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Jugend in der Altmark Malina Bura schreibt in Roman über den Albtraum der ersten Liebe

Malina Bura schreibt über ihre Jugendzeit in der Altmark und ihre Erfahrungen aus einer toxischen Beziehung mit physischer und psychischer Gewalt.

Von Marco Heide Aktualisiert: 20.06.2024, 14:04
Malina Bura stammt aus einem Dorf im Norden der Altmark. Für ihren Debütroman erhielt sie den Altmärkischen Literaturpreis.
Malina Bura stammt aus einem Dorf im Norden der Altmark. Für ihren Debütroman erhielt sie den Altmärkischen Literaturpreis. Foto: Malina Bura

Salzwedel - Malina Bura hat ihrem ersten Roman den Titel „Geschmack meiner Jugend“ gegeben. Darin geht es um ihre Kindheit in der Altmark und die erste große Liebe, die zum Albtraum wurde. Volksstimme-Mitarbeiter Marco Heide sprach mit ihr.

„Der Geschmack meiner Jugend“ ist ein autofiktionaler Roman. Du teilst dir mit der Protagonistin den Namen. Wie viele eigene Erfahrungen stecken in dem Buch?

Malina Bura: Malina und ich teilen uns nicht nur den Namen, sondern auch ein Leben, eine Geschichte. Zu beurteilen, welche und wie viel Fiktion im Buch steckt, möchte ich den Lesenden überlassen. Wichtig zu sagen ist mir, dass die Schilderungen über Malinas psychische Probleme und Gewalterfahrungen eins zu eins der Wirklichkeit entsprechen. Das ist mir insofern wichtig, als dass Betroffenen oft vorgeworfen wird, sich so etwas für Aufmerksamkeit nur auszudenken. Das ist völliger Bullshit und auch eine gefährliche Aussage, da sie Menschen im Zweifel davon abhält, sich Hilfe zu suchen oder über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Voller Wehmut

Du erzählst in dem Buch zunächst über Kindheit und Jugend. Was vermisst du aus dieser Zeit am meisten, was nicht?

Ich vermisse die Zeitlosigkeit. Nicht an morgen denken, den ganzen Tag draußen sein und Abenteuer erleben. Ich vermisse die Plattenwege und Tage am Baggersee, meine beste Freundin, unseren Hund, mein Pony, dieses Gefühl des ersten richtigen Sommertages. Ich vermisse auch die Pausen am Gymnasium – wir haben viel Blödsinn geredet und so viel gelacht. Man hing zusammen rum, und das war schön, ohne dass ständig irgendetwas Spektakuläres passieren musste. Ich bin so voller Wehmut für dieses Kinderdorfleben. Gleichzeitig würde ich nie wieder Jugendliche sein wollen. Diese innere Zerrissenheit, Zweifel, Ängste, Anpassungsschwierigkeiten, Zankereien mit Mitschülern, unerwartete körperliche Veränderungen, dieses Ohnmachtsgefühl gegenüber Lehrkräften – das braucht wirklich kein Mensch.

Neben teils amüsanten Erlebnissen, die jeder so oder so ähnlich kennt, der in den späten 90er und 2000er zur Schule gegangen ist, geht es auch um negative Erfahrungen. Welcher Umgang mit dir hat dich besonders traurig gemacht, geärgert?

Allgemein hätte ich mir gewünscht, dass man mehr auf meine individuellen Bedürfnisse und Besonderheiten eingegangen wäre. Besonders im Hinblick auf das Schulsystem. So viele Kinder leiden in der Schule, weil sie nicht ins System passen, aber hineingezwängt werden. Natürlich ist es wichtig, auch zu lernen, wie man sich durchsetzt und dass man manchmal die Zähne zusammenbeißen muss. Dennoch steigt die Zahl der Kinder, die psychisch erkranken, kontinuierlich an, was furchtbar ist. Dazu trägt sicher unser auf Leistung und Druck ausgelegtes Bildungssystem bei. Etwas mehr Empathie, Sensibilität und Individualität wäre schön.

