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Berufswelt Mit der extra Schippe Verantwortung

Volksstimme-Mitarbeiter schnuppern in der Serie "Einen Tag als ..." in Berufe hinein. Heute: Superintendent in Eggersdorf.

Von Heike Liensdorf 27.08.2019, 01:01

Eggersdorf/Wanzleben l „Bist du lutherisch oder reformiert getauft“, fragt mich meine Kollegin, als ich mit ihr über meinen anstehenden „Tag als ...“ erzähle. Ich schaue sie mit großen Augen an, staune über ihr Wissen – und bin überfordert. Evangelisch? Detaillierter ist es nicht vermerkt. Aber ich will mich bei Matthias Porzelle schlau fragen. Das ergibt sich von selbst, als er sich am Ende unseres gemeinsamen Tages sein Beffchen umbindet. Doch dazu später ...

Ich begleite den Eggersdorfer, um zu sehen, was ein Superintendent – der Ober-Pfarrer im Kirchenkreis – so macht. Einen Teil der Antwort kann wohl jeder geben: Gottesdienste am Sonntag, Andachten in der Woche, Taufen, Trauungen, Beerdigungen. Aber dann sind da auch noch Gesprächs-, Bibel-, Frauen- und Jugendkreise, Besuche (Seelsorge) und viel Organisatorisches, was die eigene Kirchengemeinde betrifft.

Manches davon gehört auch zu den Aufgaben eines Superintendenten, gerade wenn er einen Pfarrer vertritt. Aber vor allem hat er den Kirchenkreis personell und strukturell zu organisieren, nach außen zu repräsentieren. Er ist Vorsitzender des Kreiskirchenrates, muss für einen laufenden Betrieb sorgen. Er ist sozusagen der „Landrat des Kirchenkreises Egeln“.

Für meinen Besuch hat Matthias Porzelle einen Tag vorgeschlagen, der eine bunte Termin-Mischung bereithält. Konvent, Abschiedsgottesdienst, Baurunde, Kreiskirchenrat. Ich kann mir darunter nicht viel vorstellen – und freue mich auf die Erfahrung.

Ich werde gleich beim Konvent, der einmal monatlich stattfindet, herzlich begrüßt. Es ist eine Art Betriebsversammlung der drei Berufsgruppen im Verkündigungsdienst: Alle Mitarbeiter – Pfarrer, Gemeindepädagogen und Kirchenmusiker – des Kirchenkreises treffen sich. Dieses Mal im Haus des Kirchlichen Verwaltungsamtes in Wanzleben. Denn nur Superintendent, Baureferent und deren Mitarbeiter sitzen in Egeln. Das ist so gewachsen, sein Vorgänger ist dort auch Gemeindepfarrer gewesen.

Beim Konvent geht es um den Austausch von Erfahrungen, um Organisatorisches, um Personalien – um Allgemeines und Spezielles. Es gibt Zeit für Gespräche. Es gibt einen Fortbildungsteil. Es gibt natürlich auch eine Andacht – dieses Mal gehalten von Kirchenmusiker Carsten Miseler aus Schönebeck – und es wird gesungen. Ich profitiere von den vielen kräftigen Stimmen um mich herum: Ich kann mitsingen, ohne dass meine schrägen Töne auffallen.

Zu Beginn des Konvents werden auch mein Anliegen und ich vorgestellt sind. Als ich in der Pause mit Saskia Lieske, Pfarrerin in Ausbildung in Aschersleben, ins Gespräch komme, sagt sie spontan: „Also ich würde einen Tag mal Polizistin oder Lokführerin sein wollen.“ – „Und Sie?“, frage ich Matthias Porzelle, der gerade nach vielen Gesprächen unter vier oder sechs Augen an den Tisch zurückkommt. Der 47-Jährige muss nicht überlegen. „Ich würde einen Förster begleiten.“ Aus gutem Grund, holt er aus: Er ist in Haldensleben, der „Stadt zwischen den Wäldern“, groß geworden, im landwirtschaftlichen Umfeld aufgewachsen. „Früher war ich drauf und dran, Forstwirtschaft zu studieren.“ Seine Großmutter und Eltern sind sehr kirchlich. „Wir hatten einen ganz tollen Pfarrer. Hans-Joachim Borchert“, erinnert sich der Superintendent. „Gerade als Jugendlicher braucht man Vorbilder. Ich habe die Junge Gemeinde und den Jugendkreis besucht und gemerkt, wie sehr mich das prägt und wie existenziell die Fragen sind, mit denen wir uns dort auseinandergesetzt haben.“ Er studiert Theologie. Nach einem Wartejahr mit Bibelturm Wörlitz und Bibelbus-Tour absolviert er sein Vikariat (Pfarrer in Ausbildung) in der Stadtkirche Wittenberg. Dann Pfarrstelle in Biere, später Schönebeck-Land. Ab 2008 ist er stellvertretender Superintendent, 2011 amtierender, seit 2012 offizieller „Sup“.

