Archäologie Stendals Anfänge neu datiert
Einen Überblick über archäologische Grabungen in Stendal gab jetzt ein Vortrag. Neben viel Gewöhnlichem fand sich eine kleine Sensation.
Stendal l Sensationelles, Spektakuläres, Unglaubliches – die Erwartungen sind groß, wenn Archäologen ihre Grabungsfunde präsentieren. Mehr als groß war in jedem Falle das Interesse am Vortrag von Andreas Neubert im Stendaler Rathausfestsaal am Dienstagabend, wo er einen Überblick über die Grabungen in Stendals Innenstadt während der letzten drei Jahre gab. Und selbst wenn es aus Sicht des Wissenschaftlers eben kaum Ungewöhnliches zu vermelden gab, ist es für den Laien wohl doch jedes Mal aufs Neue spannend und erhellend, in die Vorzeit der eigenen Stadt zu schauen.
Allein die Fülle der Funde, die aus dem 12. bis 18. Jahrhundert stammen, ist staunenmachend: Rund 3900 Gegenstände, Fragmente, Bauteile, Scherben, Knochen und sonstige Überbleibsel der vormaligen Stendaler Zivilisation haben Andreas Neubert, Torsten Herm und Peter Fuhrmann im Zeitraum 2017 bis 2019 in der Rathenower Straße, Wüste Worth, Stavenstraße, Uchtstraße und im Sidenbüdel entdeckt und dokumentiert.
Den Großteil machen dabei Keramik- und Tonwaren sowie Holz, Tierknochen und diverseste Haushalts- und Essensabfälle aus. „Wir finden aber nur das, was auf den Straßen gelandet ist, und auch das können wir nur in der Ausdehnung der Baugruben untersuchen, da wir nicht weiter in die Breite graben“, sagt Neubert, der es noch interessanter fände, den Untergrund der einstigen Hinterhöfe zu examinieren.
Bei aller Gewöhnlichkeit der Funde merken aber auch die Archäologen immer mal wieder auf: zum Beispiel wenn neben dem üblichen Holzweg auch gepflasterte Bereiche auftauchen; wenn von einem Steinbrunnen deutliche Wandsegmente erhalten sind; wenn da plötzlich Fundamentreste der Stadtbefestigung zutage treten; wenn sie auf einen hölzernen Röhrenbrunnen oder gar eine Holzwasserleitung, die aus einem ausgehöhlten Baumstamm gefertigt wurde, stoßen; oder wenn sich an unerwarteter Stelle eine Latrine auftut, die wiederum etliche Abfälle wie Eier- und Nussschalen sowie Lederreste, Trinkglasscherben und Keramikzierrat enthält.
Dennoch: Gerade die Bohlen und Pfosten alter Wege und Straßen sind von besonderem Interesse, erlauben sie doch dank dendrochronologischer Verfahren eine ziemlich präzise Datierung der zutage getretenen Schichten. Und so gab es dann bei den Grabungen in der Rathenower Straße doch noch eine kleine Sensation: ein Kastenbrunnen aus aneinandergesetzten Eichenbohlen mit verstärkenden Verstrebungen im Inneren. Seine Datierung gelang erstaunlich genau: nämlich auf das Jahr 889. „Damit haben wir einen Nachweis, dass es eine vorstädtische Besiedlung gab“, erläuterte Neubert, „und dieser Siedlungskern könnte Anteil an der Stadtwerdung Stendals gehabt haben.“
Nicht alles, was entdeckt wird, kann und soll dem Erdreich entrissen werden. Vieles wird einfach nur fotografiert und dokumentiert und schließlich wieder verschüttet. Denn den Archäologen sitzt stets die Zeit im Nacken, die Bauarbeiten sollen möglichst verzögerungsfrei vonstatten gehen. Das ist das große Dilemma der baubegleitenden Archäologie, wie Andreas Neubert anmerkte: „Die Ausgrabung muss schnell passieren, wir würden aber gern tiefgründiger und genauer wissenschaftlich aufarbeiten.“ Zum Teil erfolgt die Auswertung derzeit noch direkt in Stendal, wo für Andreas Neubert ein provisorischer Arbeitsplatz eingerichtet wurde.
Ob er persönlich auch bei den nächsten anstehenden Tiefbauarbeiten im Schadewachten dabei sein wird, kann er noch nicht sagen. Bärbel Hornemann von der Unteren Denkmalschutzbehörde indes ist auf diese immense Baugrube schon sehr gespannt, da dort „alles doppelt verlegt wurde“ und somit zwei Gräben geöffnet werden müssen.