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Krankenhaus Ambulante Zukunft im Klinikum Staßfurt?

Nach der Schließung der Notaufnahme in Staßfurt wirft Ameos die Idee in den Raum, poliklinische Strukturen zu schaffen. Doch was heißt das?

10.08.2019, 23:01

Staßfurt l Kinder der ehemaligen DDR aber auch die, die noch in den 1990er Jahren erwachsen geworden sind, kennen sie noch aus verstaubten Erinnerungen: die Polikliniken. Diese waren der Stützpfeiler der ambulanten Versorgung in der DDR, waren selbstständig und staatlich, aber nicht an ein Krankenhaus gebunden.

Nach der Wende waren solche Strukturen nicht mehr gefragt. Erst mit der Gesundheitsreform 2003 war es wieder möglich, dass zugelassene Ärzte oder Psychotherapeuten im Angestelltenverhältnis in Krankenhäusern arbeiten. Das Kind hatte einen neuen Namen: Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Schon im Jahr 2015 gab es davon in ganz Deutschland über 2000 Stück. Auch in Sachsen-Anhalt steigt die Zahl. Wäre das auch was für Staßfurt? In den Diskussionen nach der Schließung der Notaufnahme im Staßfurter Krankenhaus (Volksstimme berichtete) warf der private Klinikbetreiber Ameos immer wieder das Modell von poliklinischen Strukturen in den Raum.

Wie meint Ameos das? Wie meint das Regionalgeschäftsführer Lars Timm, der immer wieder darauf pocht? Mehrere Modelle sind denkbar. Zum einen das weit verbreitete Modell des Medizinischen Versorgungszentrums, auch ein Belegärztemodell steht im Raum. Beim MVZ würden niedergelassene Haus- oder Fachärzte ihre Praxis abgeben und diese in den Räumlichkeiten des Krankenhauses weiter betreiben. Würde Ameos die Ärzte anstellen oder würden diese frei beruflich agieren? Sowohl als auch. „Beides ist denkbar“, sagt Lars Timm. „Wir sind für alles offen. Im Rahmen von Partnerschaften muss das im Dialog geklärt werden.“

Für etwa 15 bis 20 Praxen wäre in den Räumlichkeiten von Ameos Platz. Für den Salzlandkreis wäre das ein Modellprojekt, das laut Ameos in anderen Bundesländern schon gut funktioniert habe. Timm wirft das Westküstenklinikum in Schleswig-Holstein mit dem Standort Brunsbüttel ein. „Dort wurde die ambulante Versorgung gestärkt. Stadt und Land haben sich zielführend eingebracht und die Realitäten erkannt. Dafür gab es sogar Fördermittel“, erklärt er.

Wie ein MVZ aufgebaut ist, erklärt die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA): „Ein Medizinisches Versorgungszentrum ist genauso wie der Vertragsarzt ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Leistungserbringer. Ein Medizinisches Versorgungszentrum kann nur von bestimmten Personen oder Institutionen, die gesetzlich genau festgelegt sind, gegründet werden. Es darf nur in bestimmten Gesellschaftsformen betrieben werden und arbeitet zumeist mit angestellten Ärzten“, so die KVSA. „Es gibt jedoch auch Fälle, in denen ein Medizinisches Versorgungszentrum von freiberuflichen zugelassenen Vertragsärzten betrieben wird. Dies ist auch in Teilzeit möglich. Eine Neuanstellung ist nur möglich, wenn der Planungsbereich freie Stellen für die betreffende Arztgruppe aufweist.“

Der Vorteil: Räumliche Synergien werden genutzt, die Wege verkürzen sich. Für Patienten und Ärzte. Der Nachteil: Wenn theoretische alle Haus- und Fachärzte aus ganz Staßfurt und den Ortsteilen am Standort Ameos Klinikum zentriert sind, fallen für Patienten, die in Staßfurt weiter weg vom Krankenhaus wohnen, längere Wege an.

Generell ist Staßfurt bei Hausärzten unterversorgt. Der Versorgungsgrad beträgt nur 85,9 Prozent. 16 Hausärzte gibt es in Staßfurt. 24,25 sind es zusammen mit der Verbandsgemeinde Egelner Mulde und Hecklingen. „Sieben weitere Arztsitze können derzeit noch besetzt werden“, teilt die KVSA mit. Es gibt Nachwuchsprobleme massiver Art. Das Durchschnittsalter ist hoch. Der Hausarzt in Atzendorf hat die 80 Jahre überschritten. 82 ist Hans-Jürgen Groh, bald wird er 83.