Doch zurück zum Konvent. Wer denkt, dass alles steif und ernst zugeht, der irrt. Es wird munter erzählt und gelacht. Auch über den eigenen Beruf. „Mein Traumberuf? In der Woche Pfarrer, am Wochenende Lehrer“, sagt Matthias Porzelle augenzwinkernd in trauter Runde und in Anspielung auf die Ansicht einiger, Pfarrer würden doch nur die Gottesdienste am Sonntag haben. Und das wäre ja auch keine Arbeit, denn es heiße ja immer, sie feiern Gottesdienst. Humor haben sie, die Pfarrer. Schön!

Dann geht die „Betriebsversammlung“ weiter. Zig Punkte Organisatorisches. Pfarrer Johannes Beyer aus Schönebeck spricht Weiterbildungen an, lässt abstimmen, ob der unbesetzte zweite Sup-Stellvertreter jetzt oder später regulär gewählt werden soll ...

Nun übernimmt Matthias Porzelle. Er dankt für die Beteiligung am Landesposaunenfest Ende Mai in Schönebeck. „Wir konnten nicht erwarten, dass es so erfolgreich wird – wir haben es gehofft und uns gewünscht.“ Gerade die Kaffeetafel hat enormen Zuspruch gefunden. Auf dem Salzblumenplatz, mit Kaffee, Kuchen und „richtigem“ Geschirr. „Es gab unzählige Rückmeldungen, dass sie der große Knaller war.“ Das Fest hat viele Glückshormone freigesetzt, sagt er und dankt Miseler, der es initiiert und maßgeblich begleitet hat. Die nächste große Aktion steht bereits an und ist in Sack und Tüten: Ehrenamtsfest für die Gemeindekirchenräte am 30. August in Eggersdorf. Details werden besprochen.

Nächstes Thema: Gemeindekirchenrats-Wahlen. In einigen Bereichen werden sich keine Räte mehr bilden, sie werden zusammengelegt. Zum Beispiel Calbe-Trabitz-Schwarz. Für Löderburg laufen Gespräche, eventuell gibt es eine Zusammenarbeit mit Staßfurt. In Schönebeck-Frohse hat es zu wenige Kandidaten gegeben. Die Gewählten werden einem Gemeindekirchenrat der Stadt zugeordnet.

Matthias Porzelle muss anmerken, dass nicht nur da Leute fehlen. Auch die Stellen von kirchlichen Religionspädagogen sind unterbesetzt. Deshalb kann nicht überall, wo erwünscht, Unterricht angeboten werden ...

Nach drei Stunden Konvent wechseln wir den Ort des Geschehens. Es geht für alle in die Kirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Eine Abendmahlsandacht für Sabrina und Ekkehard Weber. Er ist bis dato gemeindepädagogischer Referent im Kirchenkreis, sie Schulgemeindepädagogin. Sie wohnten in Eilsleben und ziehen nun nach Leipzig. Superintendent Porzelle gestaltet die Andacht. In einem Nebenraum legt er den Talar an. Dass die Erntekrone nebenan eingepackt steht und Dekoartikel, das stört ihn nicht. Dann noch das Beffchen. Ich hake nach, was es damit auf sich hat. Es ist ein weißes, schmückendes Leinenstück am Hals über den Talar. Bei Pfarrern lutherischer Orientierung gehen die zwei Stoffstreifen leicht auseinander, bei reformierten sind sie fest verbunden. Halb offen tragen Geistliche der unierten Kirchen sie.

