Gehörlosenverein Einfach am Leben teilhaben
Den 110. Geburtstag hat der Gehörlosenverein Schönebeck gefeiert. Der Wunsch der Betroffenen ist simpel: Teilhabe am Leben.
Schönebeck l Das kann er also auch? Schönebecks Oberbürgermeister Bert Knoblauch (CDU) ist in der Tat vielseitig interessiert und kann in (fast) allen Themenbereichen ein Wörtchen mitreden. Dass ihm aber sogar die Gebärdensprache geläufig ist, dürfte überraschen. Sein Grußwort vor den Gästen des 110. Geburtstages des Schönebecker Gehörlosenvereins beginnt er statt mit Worten mit Gesten. Er wünscht einen guten Tag und bringt seine Freude zum Ausdruck, Gast der Veranstaltung im Schönebecker „Maxims“ zu sein. Und die Anwesenden, darunter viele Vertreter von Gehörlosenvereinen aus Sachsen-Anhalt (wie Stendal, Quedlinburg, Magdeburg), verstehen ihn. Doch spätestens nach der freundlichen Begrüßung muss Knoblauch die Waffen strecken. Er hatte sich extra für diesen Tag über eine Internetseite einige Gebärden beigebracht. Immerhin. Das Publikum honoriert die Geste mit dem für Gehörlose typischen Beifall: einer schnellen Drehbewegung der erhobenen Hände.
Verbal führt Knoblauch sein Grußwort weiter, das von einem Gebärdendolmetscher übersetzt wird. Er äußert sich anerkennend über die vom Verein über Jahrzehnte geleistete Arbeit, weist darauf hin, dass die Gebärdensprache inzwischen zu einer anerkannten Amtssprache in Deutschland gehört (weltweit aber keineswegs) und zeigt sich erfreut darüber, dass sich die Situation gehörloser Mitmenschen im Vergleich zu früheren Zeiten gesellschaftlich gesehen durchaus verbessert habe. Insbesondere gelte das für Schüler und Studenten, die an Bildungsstätten ganz selbstverständlich unterrichtet werden, wohingegen früher oft eine Ausgrenzung stattfand. Diese Teilhabe am Leben hätten sich Gruppen wie der Schönebecker Gehörlosenverein durch ihr Engagement erarbeitet. „Als Stadt wollen wir versuchen, so weit es geht bei Bauprojekten Barrierefreiheit zu schaffen und da, wo es uns möglich ist, auf die besondere Situation von gehörlosen Menschen Rücksicht zu nehmen“, sagt Knoblauch zu.
Frank Otto als Vorsitzender des Schönebecker Vereins und seine Stellvertreterin Sigrid König lassen die 110-jährige Geschichte der Interessensvereinigung Revue passieren. Sie weisen auf die „sportliche Note“ des Vereins hin, der schon immer körperliche Aktivität wie das Wandern oder das Bowling und früher noch das Kegeln für seine Mitglieder herausstellte. Für alle Hörenden halten sie fest: Es ist unglaublich schwer eine Sprache zu lernen, wenn ein Mensch gehörlos ist. „Wir wünschen uns einfach Teilhabe am Leben“, bringen es die beiden auf den Punkt, was sie sich von ihren hörenden Mitmenschen wünschen. Und toll wäre es, wenn die TV-Sender ganz selbstverständlich Untertitel einblenden würden. Von der Politik wünscht sich der Schönebecker Gehörlosenverein mehr Gebärdendolmetscher für das alltägliche Leben.
Zum lockeren Geburtstagsprogramm im „Maxims“ gehören ferner die Grußworte von Vertretern anderer Gehörlosenvereine, die Vorführung der Schönebecker Bauchtänzerin Conny Weddige und die Aufführung eines kleinen Theaterstücks durch zwei Frauen allein durch Mimik und Gestik.
Wer selbst ausprobieren will, wie zum Beispiel „Guten Tag“ in der Gebärdensprache ausgedrückt wird, kann sich im Internet unter der Adresse www.spreadthesign.com/ informieren. Übrigens unterscheidet sich die Gebärdensprache in den einzelnen Ländern. Ein „Guten Tag“ wird in Deutschland mit den Händen anders dargestellt als etwa in Frankreich, Italien oder Großbritannien. Es gibt also keine weltweit einheitliche Gebärdensprache.
Zu den Gästen der Geburtstagsfeier gehörten auch die Landtagsabgeordneten Petra Grimm-Benne (SPD) und Gunnar Schellenberger (CDU).