Heimaträtsel Lauter Knall bei Friseur „Ruck-Zuck“
Der Karlsturm in Salzwedel erweckte Erinnerungen an eine vergangene Zeit.
Salzwedel l Manfred Fuhrmann aus Klein Wieblitz kann sich gut an diesen Teil Salzwedels erinnern, weil er mit seiner Frau und den Kindern von 1963 bis 1971 in dem abgebildeten Eckhaus gewohnt hat. „Die Toilette befand sich auf dem Hof“, sagt er, „ein Badezimmer gab es nicht.“
Siegwart Andree aus Salzwedel hat in dem Haus, dessen Giebel auf dem Bild zu sehen ist, gewohnt, bis es nach der Wende verkauft wurde.
Wie am Schriftzug zu erkennen, befand sich darin die Gaststätte „Zum Karlsturm“. Andree erinnert sich, dass sie einen Bierkeller hatten. Paul Thurm ist 1976 nach Duisburg gezogen, da habe es die Gaststätte schon nicht mehr gegeben, sagt er.
Lebendiger ist da die Erinnerung an Paul Rieke, dem Friseur-Meister, der danach das Gebäude mit einem Salon bezog. Diedrich Gerdes aus Salzwedel erinnert sich: „Damit die Kinder nicht zu tief im Stuhl saßen, wurde ihnen ein Brett auf die Armlehnen gelegt. Somit hatten sie die richtige Höhe zum Haareschneiden.“ Die abgeschnittenen Haare habe der Friseur des Öfteren in einer Papiertüte mit nach Hause gegeben. „Wenn Männer rasiert wurden, wurde das Rasiermesser am Lederriemen geschärft“, erzählt Gerdes weiter.
Auch Vera Neumann aus Salzwedel erinnert sich: „Wir waren fünf Kinder und wohnten in Buchwitz. An einem ´Stadttag`, zu dem man sich herausputzte, erhielten wir einen ´Pottschnitt`.“ Lutz Michelsen aus Salzwedel weiß noch, dass der Vater eines Schulkameraden Paul Rieke immer „Friseur ´Ruck-Zuck`“ nannte. Er sagte, man könne die Mütze bei ihm, wegen des Pottschnitts, direkt aufbehalten. Werner Schulz aus Liesten glaubt, dass ein Kinderhaarschnitt nur eine Mark oder 50 Pfennig gekostet habe. Außen am Gebäude sind einige Schilder sichtbar. Siegwart Andree sagt: „Auf dem Wegweiser steht ´Cheine Seebenau` und ein altes Parkverbotsschild an der Altperverstraße ist auch noch zu sehen.“ Werner Schulz fügt an, dass noch lange ein Schild über dem Eingang des Hauses mit der Aufschrift „Braunschweig“ hing. „Irgendwann wurde es herausgebrochen. Es ging ja schon lange nicht mehr nach Braunschweig“, sagt er. Lutz Michelsen weist noch auf den Zigarettenautomaten vorn am Haus hin, an dem man sich leicht stoßen konnte.
„Zwischen Gaststätte und Karlsturm befand sich eine Fahrradreparaturwerkstatt von Alfons Larsen“, berichtet Guido Franck aus Salzwedel. „Von ihm erwarb ich eine Sax, ein Motorrad, für 60 Mark, da der Besitzer nach ´drüben` abgehauen war. Ich habe sie schwarz gefahren, bis sie kaputt war.“ Auch Lutz Michelsen kann sich an diesen Laden erinnern. „Dort war es düster und überall rostete es, denn es befand sich ein Wellblechdach darauf.“ Paul Thurm vermutet, dass Larsen, der immer im Blaumann anzutreffen war, maximal bis Mitte der 1960er Jahre dort ansässig war.
Links neben dem Turm befand sich das alte Wachhaus. „Neben dem Haus gab es noch eine kleine Nische, dort sind wir als Kinder oft geklettert“, erzählt Lutz Michelsen. Manchmal habe eine ältere Dame, die im Wachhaus wohnte, geschimpft. Inge Stenzel aus Salzwedel hat auch Erinnerungen an ein älteres Ehepaar aus diesem Gebäude. „Oftmals haben sie mir über das Haar gestreichelt“, berichtet sie.
Weiter listet Inge Stenzel die Gebäude auf: „Danach kam die Verwaltung des Bauernverbandes, dann ein Fischgeschäft, dessen Besitzer ´Fisch-Anton` genannt wurde.“ In dem roten Backsteinhaus war die Verwaltung der Bergschlossbrauerei. „Auf dem Hof befand sich noch eine Räucherei, weshalb es dort immer ganz toll roch“, sagt Stenzel weiter.
Auf der Straße ist noch ein Wagen zu erkennen, den Siegwart Andree als Framo identifiziert. Hinter dem Turm sei ein Friedhof gewesen, berichtet er weiter, wo viele Sandsteinplatten waren. Der Karlsturm habe auch mal als Eislager für die Brauerei gedient, erzählt Alexej Radloff aus Salzwedel. Damals noch ohne Dach, wie Bodo Habermann aus Salzwedel weiß, sah man Birken auf dem Turm wachsen. Früher soll er einmal Heinrichsturm geheißen haben, sagt Radloff noch.
Die Straße zurück an den Standort des Fotografen, der ehemaligen Molkerei, worin sich heute die Fahrschule Gaede befindet; demgegenüber - heute eine Grünfläche - befand sich einmal eine Berufsschule. Gabriele Schröder aus Salzwedel hat dort unterrichtet. Sie berichtet amüsiert: „Eines Tages gab es einen lauten Knall, die Klasse rannte hinunter. Die Ladeklappe eines Bierwagen hatte sich gelöst und alles war voll mit Scherben, die meine Schüler auffegten.“
Vor der Schule sei das Finanzamt von Adolf Hitler darin gewesen und davor noch hätten die Ulanen ihre Ausbildung darin erhalten. „Im dritten Stock haben wir noch Verewigungen der Ulanen in Ziegelsteinen entdeckt“, sagt Schröder weiter.
Heute befindet sich anstelle des Gasthofs eine kleine Pkw-Stellfläche. Wolfgang Dahse und Helmut Müller sprechen von einer wunderbaren Aussicht vom Karlsturm aus und Alexej Radloff, Hauptmann der Stadtwache der Hansestadt Salzwedel, ist froh, dass der Turm Sitz der Stadtwache ist und noch besteht. 2003 hatten sie ihn nämlich saniert. Nach der Wende habe der Turm das heutige Spitzdach erhalten, fügt Bodo Habermann hinzu. Heutzutage ist er aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.
Gewonnen hat Lutz Michelsen aus Salzwedel. Er wird eine kleine Überraschung von der Volksstimme erhalten.