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  7. Historisch wertvoll aber schlechter Zustand: Barbys Betonstraßen fast ein Superlativ

Unternehmer Karl Witte führte Mitte der 1920er Jahre eine neue Straßenbautechnologie ein Historisch wertvoll aber schlechter Zustand: Barbys Betonstraßen fast ein Superlativ

Von Thomas Linßner 13.10.2011, 06:24

Eine der schlechtesten Fahrbahnen der Elbestadt hat die Bahnhofstraße zwischen den Einmündungen Magdeburger Tor und Froschvilla. Sie besitzt aber noch einen anderen Superlativ: Sie ist eine der ältesten Betonstraßen Deutschlands.

Barby. l Vor fünf Jahren legte der damalige Abgeordnete Fritz Bertram während einer Stadtratssitzung demonstrativ einen Betonbrocken dem Bürgermeister vor die Nase. Weil die Bahnhofstraße eine der ältesten Betonstraßen Deutschlands ist, sei das Fragment eine Antiquität, argumentierte Betram damals sarkastisch. Damit wies er auf den schlechten Zustand hin.

Seit Jahrzehnten hält sich hartnäckig ein Gerücht: Barbys Betonstraßen seien die ältesten des Landes, die nach Monplaisir führende sogar die Mutter aller Betonfahrbahnen. Man führte bei derartigen Behauptungen den Wahl-Barbyer Karl Witte (1891 bis 1965) ins Feld, der mehrere Straßen der Elbestadt im damals kaum bekannten Beton-Verfahren ausbaute.

Dieser Superlativ wäre natürlich touristisch gut vermarktbar. Doch stimmt er?

Erste Betonstraße wurde in Breslau 1888 gebaut

Die Recherche im Internet holt diese kühne Behauptung schnell vom Sockel. Auf mehreren Fachseiten steht übereinstimmend folgendes: Die erste Betonstraße Deutschlands entstand 1888 in Breslau (heute Wroclaw/Polen). 1904 wurde die erste in Österreich gebaut, die aber 1915 als unbrauchbar beurteilt wurde, da sie die Pferde zu sehr ermüdete.

Trotzdem können die Barbyer stolz darauf verweisen, dass der regionale Betonstraßenbau hier seine Wiege hat.

Der Historiker Andreas Radespiel bescheinigt Regierungsbaurat Karl Witte, dass er "bei Barby die erste Betonstraße der Magdeburger Region" baute.

Die führte nach Monplaisir, das nördlich der Elbestadt liegt. Hier hatte die Maizena ein neues Werk gebaut.

Prof. Dieter Engelmann beschreibt in der Barbyer Chronik (2008) genau, wie die Pioniertat zustande kam.

"Durch die mit dem Bau des Werkes stark zunehmende Verkehrsbelastung war der unbefestigte Feldweg nach Monplaisir in Folge fußhohen Schlamms unbefahrbar geworden.

Arbeiter und Angestellte konnten in der nassen Jahreszeit kaum trockenen Fußes ins Werk gelangen. Der Bau einer befestigten Straße wurde unumgänglich. In dieser Situation unterbreitete Baumeister Karl Witte, Schwiegersohn von Bürgermeister Emil Ohlen, der Stadt einen nahezu genialen Plan für den Bau und die Finanzierung einer den Anforderungen gerecht werdenden preiswerten Straße. Genial war der Plan insofern, als Witte zwei Probleme damit lösen konnte, ein technologisches, indem er mit seiner dazu entwickelten Methode des Betonstraßenbaus völliges Neuland beschritt, und ein soziales, weil er zum Bau nur Erwerbslose heranziehen wollte, die mit ausgeschriebenen Mitteln der Erwerbslosenfürsorge bezahlt werden konnten.

Maizena-Straße war 1370 Meter lang

Die technische Aufgabe bestand darin, eine 12 Meter breite Straße von 1370 Meter Länge (vom Durchlass bis zum Werk) in einer Spurbreite, die nur drei Meter betrug, zu befestigen sowie einen Fußweg von drei Meter Breite und einen Sommerweg von etwa sechs Meter Breite herzustellen."

Ein Materialkostenvergleich zwischen dem üblichen Steinpflaster und Wittes Betonstraße erbrachte eine Ersparnis von fast 50 Prozent.

"Zweitens ging er davon aus, dass es sich bei Erwerbslosen-arbeiten fast ausschließlich um reine Lohnarbeiten, wie beispielsweise für Erdbewegungen, handelte, bei denen sich die Baukosten fast zu 100 Prozent in Löhne umsetzten. Etwa 80 Prozent dafür kamen aus den Mitteln der produktiven Erwerbslosenhilfe, sodass die Stadt nur mit 20 Prozent belastet wurde", schreibt Engelmann.

Neben seiner klaren Kostenberechnung hätte Witte aber auch immer den sozialen Aspekt im Auge bahalten: So viel Handarbeit wie möglich - damit viele Arbeiter in Lohn und Brot kamen. Insgesamt gelang es ihm, rund 50 Prozent der Barbyer Arbeitslosen zu beschäftigen.

Bautrupp schaffte täglich 16 Meter Straße per Hand

Die tägliche Arbeitsleistung eines Bauttrupps betrug etwa 16 Meter Betonbahn.

Die Stadtverwaltung sah sich durch die hohe Arbeitslosigkeit veranlasst, 1929/30 weitere Notstandsarbeiten in Angriff zu nehmen.

"Die Bahnhofstraße, die Straße vor dem Magdeburger Tor, die Magdeburger Straße bis zur Schloßstraße und die Straße am Stadtgraben wurden mit einer Betondecke versehen, und der Landgraben wurde kanalisiert", schreibt der Barbyer "Hauskalender".

Karl Witte wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südwestafrika und Brasilien aus, kehrte aber Mitte der 50er Jahre nach Barby zurück. Hier starb er 1965, wurde aber in Magdeburg bestattet.