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Technikgeschichte Als das Heimkino farbig wurde

Die erste Serienproduktion des ersten volltransistorisierten Farbfernsehgerätes startete vor 50 Jahren in Staßfurt.

27.09.2019, 04:47

Staßfurt l Der 2. Oktober 1969 ist für Staßfurter Fernsehwerker ein denkwürdiger Tag. 1000 Farbfernsehgeräte waren da in der Stadt an der Bode produziert. Rechtzeitig zum 20. Jahrestag der DDR und zum Start des 2. Programms vom Deutschen Fernsehfunk. Bereits zwei Jahre bevor Walter Ulbricht am 7. Oktober 1969 „auf den Knopf drückte“, war das zwar Willy Brandt gegönnt, als die Entwickler in der Bundesrepublik das erste Farbfernsehgerät Deutschlands vorstellten.

Darin steckte allerdings im wesentlichen noch Röhrentechnik. „Unsere 1000 Geräte waren zu 100 Prozent mit Transistoren bestückt“, macht Franz Korsch den großen Unterschied deutlich. Korsch gehörte seit 1960 zur Abteilung Forschung und Entwicklung des damaligen Fernsehgerätewerks Staßfut, war von 1979 bis 1988 Betriebsdirektor.

Wenn er aus der Geschichte der Staßfurter Rundfunk- und Fernsehtechnik erzählt, klingt Stolz mit. Er vergleicht den Staßfurter Erfolg bei der Überleitung der Technologie aus Forschung und Entwicklung in die Produktion mit der großartigen Leistung, die Manfred von Ardenne 1930 in seinem Institut auf dem Dresdener „Weißen Hirsch“ mit der ersten elektronischen Bildübertragung gelungen war.

Ja, man hatte Erfahrungen aus dem Schwarz-Weiß-Sektor. Die Ansprüche beim Farbfernsehen seien allerdings weitaus höher gesteckt. „Wir waren letztendlich verantwortlich dafür, dass die Geräte den Qualitätsansprüchen der Bürger entsprachen“, so Korsch. Das hieß, das Dreifache an Bauelementen im Chassis unterzubringen, als beim Schwarz-Weiß-Gerät. Die nach wie vor verwendete Bildröhre wog schon schwer. Um die 48 Kilogramm des Farbfernsehers zu bewegen – etwa ein Drittel mehr – waren schon zwei Mann gefragt. Also auch körperlich keine leichte Arbeit. „Die Anforderungen an die Belegschaft waren schon sehr hoch“, weiß Franz Korsch. In vielen Belangen.

An die Zeit des Endspurts bis zum DDR-Jubiläum erinnert sich Jürgen Recke: „Ziel waren 50 Geräte an einem Tag. Anfangs haben wir das nie geschafft.“ Recke war 25 Jahre, als der Facharbeiter für Funkmechanik und seine ähnlich jungen Kollegen mit großem Ehrgeiz und innerhalb weniger Wochen die ersten 1000 Color 20 produzierten. Ein Großteil der beiden Brigaden meisterte parallel noch das Abendstudium zum Ingenieur für elektronische Fertigung.

„Die Entwicklung des Farbfernsehens ist entstanden aus dem Nichts“, kommt Franz Korsch auf die Zeit vor der Serienproduktion zurück. Und auch auf grundlegende Unterschiede beim Fernsehempfang in beiden deutschen Staaten. Während in der damaligen Bundesrepublik die PAL-Norm (Phase-Alternating-Line) galt, fand in der DDR – wie in Osteuropa und Frankreich – das SECAM-Verfahren (Séquentiel couleur à mémoire – Farbabfolge mit Speicher) Anwendung.

„Die Geräte waren damit nicht kompatibel“, erklärt Korsch, „Allerdings half man sich privat mit PAL-Nachrüstsätzen, was Improvisationsvermögen und Technik-Wissen voraussetzte, welches man sich aus Fachliteratur holte.“

Einzelne Bauteile gab es in der DDR, oft ließen sich die Tüftler sie aber auch von Besuchern aus dem Westen mitbringen. Mitte der 1970-er Jahre, mit Einführung des Chromat, findet schließlich auch die Produktion des PAL-Nachrüstsatzes in Staßfurt statt, womit der Fernsehgucker entscheiden kann, über welches System er emfpangen will. „Die Geräte auf Grundlage des Color 20 wurden ständig weiterentwickelt von uns“, setzt Franz Korsch fort, „Ab 1976 kam der Chromat, in den 1980-er Jahren unter anderen der Colorette, 1989 der Color 40.“

Und immer mit dem Ziel der Langlebigkeit, hakt Christoph Dziolloß ein, der seit 1962 ebenfalls an der Entwicklung des Color 20 maßgeblich beteiligt war und „bis zuletzt“ (DDR-Zeit) Leiter der Entwicklung bei RFT. „Trotz einer Produktion von 550.000 Geräten jährlich in den 1980-er bis in die 1990-er konnten wir den Bedarf nicht decken.“ Der Export spielte zwar auch eine Rolle, war aber nicht ausschlaggebend dafür. „Die DDR-Bevölkerung wollte einfach Staßfurter Geräte, die von der Ausstattung denen vom Westen ebenbürtig waren.“

Warum ging es dann mit diesem Knowhow nicht reibungslos in die Marktwirtschaft?

„Mit der Wende hatte Staßfurt ein riesiges Problem. Auf dem nun freizugänglichen Markt wurde Staßfurt nicht benötigt“, sagt Franz Korsch, „Technologisch gab es keine Unterschiede, aber man hat den Osten nur als Kunden-Potenzial gesehen.“ Schließlich hätten die Neubürger – im Glauben, alles aus dem Westen wäre besser – auch nur noch West-TV-Geräte gekauft. Die Folge: Der Absatz sank. Strukturelle Änderungen seien der freien Marktwirtschaft überlassen worden. „Und bei der Größe der Aufgaben fehlte auch die politische Bereitschaft, Rahmenbedingungen zu schaffen“, meint Korsch, „Es passte in den Kahlschlag in Mitteldeutschland als innovatives Wirtschaftszentrum.“

Schließlich konnte auch das sensationelle Colani-Gerät RFT nicht mehr retten. Es war ein weiterer Meilenstein mit seiner innovativen Form, aber als Einzelanfertigung sei es mit 7000 D-Mark auch sehr teuer gewesen, so Franz Korsch. Das immer kleiner werdende Werk hatte zudem nicht mehr genügend Zeit, das Gerät zu verkaufen. Dann kam die Zeit des Flachbildschirms...

Mit dem Color 20 habe man jedenfalls „etwas Großes für das FSGW geschaffen“. Immerhin arbeiteten allein in Staßfurt 2500 Menschen für das RFT-Kombinat, welches auf mehrere Standorte in der DDR verteilt, insgesamt 23.000 Mitarbeiter zählte, wie sich Korsch erinnert.

Am 5. Oktober, ab 9 Uhr, eröffnen die Freunde der Staßfurter Rundfunk- und Fernsehtechnik in ihrem Museum, Löderburger Straße 73, eine Jubiläumsausstellung zum Color 20. Weitere Infos.