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Bürgerinitiative "Bezahlbares Abwasser" "Bewusst Ängste bei den Bürgern mit Unwahrheiten schüren, ist der falsche Weg"

19.04.2014, 01:16

Die Bürgerinitiative "Bezahlbares Abwasser" (BI) warnt vor einem Anschluss- und Benutzungszwang der Grundstücke an die zentrale Niederschlagswasserentsorgungsanlage, für die ein Gutachten festgestellt hatte, dass dort nicht oder nur sehr schwer versickert werden kann. Darüber sprach Volksstimme-Redakteur René Kiel mit dem Geschäftsführer des Wasser- und Abwasserzweckverbandes "Bode-Wipper" Staßfurt Andreas Beyer.

Volksstimme: Sind diese Ängste berechtigt?
Andreas Beyer: Ja und nein. Auf der einen Seite sind die Bürger trotz jahrelanger Versprechen immer wieder bitter enttäuscht worden. Es wurden in den letzten 20 Jahren Fehler gemacht und der kleine Bürger musste dafür finanziell gerade stehen. Das schürt natürlich das Misstrauen der Bevölkerung. Auf der anderen Seite muss man auch klar feststellen, dass ein positiver Trend seit 2011 erkennbar ist. Die Gebührenbelastung ist so gering, wie letztmalig 2003. Widerspruchs- und Klageverfahren haben den tiefsten Stand seit vielen Jahren. Auch wenn es sicherlich noch den ein oder anderen Rückschlag geben wird, an dieser Entwicklung wollen wir festhalten. Was die Umsetzung des Gutachtens betrifft muss man feststellen, dass natürlich der Verband in Zukunft noch genauer hinschauen wird. Es wird auch Einzelfälle geben, wo der Verband einen Anschlusszwang ausspricht, nämlich genau bei den Grundstücken, bei denen aufgrund des Grades der Versiegelung gar keine Möglichkeit besteht, das Niederschlagswasser auf dem Grundstück zu versickern. Aus meiner Sicht betrifft dies vor allem die Grundstücke, die sich in den Ortskernen befinden. Das bedeutet aber nicht, dass automatisch alle Grundstücke, die in den rot eingefärbten Gebieten liegen, zwangsweise angeschlossen werden. Die Vorgehensweise wurde übrigens schon am 14. Januar 2014 gemeinsam mit der Bürgerinitiative und den Bürgermeistern der Mitgliedsgemeinden des WAZV im Gebiet II abgestimmt.

Volksstimme: Die Versickerungsstudie ist vom Vorsitzenden der BI, Pech, kritisiert worden, weil dafür Kartenmaterial aus dem Jahr 1926 verwandt sein soll. Außerdem, so hieß es, sei kein Versuch einer Versickerungsmöglichkeit vor Ort unternommen worden. Ist diese Studie deshalb überhaupt belastbar?
Andreas Beyer: Die Quellen zur Erstellung des Versickerungsgutachtens sind vielfältig - die Erläuterung würde den Rahmen sprengen. Ich kann nur versichern, dass sämtlichen Informationen aus aktuellen geologischen Karten entstammen, die selbstverständlich mit älteren geologischen Karten (zum Beispiel geologische Karte Preußen 1912-1926) abgeglichen worden sind. Ist es verwerflich abzugleichen, wie gewisse Dinge vor 100 Jahren funktioniert haben? Ich denke nicht. Im Übrigen ist es auch so, dass sich die Bodenschichten nicht in 100 Jahren verändern. Ebenso falsch ist die Aussage, dass keine Versickerungsversuche stattgefunden haben. Es lagen im Untersuchungsgebiet 77 Versickerungsversuche vor, die vom Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt gesichtet und korrigiert worden sind. Auf diese Daten wurde zurückgegriffen. Ebenso auf Studien, die der AZV "Bodeniederung i.A." in den Jahren 2006-2009 hat machen lassen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit geht davon aus, dass ein "Übereinanderlegen" der einzelnen Karten vollkommen ausreicht. Gerade wegen der Brisanz des Themas und den Ängsten der Bürger hat sich der Verband entschlossen, alles auf den Prüfstand zu stellen. Im Übrigen betone ich nochmals, dass das Gutachten nicht dafür erstellt wurde, möglichst viele Leute zwangsweise anzuschließen. Dies war eine Hausaufgabe des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Magdeburg aus dem Mai 2013, damit der Verband rechtssicher seine Gebühren kalkulieren kann.