Toxische Beziehung

Das Ende des Romans beschreibt Malinas erste große Liebe, die sich zu einer toxischen Beziehung entwickelt. Das hast du so erlebt. Wie bist du in diesen Teufelskreis geraten?

Das hat sich einfach langsam angebahnt. Ich war damals nach der Trennung meiner Eltern depressiv, emotional instabil. Da hatte ich das Gefühl, er sei meine Rettung. Mit ihm habe ich mich frei gefühlt, zumindest für ein Jahr. Dann ist zum ersten Mal ein Streit komplett eskaliert. Ich wusste, dass es schrecklich war, aber wahrscheinlich erschien mir der Gedanke, wieder allein zu sein, noch schrecklicher. Außerdem klammerte ich mich an die Hoffnung, es würde alles besser werden. Bei manchen Dingen war mir auch nicht bewusst, dass es nicht okay war, was da passierte. Durch Zeitschriften etc. dachte ich, Mädchen hätten dies oder jenes einfach zu tun oder zu lassen. Dass ich Dinge, die ich nicht machen möchte, nicht machen muss, war mir schlicht nicht klar. Zudem wurde ich emotional erpresst und manipuliert. Heute nutzt man dafür auch den Begriff Gaslighting.

Vier Jahre dauerte diese Beziehung. Was hat dich aus dieser Situation herausgeholt?

Ich schaffte es erst, als ich Anfang 2015 meinen jetzigen Ex-Freund kennenlernte, der mit einer Engelsgeduld ein Dreivierteljahr wartete, bis ich mich endgültig auf etwas Neues einlassen konnte. Wir waren über sieben Jahre zusammen und sind auch heute sehr gut befreundet und sehen uns jede Woche. Darüber hinaus hat mir eine Therapie, die über sechs Jahre ging, extrem geholfen.

Gewalt ist keine Privatsache

Was können Außenstehende deiner Meinung nach tun, um anderen zu helfen, die in einer toxischen Beziehung stecken?

Nicht wegschauen! Gewalt ist niemals Privatsache und fängt nicht erst bei Schlägen an. Man sollte mit der betroffenen Person reden, ihr klarmachen, dass das, was passiert, nicht normal ist und was für Konsequenzen das für sie haben kann, wenn sie darin verharrt. Ihr aber auch erklären, dass man immer da ist, sie jederzeit zu einem kommen/anrufen kann. Konkrete Hilfsangebote können ebenfalls enorm nützlich sein. Nummern von Hilfetelefonen raussuchen, bei Frauenhäusern anrufen, gemeinsam Therapeuten anschreiben, Selbsthilfegruppen recherchieren, Optionen durchgehen, zeigen, dass die Person nichts allein schaffen muss, denn dafür fehlt Betroffenen oft die Kraft. Es gibt auch Hilfetelefone oder Beratungen für Menschen, die Angehörige/Freunde haben, die von Gewalt/toxischen Beziehungen betroffen sind.

Auch wenn du Ortsangaben und Namen von Personen verändert hast, ist erkennbar, wo die Geschichten spielen. Schüler, die in den 90er und 2000er deine Schulen besucht haben, erkennen sicher auch Lehrer – welche Reaktionen gab es auf dein Buch?

Tatsächlich hatte ich ein bisschen Bammel vorm Feedback von Personen aus meinem damaligen Umfeld. Aber es geht in meinem Buch nicht um Schuldzuweisungen. Reaktionen von ehemaligen Lehrkräften gab es bislang aber keine. Dafür von ehemaligen Mitschülern – alles durchweg positiv. Das Feedback berührt mich sehr. Teilweise musste ich sogar weinen vor Rührung. Es ist wahnsinnig spannend zu erfahren, was meine Geschichte bei anderen auslöst. Mit „dem Jungen“ habe ich mich ein paar Mal getroffen und ausgesprochen, meine Familie ist super stolz auf mich, meine Freunde begleiten mich oft zu Lesungen.