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Interview Bürgerinitiative arbeitet weiter Anschlusszwang nicht für alle notwendig - Wie sich weiterhin für bezahlbares Abwasser eingesetzt wird

Womit beschäftigt sich die 2006 gegründete Bürgerinitiative (BI) „Bezahlbares Abwasser“? Darüber sprach Volksstimme-Redakteur René Kiel mit deren Vorsitzenden Bernhard Pech.

08.09.2023, 12:07
Bernhard Pech kämpft seit Jahren mit seinen Mitstreitern erfolgreich für bezahlbare Abwassergebühren.
Bernhard Pech kämpft seit Jahren mit seinen Mitstreitern erfolgreich für bezahlbare Abwassergebühren. (Archivfoto: René Kiel)

Die 2006 gegründete Bürgerinitiative (BI) „Bezahlbares Abwasser“ kämpft weiterhin für die Mitglieder der Gemeinschaft. Und möchte sich für bezahlbares Abwasser einsetzen Darüber sprach Volksstimme-Redakteur René Kiel mit deren Vorsitzenden Bernhard Pech.

Hat die Bürgerinitiative 18 Jahre nach ihrer Gründung noch eine Daseinsberechtigung?

Ja, leider gibt es doch immer noch Konstellationen, wo wir zumindest vorsorglich tätig werden müssen. Aber auch bei Fragen und Problemen der Bürger mit dem Abwasserverband kann man sich an uns wenden. Obwohl mit der Aufgabenübertragung der Abwasserentsorgung in den Bodeniederung-Gemeinden auf den Wasser- und Abwasserzweckverband (WAZV) „Bode-Wipper“ Staßfurt zum 1. Januar 2011 diese sehr wichtige Daseinsvorsorge der Abwasserentsorgung in deutlich professionellere Hände gelegt wurde, gab es doch die eine oder andere Situation, bei der die Bürgerinitiative eingreifen musste. Einmal ging es um die Beitragsnacherhebung für Hinterliegergrundstücke, wo sich eine ganze Reihe von Mitgliedern erfolgreich vor Gericht zur Wehr setzen konnte. Aber auch das Thema Niederschlagswasser-Anschluss-und Benutzungszwang ist nach wie vor nicht vom Tisch.

Und dann ist geplant, die beiden Abwasserabrechnungsgebiete zu vereinen, was bei ganz unterschiedlichen Alterungszuständen der beiden Abwassernetze nicht ganz unproblematisch bei der Finanzierung von Erneuerungsmaßnahmen ist. Dies kann zur finanziellen Mehrbelastung der Gebührenzahler in der Bodeniederung führen.

Was hat die Initiative bisher erreicht?

Ausgangspunkt war Anfang 2007 die per Ersatzvornahme vom Kreis festgelegte Schmutzwassergebühr von 6,16 Euro pro Kubikmeter. Nach einer von der Bürgerinitiative angestrengten Klagewelle wurde die Gebühr um mehr als zwei Euro gesenkt. Im Ergebnis der vom Gericht geforderten Neukalkulation schoss die Niederschlagswassergebühr auf 2,75 Euro pro Quadratmeter nach oben. Nach erneuten Klagen stellte sich heraus, dass auch dieser Wert zu hoch vom damaligen Abwasserzweckverband (AZV) „Bodeniederung“ kalkuliert war. Sie reduzierte sich auf zunächst 1,95 Euro und wurde vom WAZV sogar weiter gesenkt. Da muss man sich im Nachhinein fragen, was und wie beim AZV kalkuliert wurde.

Von der Abwassergebührsenkung aus 2007 profitieren wir sogar noch heute mit rund 50 Cent je Kubikmeter Gebührensenkung bis 2025. Weil nur die Kläger und Widerspruchsführer ihre zu viel bezahlten Gebühren zurückerstattet bekamen, waren damals rund 2,6Millionen Euro zu viel vom AZV eingenommen worden. Damit dieser Betrag gebührensenkend beim WAZV eingestellt werden konnte, bedurfte es aber großer Anstrengungen der letzten Verbandsversammlung des AZV und der Bürgerinitiative, damit dieses Geld nicht in die kommunalen Haushalte eingeht.

Wie viele Mitglieder hat die BI derzeit?

