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Cover-Band Tröstende Melancholie in schweren Zeiten

Anfang März hat sich in Staßfurt die Cover-Band „Neufeld“ gegründet.

23.05.2020, 06:00

Staßfurt l Die zarte Melancholie ist ein kostbares Juwel. Sie erinnert die Menschen an scheinbar glücklichere Tage, bringt aber auch im richtigen Maß inneren Ausgleich und holt so manchen Menschen aus der aufgepeitschten Welt und bringt ihn zurück zu seinen Wurzeln. Wenn es als Quelle der Kraftschöpfung genutzt wird.

„Ach und könnte ich doch nur ein einz'ges Mal die Uhren rückwärts drehen. Denn wie viel von dem, was ich heute weiß, hätte ich lieber nie gesehen.“ Zusammen mit der Stimme von Peter Heppner sind diesen Zeilen im Jahr 2003 Hunderttausende und später vielleicht Millionen verfallen. „Kein Zurück“ war die Synthie-Pop-Hymne einer im neuen Jahrtausend etwas ziellosen umhertaumelnden Generation. Wolfsheim hatte mit diesem Lied den größten Erfolg gefeiert und damit auch dieser musikalischen Stilrichtung, die ja ihre Wurzeln in den 1980er Jahren hat, auch im Mainstream Auftrieb gegeben. Elektronische Beats waren wieder modern. Elektronische Musik lebt bis heute. In anderen Strukturen und anderen Ausrichtungen.

Doch Wolfsheim? Die Zwei-Mann-Band, zu der neben Peter Heppner noch Markus Reinhardt gehörte, gibt es seit 2005 nicht mehr. Unschöne Streitereien, die vor Gericht endeten, hauten den Sargnagel in das Projekt. Peter Heppner machte danach als Solomusiker weiter und erarbeitete sich danach eine stabile Fanbasis.

Die Band Wolfsheim wird wohl nie wieder aktiv werden. Zeit genug also, diesen Klängen wieder Leben einzuhauchen. Das dachten sich auch der Staßfurter Sven Kordaß, José Alvarez-Brill aus Berlin und Frank Körner-Steding aus Köln. Das Trio gründete offiziell im März in Staßfurt die Wolfsheim-Coverband „Neufeld“. In der Altstadt und am Löderburger See wurden Fotoshootings gemacht. Im Internet wurde eine Homepage erstellt. Die Band hat Profile auf Youtube, Instagram, Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Vor über drei Wochen postete die Band auch das erste Video. Natürlich ein Cover des Wolfsheim-Hits „Kein Zurück“.

Ja, Neufeld ist eine Tribute-Band. Vielleicht die einzige über Wolfsheim. Erfolg wäre dabei kein Zufall. Denn in der Band haben sich drei Musiker zusammengetan, die über viele Jahre im Musik-Business aktiv sind. Zu nennen wäre da vor allem Josè Alvarez-Brill. Der 57-Jährige ist als Produzent seit Jahrzehnten ein Erfolgsgarant. Das Lied „Die Flut“, das im Jahr 1998 von Joachim Witt und Peter Heppner erschien und sich 900 000 Mal verkaufte, wurde von ihm produziert. Er war Mitglied bei und Entdecker von Unheilig und war natürlich auch bei Wolfsheim erfolgreich. Dazu wirkte er auch bei Hits von Depeche Mode, Rosenstolz, De/Vision oder Alphaville mit. Im Salzlandkreis ist Alvarez-Brill natürlich auch als Produzent von „Noch ist Zeit“ bekannt. In Berlin betreibt er ein Musiklabel. Dazu war er in den 1990er Jahren auch im Dance- und Eurodance-Bereich aktiv.

„Ich wollte das Erbe von José nicht untergehen lassen“, sagt Frank Körner-Steding. Er ist der Sänger von Neufeld und hatte im vergangenen Jahr die Idee zur Gründung einer Wolfsheim-Tribute-Band. „Leider ist das alles weg. Die Zeit braucht so etwas aber wieder. Es gibt einen großen Markt dafür, eine große Sehnsucht danach.“ Körner-Steding, der früher auch in Magdeburg gelebt hat und in Stralsund geboren wurde, hatte schon vor vielen Jahren Synthie- und Rockprojekte, in denen er aktiv war. „In der Waveszene der 80er Jahre fühle ich mich zu Hause, da fühle ich mich heimisch“, sagt er. „Ich mache Musik, seit ich denken kann.“

Weil „Neufeld“ dabei nicht nur covern, sondern später auch eigene Lieder auf den Markt bringen will, war die Gedankenbrücke zu Alvarez-Brill schnell überschritten. „Nach und nach soll ein eigener Stil her, da kam José ins Spiel“, so Körner-Steding. Dieser musste nicht lange überredet werden. „Ich hatte einfach Bock gehabt, wieder auf die Bühne zu gehen“, sagt Alvarez-Brill. Und das mit Musikern, die er seit vielen Jahren kennt. Alvarez-Brill wird wie Sven Kordaß für das Keyboard bei der Band zuständig sein.

