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Bestattungen Balanceakt zwischen Nähe und Distanz

In Zeiten von Corona unterliegen Bestattungen strengsten Auflagen. Eine Herausforderung für Hinterbliebene, Seelsorger, und Bestatter.

Von David Boos 26.04.2020, 02:00

Osterburg l Es ist ein wunderschöner Frühlingsmorgen. Die Sonne scheint, kein Wölkchen ist am Himmel. Doch die Atmosphäre am Osterburger Friedhof gemahnt daran, dass noch vor kurzem Karfreitag war. Tod und Grablegung liegen an diesem Wochentag immer irgendwo in der Luft. Auch heute steht ein Leichenwagen bei der Friedhofskapelle, einem 75-jährig verstorbenen Osterburger soll die letzte Ehre erwiesen werden. Doch die wenigen anwesenden Trauergäste, letztlich sind es sechs an der Zahl, stehen draußen Schlange, um sich in eine Anwesenheitsliste einzutragen. Bestatter sind in Zeiten von Corona dazu verpflichtet, diese Listen zu führen. Dies ist nur eine der vielen Veränderungen, wenn es darum geht, Abschied von einem Verstorbenen zu nehmen. Auch die Kapelle selbst bleibt heute leer, der Abschied findet mit einer kurzen Trauerandacht direkt am Grab statt. Im „engsten Kreis“, dessen genaue Auslegung meist der Familie obliegt, wird Abschied genommen, die verkürzte Zeremonie leitet der Osterburger Pfarrer.

Pfarrer Gordon Sethge ist erst seit knapp einem Jahr in Osterburg ansässig und wurde durch die Corona-Krise schon vor einige große Herausforderungen gestellt. Vor allem im Bereich der Seelsorge nach einem Todesfall spielt menschliche Nähe eine große Rolle, und diese wird durch die Abstandsregelungen in Zeiten von Corona stark eingeschränkt. „Manche Seelsorgegespräche finden nach wie vor zu Hause statt“, so Sethge. Immer öfter würden die Gespräche auch „am Gartenzaun“, oder auch „am Telefon“ geführt werden, auch wenn der Pfarrer letztere Variante als nicht optimal empfindet: „man möchte sich den Leuten nicht aufdrängen, aber ein Gespräch am Telefon ist oft nach 10 Minuten vorbei, während es sonst oft eine Stunde dauern kann.“ Das Wohnumfeld des Verstorbenen biete „oftmals andere Impulse und sagt mehr über die Person aus, als in einem Telefongespräch ersichtlich würde“, erklärt der Geistliche. Für die Gestaltung von Trauerreden ist diese persönliche Note essentiell.

Doch der Seelsorger setzt auch Impulse um in diesen Zeiten neue Wege zu finden, den Glauben zu leben, und die Trauer zu verarbeiten. Dabei bedarf es keiner revolutionären Neuerungen, im Fall von Osterburg erwies sich die simple Öffnung der Kirche, auch ohne Kirchenwacht, als wichtiger Impuls für die Glaubensgemeinschaft. Sethge bemerkt, dass „die Gebetsbox vermehrt genutzt wird“, und sich immer wieder Menschen zum stillen Gebet in der Kirche einfinden würden. „Auch die Friedhofspflege spielt nach wie vor eine große Rolle“, erklärt der Pfarrer. „Der Friedhof und das Grab wird zum Bewältigungsort.“ So trifft der Geistliche regelmäßig Hinterbliebene, die „früher keine großen Kirchgänger waren“, am Friedhof und gerät mit ihnen ins Gespräch. In Ermangelung anderer Möglichkeiten, wird so die letzte Ruhestätte „Ort des Abschieds und der Trauerbewältigung“ zugleich.

Bestattungsunternehmer Kunz Schulz aus Tangermünde fährt seinen Leichenwagen zum städtischen Friedhof. Fast beiläufig erzählt er plötzlich, dass vor kaum zwei Wochen in diesem Leichenwagen ein Covid-19-Toter transportiert wurde. Beunruhigung steht ihm jedoch nicht ins Gesicht geschrieben, denn als Bestatter ist es Teil seiner Berufsauffassung auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. „Vorsicht war im Umgang mit Toten schon immer geboten, ob nun durch HIV, Hepatitis, oder andere Krankheiten“, erklärt Schulz.

Besondere, über das Übliche hinausgehende, Maßnahmen sind weder vom Bundesverband Deutscher Bestatter vorgeschrieben, noch seiner Meinung nach notwendig. Höchst professionell sitzen bei dem Bestatter alle Handgriffe, er weiß im Gegensatz zu vielen Menschen im Alltag immer, wohin er greifen darf, und wohin nicht. Dabei setzt der Bestattungsunternehmer auf Qualität: mit Handschuhen aus Nitril, statt aus Latex, kann er stundenlang sicher arbeiten, es gibt separate Waschbecken für Mitarbeiter und das Waschen der Toten, und auch bei den Desinfektionsmitteln setzt er auf hochwertige Spezialprodukte. Von letzteren hat er glücklicherweise rechtzeitig Vorräte angelegt, denn mittlerweile sind auch diese nicht mehr erhältlich. Wann die Lieferketten wieder funktionieren, steht in den Sternen. So richtet sich auch die Sorge von Kunz Schulz eher auf zukünftige ökonomische Entwicklungen, durch die Kunden sich bestimmte Bestattungsformen nicht mehr leisten könnten.

