bringen. Mutmaßlich könnte sich Max Adler als Mitglied des Vereins und Verwalter des Salzwedeler Stadtarchivs selbst der Sache angenommen haben, vermutet Steffen Langusch. Bis zu Adlers Tod 1935 müssen die Bücher im Stadtarchiv gewesen sein. Indes tauchte der Brief im Stadtarchiv als Teil von Karl Gaedckes Nachlass erst vor ein paar Jahren auf. Überführt wurde er aus dem Danneilmuseum.
Fest steht damit, dass die Bibliothek in ihrer Gesamtheit nicht bis 1945 bestanden hat, wie es in der Broschürenreihe ,Schlösser und Gärten Sachsen-Anhalts – Tylsen‘ von Ulrich Lemme heißt. Und fest steht damit auch, dass – außer jenen in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle – noch mehr Bücher erhalten sind als bisher angenommen.