Kultur Chefdramaturgin verlässt Stendaler Theater
Cordula Jung verlässt zum Jahresende das Theater der Altmark. Wie ihr Plan nach sieben Jahren in Stendal aussieht.
Stendal l Als Cordula Jung im Jahr 2012 an einem verregneten Sonntagabend in Stendal ankam und bei ihrer Suche nach einem Kaffee nur verschlossene Türen vorfand, sagte ihre innere Stimme: „Bin ich froh, in sechs Wochen wieder weg zu sein.“ Diese Wochen waren geplant, um am Theater der Altmark „Novecento – Die Legende vom Ozeanpianisten“ zu inszenieren. Der damalige Intendant Alexander Netschajew, den sie aus der freien Theaterszene Münchens kannte, hatte sie dazu nach Stendal eingeladen. Wer sich Cordula Jungs Vita seit jenem verregneten Sonntagabend anschaut, sieht schnell: Bei den sechs Wochen ist es nicht geblieben. Es wurden Jahren – weil sie sich von Anfang wohl- und gut aufgehoben gefühlt hat. Wegen der Kollegen, wegen der Menschen, wegen des Miteinanders am Theater.
Darum unterschrieb sie für die Spielzeit 2013/14 eine Festanstellung als Dramaturgin und Regisseurin. Die nächste Station für die heute 42-Jährige, die aus Landsberg stammt und nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München noch ein Regiestudium an der Bayerischen Theaterakademie August Everding anschloss. Über das Staatstheater Nürnberg, das Südthüringische Staatstheater Meiningen, die Oper St. Gallen und Inszenierungen an weiteren Häusern führte sie der Weg nach Stendal.
Schon wenige Monate nach ihrem Start am TdA schärfte das sein Profil und baute Sparten auf. Cordula Jung übernahm im Januar 2014 die Leitung des Jungen TdA, zu dem die Produktion von mobilen Kita- und von Klassenzimmerstücken ebenso gehört wie die Inszenierung von Familienstücken im Haus an der Karlstraße. „Mit dem Jungen TdA haben wir nach außen erkennbar gemacht, dass uns dieser Bereich sehr wichtig ist“, sagt Cordula Jung.
Sie hat sich immer als Produktionsdramaturgin gesehen, war stets in die Organisation des Theaters eingebunden und wegen zahlreicher Projekte und Kooperationen, aber auch wegen der Kinder- und Jugendarbeit, mit vielen Partnern in der Hansestadt und in der Altmark vernetzt. Darum war der nächste Schritt ein logisch folgender: Cordula Jung wurde die offizielle Stellvertreterin des Intendanten, erst von Alexander Netschajew, dann von Wolf E. Rahlfs. „Ich war am meisten in alles involviert“, erklärt sie die damalige Entscheidung.
Wenn sie in wenigen Tagen das Theater der Altmark verlässt, dann schaut Cordula Jung auf rund 20 Inszenierungen als Regisseurin zurück und zirka 50, die sie als Dramaturgin begleitet hat. Welche ihr davon besonders am Herzen gelegen haben?
Nach etwas kurzem Überlegen nennt die 42-Jährige das Weihnachtsmärchen „Pippi Langstrumpf“. „Das war ein Herzenswunsch, weil es immer etwas Besonderes ist“, sagt sie und nennt noch Dawn Kings „Foxfinder“. Für sie „eine tolle politische Parabel, ein tolles Stück“.
Sie denkt bei dieser Frage aber auch an die erfolgreiche Reihe „Märchencafé“, für das sie gemeinsam mit Puppenspielerin und Schauspielerin Claudia Tost mehr als 70 Veranstaltungen vorbereitet hat. Ein weiterer roter Faden sei das Thema Inklusion gewesen. Es habe ihr immer Spaß gemacht, den Club der Andersbegabten, ein Angebot für Menschen mit Handicap, zu begleiten.
Und dann gibt es da noch einen Mann namens Roland, Beruf: Ritter. Sie hatte die Wiederaufnahme des Open-Air-Stücks auf die Bühne gebracht und für die Fortsetzung „Roland rettet die Hanse“ schon alles vorbereitet – aber Corona hat die Uraufführung in diesem Sommer verhindert. Das Stück soll nun im Jahr 2022 gezeigt werden. „Wenn alles klappt, bin ich wieder mit dabei“, kündigt Cordula Jung an.
Dass sie mal wieder am TdA inszeniert, schließt sie nicht aus. Auch, weil sie vorerst in Stendal wohnen wird. „Es ist der Ort, an den man zurückkommt. Es gibt keinen Grund, von Stendal wegzugehen“, sagt sie, denn hier fühle sie sich wohl. Beruflich zieht es die Dramaturgin und Regisseurin aber hinaus in die weite Theaterwelt. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mal wieder frischen Wind haben muss.“ Wer sich künstlerisch weiterentwickeln möchte, „muss dafür auch mal etwas verändern“, sagt die 42-Jährige. Sich in einer Theaterfamilie wie der am TdA gut aufgehoben zu fühlen, sei sehr schön, „aber dennoch bleibt immer die Angst, dass man etwas verpasst. Dann muss man sich selbst anstupsen.“
Das hat Cordula Jung schon vor mehr als einem Jahr getan. Denn im Theater werden wegen der Planung kurz nach Start einer neuen Spielzeit schon die Verträge für die kommende verhandelt. Darum hatte sie bereits 2019 gesagt: „Ich gehe im nächsten Jahr.“ Dass es nun ganz unüblich mitten in der Spielzeit passiert, hat mit der energetischen Sanierung des Theatergebäudes zu tun. Sie wollte organisatorisch den Wiedereinzug begleiten und die Eröffnung mit dem Weihnachtsmärchen. Beides war für November geplant: Der Bau verzögert sich, das Märchen fiel Corona zum Opfer. In der laufenden Spielzeit hat sie zum Abschied die Liederabende „Ich war noch niemals in New York“ und „Im Theater ist nichts los“ inszeniert.
In der Freiberuflichkeit ist sie „offen für die ganze Bandbreite“ des Theaters, sieht ihren Schwerpunkt aber in der Kinder- und Jugendarbeit. Bei ihren Inszenierungen wird sie es halten, wie bisher: „Man darf sich nicht allzu sehr beeinflussen lassen.“ Darum habe sie immer wenig geschaut, wie andere vor ihr ein Stück inszeniert haben oder wie der Stoff als Film umgesetzt wurde.
Was wird sie vom TdA vermissen? „Die Menschen, ganz klar.“ Und das Miteinander im künstlerischen Prozess und mit den anderen Abteilungen des Hauses, „das erst mit der Zeit entsteht, das sich aufbauen muss“. Das Einzige, das sie nicht vermissen wird: ein Theater in kommunaler Hand inklusive der Verwaltungsabläufe. „Im künstlerischen Prozess wünscht man sich, dass manche Dinge spontaner gehen.“
Ihr Kollege Tristan Benzmüller übernimmt mit Jahresbeginn die Leitung der Dramaturgie und wird stellvertretender Intendant.