Staßfurt hat also so schon Probleme, Hausärzte zu finden und anzusiedeln. Eine mögliche Umstrukturierung würde Staßfurt vor weitere Herausforderungen stellen, die öffentliche Diskussionen nach sich ziehen würde. „Ärzte scheuen in einzelnen Fällen den Weg in die Selbstständigkeit. Hier wollen wir unterstützen“, sagt Timm. „Nach der Sommerpause wollen wir die ersten Ärzte kontaktieren, ob sie sich das vorstellen können. Wenn es Interessenten gibt, werden wir sofort tätig.“ Ameos würde es also selbst übernehmen, die Ärzte aufzutreiben.

Tobias Ortmann ist dabei das ein Beispiel, wie es gehen kann, Mediziner trotz Ärztemangel nach Staßfurt zu lotsen. Der 28-Jährige hat ein Stipendium von der Stadt, verpflichtet sich dafür, in Staßfurt zu praktizieren, wenn er mit seiner Ausbildung fertig ist. „Das ist mega sinnvoll“, sagt er zur Idee von Ameos. „Wie man das am Ende nennt, ist egal. Aber die Idee, einige Hausärzte mit Fachärzten zu zentralisieren, ist sehr gut.“ Ortmann begrüßt interdisziplinäres Arbeiten ausdrücklich. Er selbst freut sich auf die Rückkehr nach Staßfurt. „Ich brauche nicht mehr zum Leben als das, was Staßfurt geben kann“, sagt er. Generell ist der Altersschnitt aber hoch. Acht Hausärzte in Staßfurt sind bereits über 60.

Das Angebot von Ameos gilt dabei nicht nur für Hausärzte, sondern auch für Fachärzte. Hier gehört Staßfurt zu größeren Planungsgebieten. Der Versorgungsgrad liegt über 100 Prozent.

Das zweite Modell, das bei der ambulanten Versorgung vorgeschlagen wird, ist ein sogenanntes Belegärztemodell. Das ist ein altes, weniger verbreitetes Modell. Die KVSA erklärt: „Ein Belegarzt kann in einem Krankenhaus tätig werden, für das im Landeskrankenhausplan eine Belegabteilung vorgesehen ist. Wer Belegarzt werden möchte, muss entsprechende Voraussetzungen nachweisen, um eine solche Genehmigung zu erlangen. Ein Belegarzt ist ein Vertragsarzt, der aufgrund eines Vertrages mit einem Krankenhaus eine bestimmt Anzahl von Betten in diesem Krankenhaus belegen und die darin untergebrachten Patienten behandeln darf. Er ist kein Angestellter des Krankenhauses.“ Der Nachteil: „In Staßfurt kann stationär nicht operiert werden, weil es keine Chirurgie gibt“, so Timm. „Es ist aber denkbar, dass der Arzt an einem anderen Standort operiert, an dem es eine Chirurgie gibt.“

Daneben gibt es noch weitere attraktive Modelle. Bei einer Praxisgemeinschaft kooperieren mehrere Ärzte in gemeinsamen Räumen mit geteiltem Personal. Eine Gemeinschaftspraxis, die auch Berufsausübungsgemeinschaft bezeichnet wird, ist ein wirtschaftlicher und organisatorischer Zusammenschluss von mehreren Ärzten zur gemeinsamen Ausübung der vertragsärztlichen Versorgung in gemeinsamen Praxisräumen. Auch diese beiden Modelle könnten für Staßfurt möglich sein. Alles ist offen.

Im Herbst könnten die ersten Schritte getätigt werden, um die ambulante Versorgung zu verbessern. Aber: „Allerdings ist uns nicht erkenntlich, wie MVZ oder Belegärzte die nun weggefallene stationäre Notfallversorgung ersetzen sollen. Dies scheinen doch eher Konzepte zu sein, um das Krankenhaus attraktiv zu halten“, teilt die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt mit. Kritik schwingt da also an Ameos mit.