Dario Malkowski Die Leidenschaft ruht nie
Auf 90 Jahre blickt Dario Malkowski zurück. Sein Leben ist geprägt von einem enormen Schicksalsschlag und seinem künstlerischen Schaffen.
Schönebeck l Ruhig liegen die Hände auf dem Tisch. Sie sind markant. Groß. Kräftig. Sie können anpacken. Gleichzeitig können sie sehr gefühlvoll vorgehen. Zwei Eigenschaften, die Dario Malkowski geschickt zu nutzen weiß. Denn der Bildhauer und Keramiker hat Skulpturen geschaffen, die von Schönheit und Intensität her glänzen genauso wie sie die Zerbrechlichkeit des Lebens und die Kraft eines jeden Menschen zeigen. Eigentlich erklären sich die Werke alle selbst.
Erwähnt werden muss noch etwas: Dario Malkowski ist seit seinem 19. Lebensjahr blind. Am 14. Juni hat der Schönebecker seinen 90. Geburtstag gefeiert - im Kreise seiner Familie und Weggefährten. Eine Besonderheit spricht noch für ihn: Er ist einer der wenigen Künstler, denen zu Lebzeiten eine Dauerausstellung gewidmet wird. Sie ist im Industriemuseum „imuset“ in Schönebeck zu sehen.
Stolz kann der Künstler darauf zu Recht sein. Dem Künstler selbst gefällt sie. Von einzelnen Besuchern hat er Kritik gehört. Nicht an seinen Werken, sondern hinsichtlich der Erklärung. Es stellt sich also die Frage, inwiefern die Intention des Künstlers erläutert werden muss. Dario Malkowski versteht das teilweise. Schließlich setzen manche Kunstwerke ein gewisses Wissen voraus. Zum Beispiel bei dem „Buch mit sieben Siegeln“, das er 2000 aus Terrakotta geschaffen hat. Diese Geschichte um dieses Buch stammt aus dem Neuen Testament. Sie besagt, dass beim Öffnen aller sieben Siegel die Apokalypse ausgelöst wird. Um die Aussage zu verstärken, hat der Künstler auf sein „Buch mit sieben Siegeln“ zusätzlich eine Kröte draufgesetzt. „Hier habe ich zwei Sagen miteinander verbunden“, sagt er. Denn die Kröte stammt aus dem Griechischen: Da wo die Kröte sitzt, gilt sie als Warnzeichen. Doppelte Warnung also.
Künstlerische Freiheit nennt man das. Für Dario Malkowski ist das fast schon eine Tugend, die man sich vielleicht auch erarbeiten muss. Genügend Erfahrungen hat er damit jedenfalls in seinem langjährigen Schaffen gemacht. Bestes Beispiel, so der 90-Jährige, ist die Darstellung von Jesus am Kreuz. Für den bekennenden Christen sollte dieser Moment nicht als Tod, als Niederlage, als Leiden dargestellt werden. „Für mich ist er der Überwindende“, erklärt Dario Malkowski. Deshalb ist „sein“ Jesus nicht gekreuzigt. „Mit dieser Auslegung bin ich bei dem einen oder anderen angeeckt“, gibt der Schönebecker zu. Rückschrecken lässt er sich davon nicht.
Schließlich ist Dario Malkowski schon immer auch ein sturer Mensch gewesen. Er hat seine Auffassung und daran hält er fest. Das macht ihm nicht immer Freunde. Es zeigt wiederum, welch starker Charakter diesen Ausnahmekünstler ausmacht. Stark muss er wirklich sein. Anders hätte er seinen Lebensweg nicht derart bestreiten können.
Angefangen hat alles 1944. Da wurde der damals 18-jährige Schönebecker zum Militär eingezogen - der Wendepunkt im Leben. Denn Dario Malkowski verliert durch einen Granatsplitter sein Augenlicht. Er kehrt als Vollblinder in seine Heimat zurück. Also was tun? In seinen vorherigen Betrieb die Junkerswerke in die Abteilung Konstruktion konnte er nicht zurück. Er muss komplett neu anfangen. Nicht nur beruflich. Überhaupt. Denn ab nun ist die Welt dunkel. Für Dario Malkowski beginnt eine neue Zeit. Mit seinen kräftigen Händen ertastet er die Welt neu. Lässt sich von Hindernissen auf seinem Weg nicht stören, stattdessen absolviert er von 1949 bis 1953 ein Kunststudium an den Fachschulen für angewandte Kunst in Magdeburg und Leipzig. Von da an ist seine Karriere sicher nicht „hürdenfrei“. Der Bildhauer und Keramiker muss sich durchbeißen. Immer wieder beweist er sich. Immer wieder liegen da Steine im Weg, denen der Blinde ausweicht oder die er gar aus dem Weg räumt. Durchhaltevermögen, Rückgrat, ein gefestigter Glaube an Gott und vor allem an sich selbst sind wesentliche Eigenschaften, die den Schönebecker ausmachen.
Vieles hat er dadurch geschafft. In Europa ist er bekannt. Im Braille-Museum in Paris ist zum Beispiel seine Büste von Louis Braille zu sehen. Plastiken, Skulpturen, Keramiken hat Dario Malkowski geschaffen, manches als Miniatur, anderes größer als er selbst. Auch in seiner Heimatstadt ist er vertreten. In der Plötzkyer Maria-Magdalena-Kirche befinden sich beispielsweise das Meditationskreuz mit Taube (1979) und die Pilatus-Figur (1996) und im Solequell befindet sich die „Soleperle“ (1999). Er widmet sich der Arbeit mit Ton, Keramik, Holz, Stein ... Es gibt kein Medium, das unter den Händen des blinden Künstlers nicht gefügig wird.