Der Staßfurter Kordaß kommt ursprünglich aus Colbitz in der Letzlinger Heide und lebt seit langem im Großraum Magdeburg, nun also an der Bode. Er war lange Zeit in Jazzbands aktiv und hat in Orchestern gespielt, bevor er als Manager Newcomermusik unterstützte. Martin Kesici war zum Beispiel einer seiner Schützlinge. Auch Berliner Bands waren unter seinen Fittichen. Hilfe bot er auch bei „Noch ist Zeit“ an. „Ich habe viele Booking-Sachen übernommen“, sagt Kordaß. Selbst zum Instrument hat er dabei schon lange nicht mehr gegriffen. „Ich stand seit zehn Jahren nicht mehr auf der Bühne. Aber das ist wie Fahrrad fahren. Das verlernt man nicht. Ich bin von dem Projekt ‚Neufeld‘ komplett überzeugt. Das wird funktionieren. Ich wollte unbedingt dabei sein. Das ist ein Projekt mit Herzblut“, sagt Kordaß.

Neben Wolfsheim sollen auch andere Bands gecovert werden wie zum Beispiel die Pet Shop Boys, De/Vision, Alphaville, Camouflage oder Schiller mit Heppner. Unterstützung gibt es bereits vom Peter Heppner Fanclub. Das erste Video, das vor über drei Wochen hochgeladen wurde, hat bei Youtube über 500 Klicks. „Obwohl wir es nicht promotet haben. Das ist nicht so schlecht“, sagt Kordaß. Auch in anderen sozialen Netzwerken bekommt das Trio laut eigenen Angaben viel positives Feedback.

„Wir wollen noch in diesem Jahr einen eigenen Titel veröffentlichen. Vielleicht sogar zwei“, sagt Alvarez-Brill. Wären es normale Zeiten, würde die Band wohl auch in diesem Jahr die ersten Konzerte spielen. Weil die Zeiten aber nicht normal sind, muss sich die Band in Geduld üben. Trotzdem: „Wir wollen die Zeit nutzen. Die Veranstalter schauen schon auf 2021. Zwei Booking-Agenturen interessieren sich bereits für uns“, sagt Körner-Steding. Gerade für ihn ist „Neufeld“ eine Gratwanderung. Der Sänger ist selbst noch berufstätig im „Sozialversicherungssektor“, wie er sagt und hat zwei Kinder. „Ich setze alles auf eine Karte“, sagt er. Er kann sich vorstellen, dass er mit „Neufeld“ später einmal hauptberuflich Brötchen verdient. Viel mehr: Er ist davon fest überzeugt. „Wolfsheim hat immer noch viele Anhänger. Wir wollen die Band wertschätzen, authentisch sein“, so Körner-Steding.

Dementsprechend nah am Original ist auch das Cover von „Kein Zurück“. „Die Neufeld-Cover der deutschen Erfolgsband Wolfsheim sind dem Original zum Verwechseln ähnlich“, sagt die Band selbst über sich. Was nicht gelogen ist. Viele weitere Stücke wird die Band einüben, bevor sie diese irgendwann einmal vor einem größeren Publikum präsentieren wird. Bis dahin wirken die Bandmitglieder in Corona-Zeiten natürlich auch Hunderte Kilometer voneinaner entfernt vor sich hin. Im Juni ist ein Treffen angesetzt. Davor gab es seit März nur telefonische Zusammenkünfte. „Wir brauchen den persönlichen Kontakt erst einmal nicht“, sagt José Alvarez-Brill. Gute Musik lässt sich auch miteinander abstimmen, wenn mehrere Bundesländer zwischen den Wohnorten liegen.

Unbeschwert ist die Zeit dabei trotzdem nicht. „Es ist eine ganz komische Zeit und ein ganz schönes Gewühl. Es ist nicht einfach“, sagt Alvarez-Brill. Die Zeit zurückdrehen, vielleicht in den Februar. Das wünschen sich bestimmt einige Menschen. Geht natürlich nicht. Wolfsheim waren da fast Visionäre. „Immer vorwärts Schritt um Schritt. Es geht kein Weg zurück. Was jetzt ist wird nie mehr ungeschehen. Die Zeit läuft uns davon. Was getan ist, ist getan und was jetzt ist wird nie mehr so geschehen“, heißt es schließlich im Refrain des Hits „Kein Zurück“.

„Neufeld“ ist im Internet unter http://www.neufeldmusic.de zu finden.