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Geschichte in der Altmark Salzwedeler Heimatgeschichte - Auf den Spuren eines Stadtoberinspektors

Als im Kaiserreich die Arbeit von Kindern unter 12 Jahren verboten und Rosa Luxemburg in Zwickau wegen Majestätsbeleidigung verurteilt wurde, kam Erich Lichterfeld auf die Welt. Ein Mann, der in Salzwedel aufgrund seiner Arbeit Anerkennung erfahren sollte. Doch wer war dieser adrett gekleidete Zylinderträger?

Von Alexander Rekow 25.06.2023, 06:00
Max Erich Oskar Lichterfeld und seine Gattin, Charlotte Ottilie  Friederike Lichterfeld, geb. Drenkwitz nach ihrer Vermählung am 29. November 1929  im Hof des Rathauses in Salzwedel.
Max Erich Oskar Lichterfeld und seine Gattin, Charlotte Ottilie Friederike Lichterfeld, geb. Drenkwitz nach ihrer Vermählung am 29. November 1929 im Hof des Rathauses in Salzwedel. Foto/Repro: Familienalbum/Holger Hartmann

Salzwedel - Es waren unruhige Zeiten, als Erich Lichterfeld großes vor hatte. Der sogenannte „Blutmai“ in Berlin war in aller Munde, als Polizisten 1929 hart gegen die Menschen der kommunistischen Maidemonstration vorgingen. Für Erich Lichterfeld war es ein besonderes Jahr. Im speziellen der 29. November. Nicht, weil der US-Amerikaner Richard Evelyn Byrd als erster Mensch den Südpol überflog. Genauso wenig wegen Reichsinnenminister Carl Severing (SPD), der an diesem Tag bei der 365. Kabinettssitzung womöglich viel zu sagen hatte.

Es war sein Hochzeitstag. Mit Frack und Zylinder gab Erich Lichterfeld seiner Charlotte im Salzwedeler Rathaus das Ja-Wort.

„Mein Opa wurde 1904 in Oranienburg als Sohn eines Schleusenwärters geboren“, erzählt Holger Hartmann aus Kemnitz. Der Enkel hatte kürzlich das Sandsteinportal des Salzwedeler Rathauses in der Volksstimme entdeckt. Jenes Portal, durch das Erich Lichterfeld seine Charlotte am 29. November 1929 führte, um in einer bereitstehenden Limousine ins Liebesglück zu fahren. Ein Kollege des Bräutigams habe aus einem Bürofenster des Rathauses auf den Auslöser gedrückt und den Moment festgehalten, so Holger Hartmann.

Er war ein liebenswerter fleißiger Familienmensch und für mich und meinen Bruder Vaterersatz.

Holger Hartmann, Kemnitz

Dass Erich Lichterfeld samt Gattin an diesem Tag offensichtlich von einem Beamten abgelichtet wurden, hatte seinen Grund. Denn im Salzwedeler Stadtarchiv findet sich eine dicke Personalakte des gebürtigen Oranienburgers. Denn der Schleusenanwärter-Sohn schaffte es in Salzwedel zu einem angesehenen Mann.

Nach einer Ausbildung zum Finanzverwalter in Oranienburg und Anstellungen bei der Sparkasse wie auch der dortigen Verwaltung, verschlug es Erich Lichterfeld nach Salzwedel. Ihm sei in der Stadt des Baumkuchens eine Anstellung beim Magistrat angeboten worden, weiß der Enkelsohn. „Hier wurde er 1923 als Beamtenanwärter angestellt, absolvierte die Beamtenschule in Aschersleben und wurde 1927 als Beamter berufen.“

Max Erich Oskar Lichterfeld lernte Schleusenwärter in Oranienburg.
Max Erich Oskar Lichterfeld lernte Schleusenwärter in Oranienburg.
Repro/Foto: Familienalbum Holger Hartmann

Von 1923 bis zur Einziehung in den Kriegsdienst 1943 hatte Erich Lichterfeld für die Stadtverwaltung gearbeitet, bestätigt Stadtarchivar Steffen Langusch. Und das offenbar sehr erfolgreich. Das geht aus einem Zeugnis von 1949 des damaligen LDPD-Bürgermeisters Dr. Friedrich-Wilhelm Meyer hervor, so Langusch. Salzwedel hatte damals einen Oberbürgermeister, Otto Garz von der SED, und zwei Bürgermeister, darunter einen von einer der Blockparteien. Ab 1950 war es übrigens wieder nur noch ein Bürgermeister.

