Kriminalfall Ist der Gärtner der Göhrde-Mörder?
1989 erschütterten zwei Doppelmorde das Wendland. Die Göhrde-Morde sind bis heute ungeklärt. Die Polizei ermittelt aber wieder.
Salzwedel/Göhrde l Der Mörder ist immer der Gärtner, heißt es in einem Schlager von Reinhard Mey (1971). Ob das auch für zwei Doppelmorde in der Göhrde zutrifft, wird derzeit ermittelt. Das Problem bei der Aufklärung des Falls: Der Mann ist seit 1993 tot, er hatte sich damals in der Haft erhängt. Es gibt eine Reihe von erdrückenden Indizien, die für die „blonde Bestie“ (Hamburger Morgenpost) aus Brietlingen als potentiellen Göhrde-Killer sprechen. Nur: ein schlagender Beweis fehlt noch.
Es ist inzwischen sicher, dass Kurt-Werner Wichmann 1989 seine Nachbarin Birgit Meier tötete, die Schwester des damaligen Hamburger Polizeivizepräsidenten und Leiters des Landeskriminalamtes Wolfgang Sielaff. Die Leiche wurde nie gefunden. Seit 2016 ermittelt die neugegründete SoKo Iterum („das zweite Mal“) der Lüneburger Polizei und ließ bereits auf verschiedenen Friedhöfen Leichen exhumieren – Wiechmann hatte als Friedhofsgärtner die Möglichkeit, Mordopfer in Gräbern verschwinden zu lassen. Bisher ohne Ergebnis.
Vergangenes Jahr stand nach Jahren des Stillstands im Fall der bizarren Göhrdemorde der Verdacht im Raum, Wichmann könne einer der schlimmsten Serienmörder Nachkriegsdeutschlands sein - sieben Morde könnten auf sein Konto gehen.
Was war passiert? Ermittler hatten über Jahre Indizien zusammengetragen. Die Morgenpost veröffentlichte die Details: Sie zeigen einen durch und durch kriminellen Mann, ein verpfuschtes Leben, das immer wieder um Gewaltverbrechen kreist.
Schon als Jugendlicher kam er ins Heim, mit 15 dringt er ins Haus einer Nachbarin ein, um Geld zu stehlen. Als sie erwacht, würgt er sie und flieht – Jugendarrest. 1967 begeht er einen Betrug. Als die Kripo ihn festnehmen will, droht er mit einem Kleinkalibergewehr. Jugendknast. 1970 vergewaltigt er eine 17-jährige Anhalterin und versucht, sie zu erwürgen. Er legt das leblose Opfer in den Kofferraum. Im Wald attackiert ihn die wiedererwachte Frau mit einem Spaten. Später lässt er sie frei. Strafe: Fünfeinhalb Jahre Haft.
Bei einer Hausdurchsuchung, die zu der Haftstrafe führte, fanden die Beamten neben Kleinkalibergewehren auch Zeitungssausschnitte über den Mord an Ilse Gehrkens. Die Frau war in Lüneburg von einem Unbekannten mit einem Kleinkalibergewehr vom Fahrrad geschossen worden. Niemand hatte die Spur zu Wichmann verfolgt.
In den 80er Jahren heiratet Wichmann, der als ausgesprochen charmant, aber auch als eitel beschrieben wird. Er zieht mit seiner Frau in ein geerbtes Haus in Brietlingen-Moorburg bei Lüneburg – 30 Kilometer von der Göhrde entfernt. Zuvor hielt er sich in Karlsruhe auf.
Insider fragten sich: Warum vergräbt man einen Neuwagen im Garten? Wichmann tat dies – einen nagelneuen Ford Probe. Die Polizei stößt zufällig beim Graben im Garten von Wiechmann darauf. Später schlagen Leichenspürhunde in dem Fahrzeug an.
