Gehörlosenverein Vom Leben mit der Stille
110 Jahre Gehörlosenverein Schönebeck: Dieses Jubiläum wird am Sonnabend mit einer Festveranstaltung begangen.
Schönebeck l 1906 als „Taubstummen-Gesellschaft“ gegründet, in Zeiten des Nationalsozialismus verboten, zu DDR-Zeiten als Gehörlosen- und Schwerhörigenverband geführt, seit der Wende nun Gehörlosenverein Schönebeck - die Vereinigung, in der Gehörlose sich einander austauschen, hat bewegte Zeiten hinter sich. Genau gesagt 110 Jahre. Wenn Vorsitzender Frank Otto in die Geschichte eintaucht, verweist er stolz auf die Gründungsurkunde von 1906. Er und Hans-Jürgen Wolf seien lange auf der Suche nach dieser gewesen. Erst vor gut zehn Jahren sind sie im Stadtarchiv Schönebeck fündig geworden.
Frank Otto ist seit seinem dritten Lebensjahr gehörlos. Durch die Kinderkrankheit Masern hat er sein komplettes Gehör verloren, erzählt der heute 53-Jährige. Ja, er erzählt es, und Hans-Jürgen Wolf versteht ihn bestens.
Für Außenstehende dolmetscht er. Wolfs Frau ist die Schwester von Frank Ottos Frau. Beide Frauen sind ebenfalls gehörlos. Für Hans-Jürgen Wolf ist es, nachdem er seine Frau kennen und lieben gelernt hat, eine Selbstverständlichkeit gewesen, die Gebärdensprache zu lernen, um sich mit ihr unterhalten zu können. Und es ist für ihn selbstverständlich, sich im Gehörlosenverein zu engagiere, in der auch die drei Mitglied sind. Er übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit. Und er dolmetscht dieses Volksstimme-Gespräch.
Frank Otto ist Welslebener durch und durch, er ist dort aufgewachsen und lebt mit seiner Frau Christa jetzt dort. Als Kind hat er die Gehörlosenschule in Halle besucht, dann eine dreijährige Ausbildung für Gehörlose zum Facharbeiter für Fertigungsmittel (heute: Werkzeugmacher) absolviert. In diesem Beruf arbeitet er bis heute - erst im Gummiwerk, nun in der Formen- und Werkzeugbau GmbH Schönebeck.
Auf die Frage, wie er Gehörlosigkeit und Alltag mit Familie - er hat mit seiner Frau Christa drei Söhne und zwei Enkel - und Beruf meistert, antwortet er: „Für mich ist es ganz normal. Es gibt gute und schlechte Zeiten“, lässt Frank Otto über Hans-Jürgen Wolf dolmetschen. Er sei in Welsleben groß geworden und habe bis heute nie Probleme gehabt. Auch seine Gegenüber hätten keine Berührungsängste.
Derzeit erlebt der 53-Jährige die Umgebung auf ganz neue Art und Weise. Er hat sich vor zwei Jahren nämlich ein sogenanntes Cochlea-Implantat einsetzen lassen. Dies ist eine Hörprothese für Gehörlose, deren Hörnerv nicht funktionsgestört ist. „Anfangs habe er Angst gehabt, dass alles zu laut sein wird, wenn er hören kann. Aber das kann schrittweise eingestellt werden, und er hat sich gut daran gewöhnt“, gibt Hans-Jürgen Wolf die Äußerung von Frank Otto weiter.
Doch zurück zum Jubiläum. Dieses soll am Sonnabend, 16. April, ab 14 Uhr im „Maxim“ Schönebeck gefeiert werden. Es wird eine Feierstunde geben. Oberbürgermeister Bert Knoblauch sei eingeladen und habe zugesagt, ebenso Vertreter vom Landesverband der Gehörlosen, Gehörlosenvereine aus Sachsen-Anhalt, Schönebecks Gleichstellungsbeauftragte Andrea Alzuro-Lopez, Vertreter von Parteien, Firmen und Sponsoren ... Der Verein, der derzeit 17 Mitglieder - darunter auch die Dolmetscherin Vera Lichtenfeld - zählt, erwartet etwa 80 Gäste. Und die Mitglieder freuen sich auf ihr Fest.
Und was wünschen sich die Gehörlosen für die Zukunft beziehungsweise welche Ziele verfolgen sie? Da fallen Hans-Jürgen Wolf gleich zwei ganz wichtige Themen ein: Zum einen sei dies das Absetzen des Notrufes 112 - für Hörende (und auf die Fragen dann Antwortenkönnende) kein Problem - für Gehörlose ein ganz großes. Denn es gebe derzeit noch keinen Gehörlosen-Notruf, so Wolf. Man könne nur ein Fax absetzen. Zum anderen sei eine 100-prozentige Untertitelung von Fernsehsendungen wünschenswert. Zwar bieten die öffentlich-rechtlichen Sender dies an, aber die privaten kaum bis gar nicht.