Volksstimme: Stimmt es, dass es derzeit keine rechtmäßige Beitragssatzung für den ehemaligen Abwasserzweckverband "Bodeniederung" gibt und was bedeutet das in der Praxis?
Andreas Beyer: Hier muss man unterscheiden zwischen Baumaßnahmen, die vor der Aufgabenübertragung zum 1. Januar 2011 abgeschlossen waren (Altfälle) und Maßnahmen, die der WAZV vorgenommen hat. Für Letztere habe ich keinerlei Zweifel, dass es eine wirksame Beitragssatzung gibt. Der Sachverhalt für die Altfälle ist weitaus komplizierter. Das OVG Magdeburg hat im September 2012 festgestellt, dass die erste wirksame Beitragssatzung die aus dem Jahre 1995 ist. Das Verwaltungsgericht Magdeburg (VG) hat jedoch gegenteilig im April 2013 entschieden, dass auch die 1995er Satzung unwirksam ist und somit der AZV "Bodeniederung" nie eine wirksame Abgabensatzung hatte. Wie sich das OVG zu diesem Urteil positioniert, entzieht sich meiner Kenntnis.

Volksstimme: Müssen die Grundstücksbesitzer wie im Jahr 2012 befürchten, dass die Kommunalaufsicht noch einmal verlangt, neue Bescheide für die 4000 bis 5000 Grundstücke rauszuschicken, die größer als 723 Quadratmeter und kleiner als 1241 Quadratmeter sind?
Andreas Beyer: Zunächst muss man klar feststellen, dass der AZV "Bodeniederung" in vielen Fällen nicht den vollen Beitragsanspruch durchgesetzt hat. Eine Vielzahl von Grundstückseigentümern hat bis heute keinen Beitrag für die öffentliche Abwasseranlage entrichtet. Die dadurch fehlenden Beitragseinnahmen waren ein Grund für die finanzielle Schieflage des AZV "Bodeniederung". Ginge man der Annahme, dass die Rechtsauffassung des VG auch beim OVG bestätigt wird, entsteht nach jetziger Rechtsprechung die sachliche Beitragspflicht mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Abgabensatzung. Das war im Jahr 2013. Dem entgegen steht ein Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08). Dort wurde aus einem Fall aus Bayern entschieden, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach der Erlangung des Vorteils festgesetzt werden dürfen. Beitragsrechtlich war dies eine Revolution, da die 22 jährige Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt vollkommen auf den Kopf gestellt worden ist. Momentan arbeitet der Gesetzgeber an der Änderung des Kommunalabgabengesetzes, wo u.a. eine Verjährungsfrist für Beiträge eingeführt werden soll. In der Presse war bereits zu lesen, dass die Verjährung zehn Jahre nach Fertigstellung der Baumaßnahme eintreten soll. Ob der Verband hier nochmal tätig werden muss, entscheidet also nicht die Kommunalaufsicht, sondern der Landesgesetzgeber durch die Änderung des Kommunalabgabengesetzes.

Volksstimme: Das Verwaltungsgericht Magdeburg schließt nicht aus, dass die Verbände für die Herstellung der Regenentwässerung eigene Beiträge verlangen können. Will der WAZV davon Gebrauch machen?
Andreas Beyer: Nein. Es gibt aus meiner Sicht weder eine Rechtsgrundlage noch einen Bedarf. Die dort kursierenden Zahlen sind vollkommen aus der Luft gegriffen. Mir ist unklar, wie man auf solche Zahlen kommt, welche die Bürger nur unnötig verunsichern.

Volksstimme: Was sagen Sie zu den Protestaktionen der Bürgerinitiative?
Andreas Beyer: Ich bin der Meinung, dass die BI zum Zeitpunkt der Gründung 2007 einen sehr wichtigen demokratischen Auftrag übernommen hat. Der WAZV "Bode-Wipper" hat sich nach der Aufgabenübertragung von den Gemeinden zum 1. Januar 2011 immer bemüht, einen gemeinsamen Weg mit der BI zu gehen und größtmögliche Transparenz an den Tag zu legen. So fanden auch unter meinem Vorgänger regelmäßige Beratungen zu wichtigen Themen mit der BI statt. Diese Verfahrensweise hatte ich bisher beibehalten. Wenn allerdings diese Protestaktionen mit abstrusen Unterstellungen Ergebnis der vertrauensbildenden Maßnahmen des WAZV sind, muss man leider feststellen, dass dies verschwendete Zeit war. Ich habe das Gefühl, dass die BI entweder ihre Ziele oder die Wahl der Mittel komplett aus den Augen verloren hat. Bewusst Ängste bei den Bürgen mit Halb- und Unwahrheiten zu schüren, an jeder Haustür zu klingeln, um so die Bürger aufzuwiegeln, ist aus meiner Sicht der falsche Weg. Wenn die Berichte aus einigen Gemeinden über die Art und Weise der Mobilmachung der Bürger stimmen, muss ich feststellen, dass so keine seriöse BI arbeitet. Dies hat nicht nur zur Folge, dass Außendienstmitarbeiter des WAZV beleidigt, sondern auch bedroht werden. Genau das ist eine Grenze, die nicht überschritten werden darf und wogegen strafrechtlich vorgegangen wird. Ich persönlich kenne solche Vorgehensweise lediglich von zwiespältigen Religionsgemeinschaften und Drückerkolonnen. Ich würde mir wünschen, dass die BI wieder zu mehr Sachlichkeit zurückfindet, damit der durchaus schwierige Weg der Zukunft leichter zu beschreiten ist.