Doch zurück zum Zeugnis. Demnach erledigte er seine Arbeiten „mit sichtbarem Erfolge“ und galt „als einer der befähigtsten Beamten der Stadtverwaltung“, ist dort zu lesen. „Ab 1939 soll er sogar die, durch fachliches Können und Wissen verdiente, gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung Stadtoberinspektor’ geführt haben“, erklärt der Stadtarchivar.

Charlotte Ottilie  Friederike Lichterfeld, geb. Drenkwitz, als junge Frau.
Charlotte Ottilie Friederike Lichterfeld, geb. Drenkwitz, als junge Frau.
Repro/Foto: Familienalbum Holger Hartmann

1927, als Lichterfeld zum Beamten berufen wurde, soll die große Liebe in sein Leben gekommen sein, spekuliert der Enkelsohn. Charlotte Ottilie Friederike Lichterfeld, geborene Drenkwitz, wurde 1905 als Tochter des Reisenden Richard Drenkwitz und Enkelin des Salzwedeler Buchdruckers Weber an der Kleinen Pagenbergstraße geboren, so Holger Hartmann zum Familienhintergrund seiner Großmutter. „Sie wurde Schneiderin und arbeitete bis zur Geburt des ersten Kindes im Kaufhaus Ramelow.“

Ein Lehr-Brief der Handwerkskammer Magdeburg bestätigt, dass sie von 1919 bis 1922 das Schneiderinnen-Handwerk dort lernte. „Auf Grund der vor dem Prüfungs-Ausschusse dargelegten Fähigkeiten wurde der Lehrling Charlotte Drenkwitz zur Gesellin gesprochen und zum Urkund dessen ihm dieser Lehrbrief ausgefertigt“, ist darin zu lesen. Ausgestellt am 31. März 1922. Obendrein bekam sie einen Tag später ihr Zeugnis von der Gewerblichen Fortbildungsschule der Stadt Salzwedel, wo ihr eine sehr gute Führung im Unterricht bescheinigt wurde. Berufs- und Bürgerkunde, schriftliche Arbeiten, Buchführung, Rechnen: alles gut.

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„Während des Krieges war mein Opa unter anderem Standesbeamter“, weiß Holger Hartmann weiter zu berichten. 1943 sei er eingezogen worden. Aufgrund der Mitgliedschaft in der NSDAP ab 1939 wurde Lichterfeld vom Präsidenten der Provinz Sachsen aus dem Staatsdienst aber entlassen.

1939 – das sei ziemlich spät passiert, so Steffen Langusch. „Möglicherweise war das damals Voraussetzung, die Bezeichnung Stadtoberinspektor zu bekommen.“ Ansonsten sei wohl der Beamtenstatus Grund genug für seine Entlassung im Jahr 1945 gewesen.

Bestanden am 31. März 1922: Charlotte Lichterfeld wurde bei der Firma Gustav Ramelow in Salzwedel zur Schneiderin ausgebildet.
Bestanden am 31. März 1922: Charlotte Lichterfeld wurde bei der Firma Gustav Ramelow in Salzwedel zur Schneiderin ausgebildet.
Repro/Foto: Familienalbum Holger Hartmann

Nach dem Krieg habe Erich Lichterfeld noch als Buchhalter bei der VEAB und PGH Baustein des Friedens gearbeitet, so der Enkel. „Er war ein liebenswerter fleißiger Familienmensch und für mich und meinen Bruder Vaterersatz“, so Hartmann, der seinen Großvater 1983 zu Grabe tragen musste.