Ich horche auf: Lutherisch? Reformiert? Da war doch etwas. Ich erzähle ihm vom Gespräch mit meiner Kollegin. Er nickt und erklärt: Lutherisch und reformiert (oder calvinistisch) sind zwei unterschiedliche Zweige der evangelischen Kirche. Luther und Calvin haben verschiedene reformatorische Akzente gesetzt, und so gab es parallele Entwicklungen. Dass die Unterschiede aber die evangelische Kirche nicht entzweien sollte, war neben anderen auch König Friedrich-Wilhelm III. sehr wichtig. So hat er im 19. Jahrhundert in Preußen die Unionskirche aus beiden Richtungen geschaffen. Statt lutherisch oder reformiert heißt es deshalb uniert oder eben einfach evangelisch.

Aha, das erklärt, warum auf meiner Taufurkunde nur evangelisch vermerkt ist.

Seine Andacht ist schön, ich höre ihm gern zu. Die Worte hat er ebenso passend gewählt wie die Lieder. Dann kommt mein Einsatz. Ich bin mittendrin statt nur dabei. Ich übernehme die Lesung. Philipper 3, 7-14. Und bin zufrieden mit mir. Sicherlich nicht so routiniert wie alle anderen, die mit mir in der Kirche sind. Aber fürs erste Mal ...

Es ist Nachmittag – der Konvent beendet. Feierabend? Matthias Porzelle lacht und schüttelt den Kopf. „Im Büro wartet eine Menge Arbeit. Dann ist noch Baurunde und Kreiskirchenrat-Treffen.“ Okay. Wir einigen uns, dass ich an diesem Tag einfach mal einen Halbtagsjob habe und den anderen halben Tag wieder in meinem eigentlichen Beruf verbringe.

Wir telefonieren später noch einmal. Die monatliche Baurunde geht fix. Amtsleiter, Baureferent und er schauen, welche anstehende Maßnahme wie finanziert werden kann. Zum Beispiel soll das Umfeld von St. Jakobi in Schönebeck gestaltet, die Substanz von St. Stephani in Calbe weiter gesichert werden. Viel länger geht das Treffen des Kreiskirchenrates. Vier Stunden sitzen die 15 Mitglieder, davon acht ehrenamtliche, zusammen. Sie entscheiden über Bau- und Finanzanträge, über Personalfragen, Fortbildungen, aber auch über Baumfällarbeiten.

Gegen 23 Uhr geht sein Arbeitstag zu Ende, der für uns beide kurz vor 8 Uhr begann. Natürlich sind solche Tage nicht die Regel, gehören aber auch dazu. Da stellt sich mir die Frage nach der Arbeitszeit. Es ist ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, angesetzt mit 54 Wochenstunden. Ich schlucke.

Bleibt noch Zeit für Familie und Hobbys? „Es wäre schwierig, wenn meine Frau und die Familie nicht bereit wären, das mitzutragen, sich selbst einzubringen. Meine Frau Gudrun ist Gemeindepädagogin, sie arbeitet mit Kindern und Familien, bietet Krankenhausseelsorge an. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie es anders sein sollte, genießen aber auch durchaus alles, was neben den beruflichen Aufgaben möglich ist.“ Er geht gern zur Jagd. Ein eher ungewöhnliches Hobby für einen Pfarrer. Aber er hat ja erzählt von seiner landwirtschaftlichen Herkunft, dem frühen forstwirtschaftlichen Interesse.

Mein Fazit: Pfarrer-Sein heißt nicht nur, in der Kirche Gottes Wort zu verkünden. Es gibt viel zu planen, zu organisieren, abzustimmen. Dabei immer im Blick die Gemeindeglieder und die, die es werden wollen, die Generationen und ihre Befindlichkeiten. Pfarrer sind Verkünder, Sänger, Unterhalter, Moderator, Schlichter, Seelsorger, Organisator. Der Superintendent ist obendrauf noch Entscheider, Personaler, Finanzier und Bauherr. Vor allem sind sie eines: Mehr als nur der sonntägliche Gottesdienst.

Die nächste Folge der Sommerserie erscheint am Dienstag, 3. September: Dann arbeitet René Kiel im Museum. Bisher arbeiteten Olaf Koch als Bierbrauer, Enrico Joo als Schwimmmeister, Thomas Linßner als Kindergärtner, Falk Rockmann als Betonbauer, Sebastian Rose als Bootslehrer, Nora Stuhr als Tätowiererin und Jan Iven als Polizist, Franziska Richter als Straßenwärterin.