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SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück macht auf seiner Ländertour Station an der Saale Nienburg lässt die Schule in der Stadt

Von Ulrich Meinhard 29.05.2013, 03:16

Nienburg. Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, hat gestern die Saalestadt Nienburg besucht. Nach einer Besichtung der Marienkirche und des Marktplatzes gab es im Rathaus eine Gesprächsrunde zum Thema demografische Entwicklung.

"Warum steht Ihr denn abseits?" Nienburgs Bürgermeister Markus Bauer löst sich aus der großen Menschengruppe, die wartend vor der Klosterkirche St. Marien steht. Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, hat sich angesagt. Er und sein Tross müssen jeden Moment ankommen. Bauer, selbst SPD-Mitglied, schüttelt jedem der sieben abseits Stehenden die Hand. "Ach", sagt jemand aus der kleinen Gruppe, "wetten, dass er uns zuerst begrüßen wird?"

Diese Prognose erfüllt sich dann aber doch nicht. Steinbrück steuert automatisch zur Mehrheit. Markus Bauer winkt sogleich den Jüngsten heran. Paul Engel drückt mit seinen 14 Lenzen das Durchschnittsalter der Runde ordentlich nach unten. Steinbrück zieht die Augenbrauen hoch. "Ist jetzt nicht Schule?", fragt er. Aber alles ist gut. Auch die Lehrerin des Schülers ist anwesend. Er darf und soll später an einer Gesprächsrunde teilnehmen, die den demografischen Wandel thematisiert. Vereinsarbeit und Ehrenamt, sagt Bauer, seien wichtige Instrumente, um den negativen Auswirkungen des Einwohnerschwunds aktiv entgegen zu wirken. Und Paul Engel ist aktiv: Er verantwortet die Schülerzeitung und wirkt im örtlichen Karnevalclub mit.

Doch der Jugendliche ist nicht die einzige Überraschung für den Gast. Steinbrück staunt über die altehrwürdige Kirche St. Marien und St. Cyprian, in der die Ökumene lange Tradition hat, wie ihm Vertreter der Evangelischen und der Katholischen Kirche versichern.

An Ort und Stelle darf der Kandidat einer Premiere beiwohnen. Der Klosterhof, der sich dem Gotteshaus anschließt, war fast 150 Jahre total verbaut. Lange Zeit hatte hier eine Malzfabrik produziert und ihre Spuren hinterlassen. Der Klosterhof war quasi eine Industriebrache. Zehn Jahre Planung und Organisation waren nötig, um Fördermittel für eine Beräumung der historischen Anlage aufzustöbern. Inzwischen sind 47000 Kubikmeter Schutt, Erde und Gerümpel abtransportiert worden. "Das sind 50 Wohnhäuser", rechnet Heinfried Stuve zur besseren plastischen Vorstellung um. Der Architekt aus Dessau hat die Arbeiten überwacht. In vier Wochen sollen sie abgeschlossen sein. Steinbrück ist einer der Ersten, der einen Blick werfen kann auf den freigelegten alten Klosterhof. Was nun mit ihm passiert, soll sich alsbald entscheiden. Die Ideenfindung dauere noch an, macht der Bürgermeister klar.

Dann geht es zurück auf weltlichen Boden. Der Abstecher in eine am Wege liegende Grundschule liegt nahe. Knapp 80 Damen und Herren - darunter Medienvertreter, Sicherheitsleute, Ortsbürgermeister, Stadträte, Vereinsleute - hat Steinbrück im Schlepptau. Der Sozialdemokrat suche gern das Gespräch mit den Menschen, versichert Jarmila Schneider, die zur Presseabteilung des Kandidaten gehört. Steinbrück, fährt sie fort, ist seit Mitte Februar auf Länderreise. Erste Station ist damals Potsdam gewesen. Sachsen-Anhalt ist die 14. Station. Danach geht es noch nach Sachsen. Bremen beendet den Reigen. "Bei den Vorortterminen will Herr Steinbrück erfahren, wo der Schuh drückt, aber auch, was positiv läuft." Die zweite Säule der Länderreise seien die Klartext-Veranstaltungen, Gesprächsrunden, offen für alle, sagt die Sprecherin abseits des Protokolls.

