Wolfgang Weißing restaurierte Barbyer Adventssymbol / Haus hat auch eine dunkle Geschichte Die Auferstehung eines nickenden Weihnachtsmannes aus dem Gerümpelberg
Er hat Generationen von Kindern durch die Adventszeit begleitet: Der nickende Weihnachtsmann in Barbys Drogerie am Rathaus. Jetzt ist die verloren geglaubte Figur wieder aufgetaucht. Mit dem Haus verbindet sich aber auch eine Geschichte aus Deutschlands schwärzester Zeit.
Barby l "Nein, das ist er nicht, das ist ein anderer", schüttelt Hanna Höhne zweifelnd den Kopf. Die 88-Jährige war Jahrzehnte in der Drogerie beschäftigt, deren Inhaber erst Karl Ziegler, dann bis 2001 Hans-Joachim Baum war. Es geht um den nickenden Weihnachtsmann, der jahrzehntelang das wohl populärste Weihnachtssymbol der Elbestadt war. Mit einer Laterne in der Hand nickte der freundliche Pappmaché-Kamerad im Schaufenster, das stets liebevoll dekoriert wurde.
Was Hanna Höhne sich nicht vorstellen kann, ist doch Tatsache. Wolfgang Weißing, dem das Haus seit 1996 gehört, ließ den Weihnachtsmann nach rund 25 Jahren quasi wieder auferstehen. "Wir haben die Figur vor elf Jahren im Lager gefunden", erzählt er. Und weil bei dem 64-Jährigen selbst die Kindheitserinnerungen anklopften, legte er Hand an.
"An einem statischen Weihnachtsmann wäre nichts Besonderes. Aber das Nicken machte ihn zum Sympathieträger."
Der nickende Mann mit dem gutmütigen Gesicht und der Knollennase war im jämmerlichen Zustand, als ihn Weißing fand. "Er lag in alle Einzelteile verstreut - was Pappe, Haar und Stoff war, hatten die Mäuse zerfressen", erzählt der Tischlermeister im Ruhestand. Dann machte er sich ans Werk. Im Internet wurden passender Stoff und Zubehörteile bestellt, eine Schneiderin in Glinde beauftragt und schließlich alles zusammengefügt.
Zum Barbyer Weihnachtsmarkt war die Nick-Figur nach jahrzehntelanger Abstinenz am 1. Advent wieder auferstanden. Wie Phönix aus der Asche, sozusagen, da bei Weißings Hauserwerb die Lagerräume vollgekramt waren, als drohte schon damals der Weltuntergang.
"An einem statischen Weihnachtsmann wäre nichts Besonderes. Aber das Nicken machte ihm zum Sympathieträger", sagt Ralph Gaßler, der die Figur in den 80er Jahre mehrmals reparierte. Das geschah mittels zweier Magneten, die über einen Neigungsschalter, einem sogenannten Quecksilber-Schweinchen, an- und abgeschaltet wurden. Auch der 59-Jährige - seine Frau Roswitha war dort Verkäuferin - konnte sich nicht vorstellen, dass der Pappkamerad noch existierte. Ebenso wie Regina Busse (56), deren Mutter Lucie Niemann (86) zehn Jahre lang hinter dem Landentisch stand. "Der war wunderbar: Ich habe an kalten Winterabenden als Kind vor dem Schaufenster gestanden und mir was gewünscht", lächelt Regina Busse. Und weil der Weihnachtsmann diese Wünsche abnickte, klappte es auch Heiligabend zumeist.
"Mit dem Drogisten Krebs besteht absolut keine behördliche Verbindung der Firmenbezeichnung \'Rathausdrogerie\'."
Selbst Wolfgang Weißing hat mit seinen 64 Lenzen ähnlich gute Erinnerungen. "Der hat schon genickt, als ich mit meiner Großmutter kleine Kerzen für die Geburtstagstorte gekauft habe."
Doch mit diesem Haus lassen sich nicht nur heimelige Erinnerungen verbinden. Tragisch war die Geschichte des Drogisten Georg Krebs, der mit der Jüdin Liesi Freundenberg verheiratet war.
Er hatte die Drogerie 1929 eröffnet, die er wegen der Nähe zum gegenüber liegenden Rathaus "Rathausdrogerie" nannte. Im August 1935 erkannte NSDAP-Bürgermeister Friedrich Metzig Georg Krebs die Führung dieses Namens ab. In einer Begründung an den Landrat erklärte er: "Mit dem Drogisten Krebs besteht absolut keine behördliche Verbindung der Firmenbezeichnung \'Rathausdrogerie\' und deshalb habe ich die Führung der Firmenbezeichnung ... auf Grund einer polizeilichen Verfügung ... untersagt." In einem weiteren Schreiben an den Landrat bestätigte Metzig antisemitische Schmierereien, die es auch in Barby gab: "Es ist richtig, dass in den letzten Tagen an den alten Giebel des Rathauses eine Inschrift: \'Kauft nicht in der Drogerie Krebs ein, denn er ist ein Judenschwein\' ... geschrieben wurde." Außerdem hing an der Drogerie ein Schild: "Wer von Juden kauft, stirbt davon", an einer Litfaßsäule stand "G. Krebs ist ein Rassenschänder".
In der Pogromnacht vom 10. zum 11. November 1938 wurde die Drogerie sowie das Wohnhaus von Liesi und Georg Krebs in der Breite Straße 15 verwüstet, die Scheiben eingeschlagen.
Noch 1938 übernahm das Geschäft NSDAP-Mitglied Karl Ziegler, der es "Zentral-Drogerie" nannte. In dessen Zeit muss auch der nickende Weihnachtsmann angeschafft worden sein. Die Internetrecherche beschreibt vergleichbare "Werbeautomaten" kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.
Liesi Krebs überlebte den Holocaust nur, nachdem sie die Identität eines Berliner Bombenopfers angenommen hatte.
Prof. Dieter Engelmann schreibt 2008 in der Barbyer Chronik: "Es spricht von menschlicher Größe, dass sie (Georg und Liesi, d.A.) ihre erste Drogerie von dem neuen Besitzer (Ziegler, d.A.) nicht zurück forderten und keine Gedanken an Rache aufkommen ließen."
Quelle des geschichtlichen Teils: Engelmann/Ulrich, Chronik Barby 2008