Bei der erneuten Durchsuchung finden die Beamten auch ein „geheimes Zimmer“. Der schallisolierte Raum ist tabu für Wichmanns Ehefrau, sie hat ihn bis zu Wichmanns Freitod im Jahr 1993 nie betreten. Hier findet die Polizei starke Betäubungsmittel, Handschellen, zwei Schalldämpfer, einen Revolver, Munition, Ketten, Messer, Kanülen, Rasiermesser, eine Schussweste und – zwei Kleinkalibergewehre. Mit einem Kleinkaliber-Gewehr wurden auch die Morde in der Göhrde begangen.
Wichmann bekommt im Vorfeld Wind von der Hausdurchsuchung und flieht nach Süddeutschland. Einen Monat später baut er einen Unfall. Die Polizei findet in seinem Fahrzeug Teile von Maschinenpistolen und Munition. Der damals 44-jährige kommt in U-Haft. Am 25. April 1993 wird er erhängt in seiner Zelle aufgefunden. In Abschiedsbriefen hinterlässt er mehrere versteckte Botschaften. Einer endet: „Bitte denkt nicht nur an meine schlechten Seiten. Gott sei mir gnädig“.
Fest steht: Zwischen seiner ersten Straftat und seinem Selbstmord 1993 vergehen 29 Jahre. Diese Zeit wird von der Lüneburger Kripo bis ins Kleinste überprüft. Endlich. Denn die Tatmuster vieler weiterer Fälle, unter anderem zu den Göhrde-Morden, passen ebenfalls zu Wichmann. Aber seinerzeit wurden die Ermittlungen als „unerledigt“ eingestellt.
„Diese Entscheidung ist schwer nachzuvollziehen“, sagt Wolfgang Sielaff, damals Chef des LKA Hamburg, gegenüber der Wochenzeitung Zeit. Denn nur wenige Wochen nach den Göhrde-Morden war Sielaffs Schwester aus ihrem Haus verschwunden, und erst im vergangenen Jahr wurde geklärt, dass auch sie Opfer des sadistischen Friedhofsgärtners geworden war.
Sielaff hat mit Fachleuten ein Täterprofil erstellt. Demnach ist es möglich, dass Wichmann identisch ist mit dem Göhrde-Mörder. „Die ungeheure Brutalität, mit der die Doppelmorde begangen wurden, die sexuelle Komponente, die sich in der aufgeschobenen Bluse und dem aufgeschnittenen BH von Ingrid Warmbier (ein Göhrde-Opfer) zeigt, und auch der Sadismus“ (die abgetrennten Brüste, der eingeschlagene Schädel) passten zum Täterprofil Wichmanns, schreibt die Zeitung "Die Zeit".
Fest steht auch: Man fand Kartenmaterial aus der Göhrde in Wichmanns Auto, einen Schlafsack, ein Fernglas. Und Wichmann war vom 10. bis zum 14. Juli 1989, am Tag der Ermordung des zweiten Liebespaares, krankgemeldet. Die Reinolds wurden an einem Sonntag getötet, da hatte Wichmann ebenfalls frei. Beide Paare wurden unter anderem mit Kleinkalibermunition getötet.
Aber laut Zeit finden die Ermittler damals „keine Anhaltspunkte dafür, dass Wichmann in Beziehung zu den Tatorten in der Göhrde steht“. Auch stimme sein Aussehen nicht mit einem Phantombild überein, was Zeugen erstellt hatten, denn: „Wichmann ist Brillenträger“, heißt es in der Ermittlungsakte.Aber der Bruder der Ermordeten, Wolfgang Sielaff, hat auf eigene Faust weiter recherchiert.
„Das ist kein Beweis“, wird Sielaff von der Zeit zitiert, aber es passe zum Narzissten Wichmann, der auch Zeitungsartikel und Fernsehsendungen über die von ihm ermordete Birgit Meier sammelte. Und Ilse Gerkens. Wobei ihm dieser Mord nie nachgewiesen wurde.
Einer weiß mutmaßlich alles - Wichmanns Bruder, der in Brietlingen lebt. Aber der „kleine, stille Mann“, er soll zeitlebens in einem „Abhängigkeitsverhältnis“ zu seinem großen Bruder gestanden haben, schreibt "Die Zeit". Er schweigt. Eisern.