Auf dem Marktplatz von Nienburg erfährt der einstige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen allerlei Geschichtliches. Und immer schwingt der Hinweis auf das Engagement der Ehrenamtlichen mit, die an allerlei Stellen ihren Fußabdruck hinterlassen haben. Auch in 20 Meter Höhe. Vom Dach eines Hauses erklingt tagtäglich ein Glockenspiel. Dessen Sanierung war für einen Apfel und ein Ei nicht zu haben. Spenden mussten her. Salzlandkreis-Landrat Ulrich Gerstner (SPD) erbat zu seinem 50. Geburtstag statt der üblichen Geschenke Spenden für den Glockenturm. Immerhin 6000 Euro kamen so zusammen. Gerstner, übrigens gebürtiger Nienburger und damit ein echter "Krähenkopp", wie er selber sagt, liegt die Entwicklung der kleinen Stadt an der Saale spürbar am Herzen.

Aber wieso eigentlich Krähenkopp? "Früher war das Dach der Kirche schwarz vor Krähen. Daher stammt der Begriff", erläutert der Landrat. Die schwarzen Vögel hätte zu DDR-Zeiten die Zementförderung rings um Nienburg vertrieben. "Die sind weitergezogen nach Magdeburg", meint Gerstner. Geblieben ist das Synonym für die Nienburger.

"Junge Leute machen ihre Wohnortentscheidung vom schnellen Internet abhängig."

Peer Steinbrück

An der Rathaustür wird Steinbrück von vier Frauen willkommen geheißen. Christel Patz, Susan Falke, Evelyn Hammer und Monika Gäbe sind allesamt Mitarbeiterinnen der Verwaltung. Susan Falke ist die Kämmerin in Nienburg. Steinbrück wendet sich ihr zu. Er will wissen, wie hoch die Gewerbesteuer in der Stadt ist. "So was interessiert mich immer sehr", sagt er.

Im Sitzungssaal ist die Gesprächsrunde mit dem Motto "Präventives Handeln einer Kleinstadt im Prozess des demografischen Wandels" überschrieben. Bürgermeister Markus Bauer hat dazu unter anderem Vertreter vom Kreisseniorenrat, von der Hochschule Anhalt und vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt eingeladen. Bauer, Vater von drei Töchtern, setzt bei den Kindern und Jugendlichen an. Die, betont er, würden nicht nur die Landschaft stärken, sondern auch das Vereinsleben.

Professor Cornelia Scott von der Hochschule Anhalt spricht von den knapp 15 Prozent ausländischen Studenten in Köthen und Bernburg. Das Land brauche unbedingt Fachkräfte, ob Akademiker oder Facharbeiter, ob aus dem In- oder Ausland. Auf die Gruppe der Facharbeiter setzt Nienburg explizit. Obwohl der Landkreis 2006 die Sekundarschule schließen ließ (weil die vorgegebene Mindestschülerzahl nur um einen einzigen Schüler verfehlt wurde), fanden sich vor Ort engagierte Leute, die die private Sekundarschule Happy Children aus der Taufe hoben. Jugendfreund Paul Engel ist einer der Nutznießer dieses bürgerschaftlichen Herangehens. Der Bürgermeister spricht stellvertretend für diese Initiative: "Wir haben uns gesagt, die Kinder bleiben hier. Und damit haben sie vielleicht eine berufliche Zukunft in ihrer Heimatstadt." Auch die Initiatorin der privaten Sekundarschule, Gabriele Abendroth-Suchanke, hebt hervor, dass die Stadt mit der Bildungsstätte Facharbeiter binden wolle. "Alle Abgänger unserer ersten zehnten Klasse haben schon einen Ausbildungsplatz", sagt sie erfreut. 130 Plätze biete die Schule. Das seien pi mal Daumen 130 Familien, die in Nienburg bleiben.

Sparkassen-Vorstand Hans-Michael Strube bedauert, dass Sachsen-Anhalt den Ruf eines Billiglohnlandes hat. "Das passt gar nicht in die Zeit", kommentiert er das fragwürdige Renommee. Peer Steinbrück hört zu, fragt nach. Um die negative demografische Entwicklung abzufedern, bedürfe es unter anderem einer klaren Struktur des Ehrenamtes. Ist sie personenbezogen, breche sie irgendwann weg. Ähnlich verhalte es sich mit dem Vereinswesen. Relevant sei zudem die Versorgung des ländlichen Raumes mit schnellem Internet. "Junge Leute machen ihre Wohnortentscheidung davon abhängig", gibt Steinbrück zu bedenken. Firmen sowieso.

Beim Verlassen des Rathauses tönt das Glockenspiel das Lied "Schätzel, adé, adé". Hier ist ja alles perfekt organisiert", scherzt der Kandidat.