Trauergottesdienst Salzwedel verneigt sich
Landrat, Bürgermeisterin, Wegbegleiter: Menschen der Region haben Helga Weyhe, Deutschlands ältester Buchhändlerin, gedacht.
Salzwedel l „Wir trauern miteinander“, sagt Pfarrerin Annette von Biela in der imposanten Marienkirche der alten Hansestadt. Auf den Bänken liegen Bilder der am 4. Januar verstorbenen ältesten Buchhändlerin Deutschlands. Kerzen spenden den Trauergästen an diesem bitterkalten Februartag Licht und Wärme. Unweit des Altars, neben einem Foto Weyhes, die Urne. Es wird der letzte Weg von Salzwedels Ehrenbürgerin. Nicht allein, sondern im Beisein von Familie, Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Literatur und Kultur. Gefühlt verabschiedet sich eine ganze Stadt.
„Helga Weyhes Lebensweg hat sich dort gerundet, wo er seinen Anfang genommen hat – in der Altperverstraße hier in Salzwedel. An einem Montag im Advent ist sie auf die Welt gekommen, an einem Montag in der Weihnachtszeit hat sie sich von der Erde verabschiedet“, sagt ihre Großnichte Ute Lemm in einer bewegenden Abschiedsrede. Sie ist die Enkelin von Helga Weyhes Schwester Ingeborg. „Ich glaube, über wenige Menschen kann man so klar sagen, dass sie, obwohl sie den größten Teil ihres Lebens allein gelebt haben, nicht einsam gewesen sind.“ Doch über ihre Großtante Helga könne man dies. Dies zeigt sich auch bei der Urne. „Ich finde es tröstlich, dass wir heute Tante Helga in einer Urne zur letzten Ruhe betten dürfen, die eine ihr freundschaftlich zugewandte Töpferin angefertigt hat“, so Ute Lemm. Die Rede ist von Helga Geissler aus Molitz im Altmarkkreis.
Neben Geissler fanden auch weitere Westaltmärker den Weg in das Gotteshaus, um sich von Helga Weyhe zu verabschieden. Neben Landrat Michael Ziche und Salzwedels Bürgermeisterin Sabine Blümel sitzen Vertreter des Bürgermeisterhofes, des Kunsthauses und Kollegen des Buchhandels in den Reihen. Dazu noch Stadträte, Museumsleiter und Autoren. Axel Kahrs gehört zu letzteren und hat in seiner Gedenkansprache denkwürdige Worte gefunden: „Die deutsche Geschichte, voll an bitteren Momenten und dunklen Stunden, hat das 98 Jahre währende Leben von Helga Weyhe hart und oft bedrückend geformt.“ Um so bewundernswerter sei es, dass die bescheidene, tapfere Frau es geschafft habe, ihrem Lebensweg eine eigene Richtung zu geben, die Respekt und Hochachtung verdiene.
In ihren Büchern habe Helga Weyhe Fülle und Vielfalt, Schönheit und Trost, Traum, Ermutigung und Aufbruch in andere Welten gefunden, so Axel Kahrs weiter. „Alles, was ihr im realen Leben versagt blieb.“ Anfangs seien ihr noch Ausbrüche bei Reisen gegönnt gewesen. „Aber dann kam die lange Durststrecke, fast vier Jahrzehnte blieb sie abseits des Kalten Krieges, in einer amputierten Stadt ohne Hinterland.“
„Am schlimmsten war es, als man nicht mehr merkte, dass man eingeschränkt war“, sagte Helga Weyhe 2012 in einem Interview: „Ich wollte nur schnell alt werden, um ‚mauermündig‘ zu werden und reisen zu können.“ Eine in ihrer Tragik erschütternde Aussage, befindet Schriftsteller Axel Kahrs. Aber sie sei geblieben, habe durchgehalten, privat wie beruflich. „Ihre Buchhandlung war dabei nie nur eine Verkaufsstelle von bedrucktem Papier, sondern wurde mehr und mehr Ausdruck ihres Denkens und Fühlens.“
Helga Weyhe habe Wege und Welten eröffnet, die über Gespräche und den Verkauf hinausgingen, sagt indes Pfarrerin Annette von Biela, die Helga Weyhe mit einem Gebet von der Welt entlässt. „Es war eine starke Frau.“ Nun aber sei sie angekommen – bei Gott.
Mit dem Trauergottesdienst hat die Familie um Helga Weyhe einen würdigen Rahmen gefunden, damit sich die Salzwedeler von ihrer Buchhändlerin, einem Jahrzehnte vertrauten Gesicht, verabschieden können. „Wenn alles klappt, öffnen wir noch einmal ihren Buchladen“, versichert Ute Lemm. Ein letzter Gang zwischen der Literatur, die Helga Weyhe die Welt bedeutete.