Beschneidung Eine Tradition aus Schmerzen und Qualen
Mit einer Lesung berührte die Buchautorin und Menschenrechtsaktivistin Faduma Korn das Salzwedeler Publikum.
Salzwedel l "Genießt eure Demokratie", gibt die Autorin Fadumo Korn den Salzwedelern am Ende der Veranstaltung mit auf den Weg. Sie weiß, wovon sie spricht. Fadumo Korn wurde als Mädchen in ihrer damaligen Heimat Somalia beschnitten. Sie fiel ins Koma, war dem Tod näher als dem Leben. Was bleibt, sind Erinnerungen an Schmerzen und Qualen, Missbildungen und den unbändigen Willen, andere Mädchen und Frauen vor diesem Martyrium zu bewahren. Daher hat sie sich das Credo "Bildung statt Beschneidung" auf die Fahnen geschrieben, der Titel ihrer Veranstaltung im Club Hanseat.
„Ich werde Passagen meiner eigenen Beschneidung vorlesen – aber nur soweit, wie ich es Erwachsenen zumuten kann“, sagt Fadumo Korn. Im Saal des Hanseats ist es mucksmäuschenstill. Die etwa 50 Gäste kleben an den Lippen der heute in Bayern lebenden Autorin. Außer den Kameraleuten vom Offenen Kanal Salzwedel (OKS) bewegt sich niemand. Es ist die grausame Geschichte eines Nomadenmädchens im ländlichen Somalia. Eine Geschichte, die die bestialische Tradition der Beschneidung offenlegt und fassungslose Gesichter zurücklässt. Es ist die Geschichte der Fadumo Korn.
Auf diese Geschichte ist Marita Runge gestoßen. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Salzwedel hat sich zum Thema Beschneidung belesen, wollte mehr darüber erfahren. „Ich habe die persönliche Geschichte von Fadumo Korn gelesen – war fassungslos und hatte Tränen in den Augen“, erinnert sich Runge. „Noch mit diesen Tränen in den Augen habe ich eine E-Mail geschrieben, ob sie sich vorstellen könnte, für eine Lesung nach Salzwedel zu kommen“, sagt die Stadt-Mitarbeiterin. Und Korn konnte es sich vorstellen. Auch wenn sie mit einem Lächeln den Gästen erklärte, dass sie nicht wusste, in welchem Bundesland Salzwedel eigentlich liegt. Doch die Baumkuchenstadt überzeugte die seit 1979 in München lebende Frau. „Die schönste Altstadt, die ich je gesehen habe“. Gerade die uralten Fachwerkhäuser der Hansestadt beeindruckten die Autorin.
Das Licht im Hanseat ist hell und warm, als Fadumo Korn ihre eiskalte Geschichte erzählt. Vor ihrer Beschneidung im zarten Alter von acht Jahren wurde sie gebadet und mit Buttermilch eingerieben. „Ich war ja noch unrein“, erklärt sie. In ein Tuch gewickelt und auf einer kleinen Wanne in der Wüste sitzend, wartete das Mädchen auf das, was ihr Leben auf brutalste Art und Weise verändern sollte. Mit Asche, Rasierklingen an einem Stock befestigt, Kräuterpaste und Elefantenhaaren, näherte sich ihre Beschneiderin. Eine alte Frau in schmuddeligem Gewand und von Falten gezeichnet. Eine Frau, deren Lohn für die Verstümmelung mehrere Ziegen sein sollten. Manche Zuhörer müssen schlucken, andere schütteln fassungslos den Kopf, so fremd scheint die Lebensgeschichte in den Ohren der westlichen Welt. Die ältere Frau schiebt ihr Tuch hoch über die Lende, dann stoppt Fadumo Korn mit ihren Ausführungen. Zu brutal ist die Geschichte – ihre Geschichte.
„Meine Mutter hat sechs Kinder großgezogen“, blickt Marita Runge auf ihre Kindheit zurück. „Und wenn ich heute sage, wir hatten es auch nicht immer leicht, ist es lächerlich dem gegenüber, was Fadumo Korn in ihrer Kindheit erlebt hat“. Denn mit ihrer Beschneidung fängt der Leidensweg aus Schmerzen und Qualen für Fadumo Korn erst an. Ihre Mutter hatte schon das Leichentuch bereitgelegt, als die Achtjährige aus dem Koma erwacht. Im Genitalbereich verstümmelt und von Entzündungen gequält, kann das Mädchen den Märschen durch die Wüste nicht mehr folgen. Für Korn geht es nach Mogadischu, dort lebt ein Onkel von ihr. In der Somalischen Hauptstadt kann das traumatisierte Mädchen erstmals eine Schule besuchen, aber helfen können ihr die Ärzte auch dort nicht. Der Onkel schickt das Mädchen über Italien nach Deutschland. In München wird Fadumo Korn schließlich operiert. Von Ärzten, die mit einem unbekannten Problem konfrontiert sind.
Heute ist Fadumo Korn mit dem Münchner Walter Korn verheiratet. Er begleitet seine Frau bei Vorträgen, ist als Fotograf an ihrer Seite, wenn sie in Afrika Bildungsarbeit leistet. „Ich bin als Aktivistin unterwegs in Somalia, Brückenbauen ist meine Aufgabe.“ Denn wenn Fadumo Korn keine Worte zu Papier bringt oder in Europa referiert, ist sie als Kulturmanagerin unterwegs. Sie ist in Gefängnissen, in Gerichten, in Frauen- und Krankenhäusern. Sie begleitet die Frauen und setzt auf Bildung. „Beschneidung ist nicht primitiv, sondern eine alte Tradition“, erklärt Korn unter zustimmendem Nicken im Saal. Eine Tradition, die es aufzubrechen gilt. Eben Bildung statt Beschneidung. „Kinder sollen wissen: mein Körper gehört mir und darf keiner anfassen“!
Während Korn ihre Geschichte erzählt flimmern die Fotos ihres Mannes Walter über den Beamer. Impressionen vom Land und den Menschen. Er appelliert, dass Flüchtlinge nicht ohne Grund die Strapazen der Flucht auf sich nehmen, ebenso heimatverbunden sind wie die Deutschen auch. „Nationalismus führt zwangsläufig zu kriegerischen Konflikten. Wir können nur gut zusammenleben, wenn wir uns unterstützen - auch in Afrika“.