Wir haben 575 Mitglieder. Obwohl wir seit 2022 immerhin 14 neue begrüßen konnten, gleicht das leider nicht die Wegzüge und Sterbefälle aus. Trotzdem ist das noch eine beträchtliche Zahl.

Um welches Problem kümmert sich die BI derzeit?

Seit dem der WAZV das Bodengutachten zur Versickerungsfähigkeit im Abrechnungsgebiet II Anfang 2020 abgeschlossen hat, bereitet die Bürgerinitiative quasi ein Gegengutachten vor. Wir haben es deshalb als Gegengutachten bezeichnet, weil damit gezeigt werden soll, dass eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserversickerung sehr wohl in den so genannten Nichtversickerungsgebieten laut WAZV-Gutachten funktionieren kann.

Wie ist der aktuelle Stand der geplanten Erstellung des Gegengutachtens?

Das Gegengutachten besteht aus zwei Teilen, einem allgemeinen und einem grund-stücksbezogenen Teil. Die Ergebnisse hinsichtlich einer allgemeinen Einschätzung der Versickerungsfähigkeit anhand geotechnischen Kartenmaterials decken sich zunächst annähernd mit dem Gutachten des WAZV.

Bei den grundstücksbezogenen Gutachten wird nun aber die individuelle Situation des jeweiligen Grundstücks untersucht. Ausgehend von den versiegelten Flächen und den Ergebnissen der Rammkernsondierungen auf dem Grundstück werden Angaben für die Dimensionierung von Zisternen, Abflussmengen und Speichermulden vom Gutachter berechnet.

Nach fast 70 Grundstücksuntersuchungen können alle diese Grundstücke ihr Niederschlagswasser ordnungsgemäß auf der Grundstücksfläche versickern. Aktuell laufen noch einige Grundstücksuntersuchungen. Auch für die Grundstücke, die sich bis zum 31. März 2013 ganz oder teilweise von der zentralen Niederschlagswasserentsorgung abgekoppelt haben und per Runderlass einen „Bestandsschutz“ haben, wird im Falle eines Anschluss- und Benutzungszwanges der Paragraf 79b des Wassergesetzes gelten.

Das Gutachten des WAZV „beweist“ zunächst, dass eine Versickerung in den betrachteten Arealen (mehrere Grundstücke zusammengefasst) nicht möglich ist. Dann müsste der Grundstückeigentümer fundiert darlegen, dass bei ihm trotzdem eine schadlose Niederschlagswasserentsorgung erfolgen kann.

Der Niederschlagswasser-Anschluss- und Benutzungszwang wird im Übrigen regelmäßig bei Abkopplungsbegehren von der zentralen Niederschlagswasserentsorgung und bei neuen Grundstücken in den Nichtversickerungsgebieten vom WAZV ausgeübt. Da kann dann ein grundstücksindividuelles Gutachten sehr hilfreich sein.

Welche Angelegenheit will die Bürgerinitiative demnächst in Angriff nehmen?

Weil leider nur rund 80 Grundstückseigentümer ein Versickerungsgutachten trotz finanzieller Unterstützung von der Bürgerinitiative beauftragt hatten, wollen wir noch einmal die Werbetrommel rühren. Wir wollten ursprünglich wenigstens 100 Grundstücke untersuchen lassen, um zu zeigen, dass eine ordnungsgemäße Versickerung möglich ist. Bei den meisten Grundstücken waren auch die baulichen Maßnahmen dazu zum größten Teil realisiert. Je mehr Ergebnisse vorliegen, desto besser ist die statistische Aussagekraft.

Was sagt die Bürgerinitiative zur Unwucht bei der Stimmengewichtung in der Verbandsversammlung des WAZV zugunsten der Stadt Staßfurt?

Leider ist von der Verbandsversammlung 2020 ein Beschluss gefasst worden, nachdem Staßfurt unabhängig von der eigenen Einwohnerzahl stets genauso viel Stimmen hat wie alle anderen Verbandsvertreter zusammen. Da es aber keinen objektiven Grund für so eine Bevorteilung gibt, zum Beispiel ein bei 50 Prozent oder höher liegender Umsatzanteil aus Staßfurt, ist diese Regelung schlicht und ergreifend undemokratisch.