Tilman Tögel erarbeitet Stellungnahme für den Ausschuss der Regionen zum europäischem Gesundheitsprogramm Altmärker dreht in Brüssel an den Rädern Europas
Europapolitik machen die da in Brüssel, oft abgehoben von der Realität in den Mitgliedsstaaten und deren Regionen. Ein Vorwurf, gegen den Tilman Tögel engagiert streitet. Der Stendaler gehört zu denen, die an den Rädern in Brüssel mitdrehen - ehrenamtlich wie rund 340 Mitstreiter im Ausschuss der Regionen der EU.
Stendal/Brüssel l Der Wecker ist unerbittlich. Tilman Tögel hat ihn auf 4 Uhr gestellt, also rasselt der Zeitmesser den Stendaler zu überfrüher Stunde aus dem Schlaf. 45 Minuten später steigt Tögel in den Zug. Nicht nach Magdeburg geht die Reise - der sachsen-anhaltische Landtag ist seit 22 Jahren der Arbeitsplatz des SPD-Politikers -, sondern nach Berlin. Der Flieger Richtung Brüssel wird um 6.40 Uhr abheben. Wenn Tögels selbst geknüpfte Logistik-Kette funktioniert, wird er gegen 9 Uhr am Ziel sein - in der Rue Belliard 101, Sitz des Ausschusses der Regionen (AdR) der Europäischen Union.
Zehn Minuten vor Neun steht der Stendaler vor der Bürotür von Mathieu Hornum, Mitarbeiter der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament. Sozusagen die Geschäftsstelle der europäischen Sozialisten. Die Begrüßung ist herzlich. Beide Männer kennen sich seit vielen Jahren, in denen der Sozialdemokrat aus dem Norden Sachsen-Anhalts Europapolitik macht. Anfang der 90er Jahre in der SPD-Fraktion des sachsen-anhaltischen Landtages wurde Tögels Interesse an der Europapolitik schnell zur Begeisterung. Zwischen 1998 und 2006 war der Altmärker Vollmitglied des Ausschusses der Regionen, in dem er seit 2011 Stellvertreter des sachsen-anhaltischen AdR-Mitgliedes Michael Schneider ist. Der Ausschuss der Regionen, mit dem Vertrag von Maastricht 1992 als Beratungsgremium von Europäischer Kommission und Rat der EU eingerichtet, ist auf 344 Mitglieder aus den 27 EU-Mitgliedsstaaten angewachsen. Fünf Mal im Jahr treten sie zu Plenartagungen zusammen.
Die 95. AdR-Plenarsitzung wird am Nachmittag dieses Tages, des 3. Mai 2012, beginnen. Tilman Tögel wird einer von 18 Berichterstattern sein - als Mitglied der AdR-Fachkommission "Natürliche Ressourcen". Tögel nutzt die damit verbundenen Möglichkeiten, denn: "Wenn ich etwas tue, will ich möglichst auch etwas bewegen. Ich will nicht nur über Europa meckern, sondern versuchen, an den Rädern in Brüssel mitzudrehen." Im AdR weiß er sich in guter Gesellschaft.
Jede Verordnung, die von der EU verabschiedet wird, geht zuvor durch den Ausschuss der Regionen. Sie wird in dessen Fachkommissionen und Fraktionen beraten, bevor der AdR dazu eine Stellungnahme abgibt, die das EU-Parlament in seine Entscheidung einfließen lassen muss.
Die Stimme des Ausschusses hat Gewicht. Nicht, weil es vor 20 Jahren in Maastricht in die AdR-Geburtsurkunde geschrieben wurde, sondern weil hier Fachleute aus den Regionen Europas sitzen, und solche, die einen direkten Draht zu ihnen haben und deren Kompetenz in die Arbeit des AdR einfließen lassen. Tilman Tögel gehört dazu. Man weiß in Brüssel um seine Kompetenz ebenso wie um die Fähigkeit des Stendalers, für die Stellungnahme, die er im Auftrag seiner AdR-Fachkommission erarbeitet, die richtigen Experten mit ins Boot zu holen. "Da ist es schon ein Vorteil, wenn man eine Landesverwaltung im Hintergrund hat, in der diese Fachleute sitzen", sagt Tögel.
In diesem Fall waren die in Sachen Gesundheitspolitik gefordert. Der Bericht, den der Stendaler am zweiten Tag der Plenarsitzung vorlegen wird, bezieht Stellung zu einem geplanten EU-Aktionsprogramm im Bereich Gesundheit. Es geht um abgestimmte Gesundheitssysteme, um Vorbeugung und europaweite Netze, die geknüpft werden sollen, um Gesundheitsbedrohungen bekämpfen zu können. Und es geht um rund 446 Millionen Euro, die von der EU in den Jahren 2014 bis 2020 dafür zur Verfügung gestellt werden sollen.
30 Punkte umfasst die Stellungnahme Tögels zum EU-Gesundheitsprogramm, sieben Änderungsvorschläge hat er eingearbeitet, sieben Mal war er seit Jahresbeginn in Brüssel, um in der Fachkommission und der SPE-Fraktion des AdR über den Stand zu berichten, Argumente auszutauschen, an Formulierungen zu feilen. Letztendlich nahm die Fachkommission Tögels Stellungnahme mit großer Mehrheit an.
Die Stunde der Wahrheit schlägt für den Stendaler Europapolitiker am späten Nachmittag des 4. Mai im großen Sitzungssaal des EU-Parlaments. Als Berichterstatter nimmt er im Präsidium der Tagung Platz, neben ihm Anja Naumann, ebenfalls Sachsen-Anhalterin und die Fachfrau, die Tögel in den vorausgegangenen sechs Monaten bei der Ausarbeitung der Stellungnahme zur Seite stand. Dass sie für diesen Tag in Brüssel Urlaub nahm, ist selbstverständlich. Alle Männer und Frauen, die sich im Ausschuss der Regionen für Europa engagieren, tun das ehrenamtlich.
"Schon allein deshalb bin ich ein überzeugter Europäer"
Tilman Tögels Bericht wird angenommen, einstimmig als einer der wenigen der Plenartagung und somit zur Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum EU-Gesundheitsprogramm 2014-2020. Beifall und manch Händedruck begleiten den Stendaler auf seinem Weg aus dem Plenarsaal.
"Na dann: schöne Grüße in die Altmark", verabschiedet sich Thomas Wobben von Tögel, einer der Direktoren des AdR und als ehemaliger Leiter der sachsen-anhaltischen Landesvertretung in Brüssel langjähriger Weggefährte.
Sein "Bis Bald" ist mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Am Freitag wird Tilman Tögels Wecker ihn erneut zu früher Stunde aus dem Schlaf rasseln, damit er seinen Flug in die belgische Hauptstadt nicht verpasst. Der Stendaler wird AdR-Ausschussmitglied Michael Schneider in der Fachkonmmission für Regionalpolitik vertreten und voraussichtlich gegen Mitternacht wieder in Stendal sein.
Warum er das alles tut? "An einer starken EU geht kein Weg vorbei. Sie muss sich einig sein, mit einer Stimme sprechen. Nicht nur aus wirtschaftlichen Interessen, sondern auch unter dem friedensbewahrendem Aspekt. Schon allein deshalb bin ich ein überzeugter Europäer."