Landwirtschaft Warum Kartoffeln „entlaubt“ werden
Warum sehen zwei Kartoffelfelder zwischen Zackmünde und Gnadau so unterschiedlich aus: das eine grün, das andere verdorrt?
Pömmelte l „Normalerweise braucht das Kartoffelkraut einige Zeit, um abzusterben. Doch genau diese Zeit bedeutet Geld. Und so gilt es als ‚effektiver‘, Gift einzukaufen, Maschinen und menschliche Arbeitszeit zusätzlich einzusetzen, statt der Natur freien Lauf zu lassen“, schreibt ein Gnadauer Volksstimme-Leser auf Facebook, dem das Feld auffiel. Er vermutet den Einsatz des umstrittenen Glyphosat, das das Kraut vorzeitig absterben ließ. (Im Zuge der Recherche steht schnell fest: Glyphosat wurde an dieser Stelle nicht eingesetzt.)
„Die Kartoffelblüte ist ja ohnehin fast vorbei, danach welkt das Blattwerk von alleine“, merkt der Leser an.
Was die meisten Laien nicht wissen, für konventionelle Landwirte aber ein selbstverständlicher Prozess ist: Das Kartoffelkraut wird per „Giftspritze“ vernichtet, wenn die Knollen etwa eine Größe von sechs Zentimetern haben. Die Landwirte nennen diesen Prozess „Krautregulierung“.
Bei Zackmünde geschah das mit dem Mittel Diquat. Diese Art und Weise der Kartoffelaufzucht ist kein Einzelfall. Der Hessische Rundfunk (hr) war dieser Thematik 2016 auf der Spur. In einem Fernsehbeitrag gibt Dr. Peter Clausing, Toxikologe und Vorstand vom Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., Antworten: „Diquat ist hoch toxisch, es hat in Großbritannien über die Jahrzehnte 13 tödliche Vergiftungen mit Diquat gegeben, Diquat schädigt das ungeborene Leben nachweislich, Diquat ist nervenschädigend und es ist toxisch für Wasserorganismen, es akkumuliert im Boden. Es ist also ein Mittel, das man möglichst nicht einsetzen sollte.“
Das Kontaktherbizid blockiert die Photosynthese der Pflanze. Alle oberirdischen Pflanzenteile sterben ab. Die Kartoffeln reifen nur noch nach. Sie bekommen eine festere Schale, sind länger haltbar. Drei Wochen nach dem Spritzen kann geerntet werden. Ganz nach den Wünschen des Handels und der Verbraucher.
Um deren Anforderungen zu entsprechen, werden die Kartoffeln zudem in großen Waschanlagen gereinigt und danach poliert. Das Waschen ist der Knolle alles andere als zuträglich. Die feine Erdschicht, die ihr nach der Ernte anhaftet, ist ein natürlicher Schutz vor allem vor Licht.
Noch vor einigen Jahren wurden keine Entlaubungsmittel eingesetzt. Weil es Schwierigkeiten mit der Haltbarkeit gab, forderte der Lebensmitteleinzelhandel die Schalenfestigkeit von Kartoffeln.
Wenn sich die Schale nicht mehr auf Druck von der Kartoffel löst, werden beim Transport weniger Knollen beschädigt und damit verfaulen auch weniger während der Lagerung.
Ließe man das Kartoffelkraut, wie es früher üblich war, auf natürliche Weise abreifen, würden die Knollen unterschiedlich groß werden. Das weiß jeder Kleingärtner, so er sie anbaut.
„Früher wurde gewartet, bis das Kraut abgereift war. Aber die Bauern haben ja heute kaum eine Wahl: Sie werden ja fast ‚vergewaltigt‘.“ Klaus Bittrich, ehemaliger KAP-Vize
Apropos, früher: Klaus Bittrich, zu DDR-Zeiten Vize-Vorsitzender der Kooperativen Abteilung Pflanzenproduktion (KAP) in Barby: „Früher wurde gewartet, bis das Kraut abgereift war. Aber die Bauern haben ja heute kaum eine Wahl: Sie werden ja fast ‚vergewaltigt‘.“ Woran nicht zuletzt wir Verbraucher einen großen Anteil hätten, da wir gedankenlos die perfekte Kartoffel, den perfekten Apfel haben wollten, meint Bittrich.
Also greifen die Landwirte zur „Chemiekeule“. Denn das Kartoffelkraut mechanisch zu entfernen, ist zu aufwändig. Der Boden und ein Teil der Früchte würden von den Traktorreifen zerstört.
Der Hessische Rundfunk ließ das Kartoffelkraut beproben. „Grenzwerte für das Kraut gibt es nicht. Argument der Behörden: Verbraucher essen es nicht. Sind die Befunde also unbedenklich?“, heißt es dort.
Der Toxikologe Peter Clausing, sieht akute Gefahren für die Umwelt. „Es ist bekannt, dass Diquat sich im Boden anreichert, und wenn das Jahr für Jahr wieder auf dem gleichen Boden ausgebracht wird und die Anlagerungsmöglichkeiten im Boden irgendwann erschöpft sind, ergibt sich die Frage: Was passiert dann?“
„Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zur Krautregulierung bei Kartoffeln ist eine gesetzlich zugelassene Maßnahme. Ziel ist es, die Qualität der Knollen zu sichern und Knollenfäule zu vermindern“, sagt Dr. Susanne Brandt, Geschäftsführerin des Bauernverband Salzland e.V.
Das Spritzmittel werde eingesetzt, um den Wuchs vom Kartoffelkraut und von den Kartoffeln in der Erde zu beenden und um eine einheitliche Fraktionsgröße zu erreichen. Bei der Vermarktung der Kartoffeln seien mittlere Größen um 65 Millimeter gefordert. „Über- und Untergrößen werden von den Zwischenhändlern nicht bezahlt. Und auch der Verbraucher bevorzugt mittelgroße Kartoffeln“, so die diplomierte Agraringenieurin.
Sie unterstreicht, dass es für den Einsatz von Spritzmitteln klare Vorgaben für die zugelassenen Mittel, Aufwandmengen und Wartezeiten bis zur Ernte gebe. „Die Betriebe unterliegen strengen Kontrollen was den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln angeht“, betont Susanne Brandt.
Im Edeka Schönebeck werden Bio-Kartoffen verkauft. Ein Hinweis auf der Verpackung verspricht den „Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel“ und keinen Einsatz von mineralischem Stickstoffdünger.
Hier kostet ein Kilogramm Bio-Speisefrühkartoffeln 1,33 Euro, die herkömmlichen 1 Euro. Aber wie kommt dieser relativ geringe Preisunterschied zustande? Glaubt man den „konventionellen“ Landwirten, müsste der Preis bei Bio, des Aufwandes wegen, ein Mehrfaches betragen?
Edeka-Pressesprecherin Alexandra Antonatus dazu: „Die niedrige Preisentwicklung der Bio-Kartoffeln hängt nach unseren Erfahrungen mit der größeren Anbaufläche und auch deutlich besseren Erträgen zusammen.“ Werden dabei wirklich keine „Entlaubungsmittel“ eingesetzt? „Nein“, stellt die Sprecherin klar: „Sollten Maßnahmen zur Reifeförderung im ökologischen Anbau notwendig werden, stehe dem Bio-Landwirt nur der mechanische Krautschläger oder eine thermische Krautbehandlung zur Verfügung.“