Während sich der Umgang mit den Toten für den Bestattungsunternehmer nicht verändert hat, unterliegen die Beerdigungen selbst dem größten Wandel: „Die Leute sind traurig darüber, wie es läuft“, meint der Bestatter. Aber auch für ihn und seine Mitarbeiter ist die Situation schwierig: „Ein einfaches Zunicken ersetzt nicht die Kondolenzbekundung durch einen Händedruck oder gar eine Umarmung.“ Trost spenden, wie bisher, ist nicht mehr möglich, effektive Ersatzrituale gibt es nicht.

Zumindest aber bietet Schulz weiterhin die Möglichkeit, kleine Trauerfeiern in der hauseigenen Kapelle abzuhalten, natürlich unter Gewährleistung entsprechender Sicherheitsabstände. Das Bestreben ist, auch unter diesen erschwerten Bedingungen einen Hauch von Normalität zu erhalten, und die üblichen Rituale so gut es geht durchzuführen. Von den andernorts eingeführten Videoübertragungen per Livestream vom Handy rät der Bestatter jedoch ab: „Man muss dabei die Trauerredner mit einbeziehen“, denn, so meint er, „es ist eine Sache eine Trauerrede vor einer Gruppe Trauernder zu halten, und eine ganz andere Sache, dies vor einer Kamera zu tun.“ Wenngleich er solche Anfragen also nicht explizit ablehnt, so konnte er mit seinen Erwägungen die Angehörigen bereits davon überzeugen, von dieser Variante Abstand zu nehmen.

Ähnlich würde auch Pfarrerin Janette Obara aus Arneburg vorgehen. „Es ist besser im Moment anwesend zu sein“, argumentiert die Theologin, die seit Beginn der Corona-Krise bereits zwei Beerdigungen durchführte. Statt auf technische Hilfsmittel zu setzen, empfiehlt sie eher die Trauerfeier zu verschieben, oder einen Gedenkgottesdienst zum Jahrestag der Beerdigung abzuhalten. „Man merkt die Wichtigkeit von Ritualen“, erklärt Obara. Sie empfiehlt daher auch ausdrücklich einen Ort zum Gedenken einzurichten, anstatt einer anonymen Bestattung. Ebenso verteilt sie neuerdings ein kleines Heftchen mit einem „Trauerritual für Zuhause“, in dem entferntere Familienmitglieder Vorschläge zur privaten Trauergestaltung finden können. Wirklich schwierig gestaltet sich die Frage der Sterbebegleitung für die Seelsorgerin: „Komme ich dann, oder komme ich nicht? Wie wirkt das dann auf die Angehörigen, wenn ich da mit einer Schutzmaske stehe?“

Wenngleich die Pfarrerin es bedauert, dass die üblichen Riten reduziert werden müssen, so erlebte sie auch ein berührendes Beispiel gemeinschaftlicher Kondolenz: „In den Dörfern ist es üblich, dass die gesamte Dorfgemeinschaft an Begräbnissen teilnimmt.“ Das geht zwar nicht mehr, aber in einem der Dörfer wurde man kreativ und „verteilte von Haus zu Haus Zettel“ mit einem Hinweis auf den Zeitpunkt der Beerdigung. „Als der Leichenwagen die Dorfstraße erreichte, machte er Halt und öffnete die Heckklappe, um die Urne zu präsentieren.“ Die Kirchenglocken wurden geläutet, und aus „allen Häusern kamen die Bewohner, um an ihren Gartenzäunen dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.“ Einer der Dorfbewohner spielte sogar auf der Trompete ein Volkslied, und so zog der Leichenwagen „langsam an der Spalier stehenden Dorfgemeinschaft vorbei.“

In einer Stadt wie Osterburg ist diese Art von gemeinschaftlicher Verbundenheit schon viel schwieriger zu realisieren. Und der Wegfall alter Rituale hinterlässt Unsicherheit. Während sich das Begräbnis am Osterburger Friedhof dem Ende zuneigt, zückt eine der Trauernden noch am Grab ihr Portemonnaie, entnimmt einen Geldschein und möchte ihn dem Pfarrer übergeben. Dieser ist sichtlich verunsichert. Es ist eine gut gemeinte Geste, früher wäre diese Gabe dezent in einem Kollektenbeutel gelandet, heute fordert sie die Beteiligten heraus mit dieser Situation neu umzugehen. So bewahrheitet sich der dem Schriftsteller Thomas Mann zugeschriebene Satz in Zeiten von Corona mehr denn je: „Der Tod eines Mannes ist eher eine Angelegenheit seiner Hinterbliebenen denn seine eigene“.