Hätte Dario Malkowski , der oft als der Mann mit den sehenden Händen betitelt wird, diese Kunst auch geschaffen, wenn er nicht mit 18 Jahren erblindet wäre? Für den 90-Jährigen liegt die Antwort auf der Hand. „Ich wollte Maler werden“, sagt er und muss sich im gleichen Atemzug beherrschen. Kurz schluckt er und sagt dann mit gefasster Stimme ein Gedicht auf. „Ein Erblindeter“ heißt es. Verfasst hat es Dario Malkowski Ende der 1940er Jahre. Darin erzählt er von seinem Verlangen nach Licht und Sonne. Es ist ein bedrückender Moment. Dann bricht Malkowski das Schweigen. „Da darf ich nicht dran denken“, sagt er. Gleichwohl betont der 90-Jährige, dass er wegen seines Schicksalschlages nicht verbittert sei. „Im Rahmen dessen, was möglich ist, habe ich schöne Stunden verbracht“, sagt er. Und: „Ich habe meine Erfüllung gefunden, was ich nie geglaubt hatte.“
1995 erhielt Dario Malkowski unter anderem als Erster den damals neu gestifteten Rathauspreis der Stadt Schönebeck, 2004 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen, seit 2011 ist er Ehrenbürger seiner Heimatstadt.
In seinem langjährigen Schaffen sind Grenzerfahrungen immer wieder der Quell neuer Kunstwerke. In ihnen spiegelt er seine Gefühle wider. Sie alle erzählen von dem Leben des Dario Malkowski. Eine Art Lebensbuch in Form der Kunst. Da ist zum Beispiel die flache Vase, aus der der Quell des Lebens entspringt. Alles ist in Bewegung, rund und ruhig. Es ist das Symbol für eine ganz bestimmte Maxime: „Es geht weiter.“ Geschaffen hat sie Dario Malkowski, als seine Frau Regina operiert wurde. „Ich hatte mir sehr große Sorgen gemacht, ob sie überlebt“, erinnert er sich. In einer Nacht brachte er all seine Gefühle in „Kaskade“ (1982) zusammen.
In dem gleichen Regal steht eine weitere Skulptur - „Zuspruch“ von 2011. Sie entstand, als es dem Schönebecker selbst sehr schlecht ging. „Ich war im Krankenhaus und keiner wusste, was mir fehlt“, erzählt er. Dario Malkowski nahm ab, verlor seine Kraft. „Ich dachte, ich sterbe.“ Auf eigene Faust entließ er sich aus dem Krankenhaus. „Zuhause hat mir meine Frau immer gut zugeredet und Hoffnung gemacht“, sagt er weiter. Sie ist eben nicht nur die erste Kritikerin seiner Arbeiten und jene Frau, die die Glasuren vornimmt, sondern sie ist diejenige, die Dario Malkowski zu einem glücklichen Menschen macht. Es ist eine enge, kaum zu beschreibende Bindung, die zwischen den beiden besteht. Zu sehen sind diese Liebe und die damals schwierige Situation in den zwei Vögeln aus Lindenholz. Der eine ist schwach, der andere ist zu ihm gewandt und spricht ihm mitfühlend in das Ohr.
Muss man das erklären? Nein. Die Skulptur steht für sich. Wer sie mag, der mag sie. Oder eben nicht. Doch Dario Malkowski weiß: „Meine eigenen Werke sind meist erfolgreicher geworden als die Auftragswerke.“ So viel zur künstlerischen Freiheit.
Sie ist ihm wichtig. „Ich lehre immer meine Leute, dass sie die Geschicklichkeit der Darstellung mit der geistigen Fähigkeit des Künstlers verbinden“, sagt er. Zu hören bekommen haben das bis heute schon Einige. Denn seit nunmehr 61 Jahren unterrichtet der Künstler in verschiedenen Zirkeln. Anfangs Kinder und Erwachsene, später leitete er auch Weiterbildungen an. Nicht unbekannte Berufskünstler sind durch seine sicher nicht einfache Schule gegangen. Heute mit 90 Jahren betreut er noch immer wöchentlich zwei Zirkel mit Erwachsenen. „Manche sind 20, 30 und sogar 40 Jahre dabei“, sagt Dario Malkowski. „Das würden sie doch nicht, wenn sie die Gemeinschaft nicht zusammenfügt.“
Sicher ist der Künstler heute ruhiger, seine Anforderungen an seine Schüler nicht mehr so streng. Doch seinen Anspruch bewahrt er sich. Wenngleich er selbst nicht mehr ganz so kann wie er möchte. Große Skulpturen bewerkstelligt er kaum noch, da er nicht mehr lange stehen kann. Aktuell hat der Jubilar Probleme mit den Händen, nach einer Operation spielen die Nerven noch nicht richtig mit. Deshalb ruht die Kunst. Er spricht von einer Schaffens-Zwangspause. Wenngleich der Künstler schon lange eine neue künstlerische Idee in seinem Geiste formt.
Dario Malkowski gibt nicht auf, er will sich nicht in den künstlerischen Ruhestand versetzen. Stattdessen übt er täglich. „Nach der OP konnte ich die Blindenschrift gar nicht mehr lesen“, blickt er auf ein paar Monate zurück. Inzwischen habe er fast 80 Prozent seines Gefühls wieder erlangt. Das ist eine Leistung. Für den Schönebecker nicht ganz: „Mir geht das zu langsam.“ Er ist eben durch und durch ein Künstler. Die Leidenschaft ruht nie.