Viktor Kraus bastelt aus Streichhölzern architektonische Hingucker / Auch St. Marien stand Modell Der Mann, der aus Zündstoff Kirchen baut
Geduld ist sein wichtigstes Werkzeug: Viktor Kraus baut aus Streichhölzern Häuser, Windmühlen und Kirchen. Für den gelernten Bauarbeiter ist es seine Art, zur Ruhe zu kommen.
Stendal l Wer sich fragt, wozu es eigentlich noch Streichhölzer gibt, der findet die Antwort bei Viktor Kraus. Er hortet sie gleich massenhaft im Wohnzimmerschrank. Und das nicht etwa, weil er Kettenraucher wäre oder ein übertriebenes Faible für Kerzenlicht hat - nein, für Viktor Kraus sind Streichhölzer wertvolles Baumaterial.
Aus den Holzstäbchen mit ihren bunten Köpfchen schafft der 54-jährige Stendaler wahre Kunstwerke. Vor allem Kirchen, aber auch Windmühlen und sogar ein komplettes Grundstück sind unter seinen geschickten Fingern entstanden. Dass er von Beruf Bauarbeiter ist, dürfte dabei fürs Konstruktionsverständnis von Vorteil sein, ansonsten bedarf es für dieses Hobby aber wohl eher einer ausgeprägten Feinfühligkeit. Das russische Haus, das er originalgetreu nachgebaut hat - mit Stall, Garage und Plumpsklo -, ist für Viktor Kraus etwas Besonderes. "Ich habe dort eine Zeitlang gelebt." Das erklärt, warum er es immer zu Weihnachten hervorholt - es ist für ihn so heilig wie eine Weihnachtspyramide.
Sein Meisterwerk aber ist eine Kirche aus Omsk. Bei ihr hat Kraus sein Hobby zur Perfektion gebracht. Aus kurzen und langen Streichhölzern, hellen und grünen, ist ein Bauwerk entstanden, das man am liebsten gleich betreten und ehrfürchtig erkunden möchte. "Vor zwei Jahren habe ich ein Foto dieser Kirche gemacht und dann angefangen zu bauen", erzählt Kraus in seiner ihm eigenen ruhigen, bescheidenen Art. Anfang des Jahres ist er fertig geworden. Und mächtig stolz.
Immer nach Feierabend, wenn Viktor Kraus von seiner Arbeit als Hausmeister in einem Stendaler Autohaus nach Hause kommt, setzt er sich an seine Streichholzkunst. "Ich baue einfach drauflos, ohne Zeichnung. Das ist meine Art, mich zu beruhigen." Seit Anfang der 90er Jahre kommt Viktor Kraus von den Streichhölzern nicht mehr los, kauft Schachteln gleich dutzendweise, wenn sie irgendwo im Angebot sind. Und gern auch besondere Ausführungen, die die hellen, etwa fünf Zentimeter langen Standardhölzchen in Länge und Farbe übertreffen.
Förmlich angesteckt von der Streichholzbastel-Leidenschaft wurde Kraus aber schon lange vorher, in seiner Heimat Russland. "Ich lag im Krankenhaus und da hat mir mein Zimmernachbar gezeigt, wie man kleine Häuschen aus Streichhölzern baut." Etwa zehn Packungen Hölzchen braucht Kraus für eines dieser Häuschen, so groß wie ein Zauberwürfel - mit spitzem Dach und Schornstein. Und dabei ist alles nur gesteckt, nichts geklebt oder geschraubt. Nur bei den größeren Bauwerken, also vor allem den Kirchen, kommt Draht zur Stabilisierung und ein bisschen Leim dazu.
Seine Frau Rita bewundert sein Können, findet es "interessant, dass dieser Mensch so viel Geduld hat". Auch wenn sie ihn manchmal liebevoll ermahnen muss, sich doch wenigstens erstmal ein bisschen auszuruhen oder Abendbrot zu essen. Sich selber einmal in der Kunst des Hölzchensteckens zu probieren, hat sie nicht vor. "Das ist mir viel zu fummelig", sagt sie lachend. Aber schön findet sie die Bauwerke ihres Mannes auf jeden Fall. Auch wenn sich bald die Frage stellt, wohin damit. Denn die Vitrine im Arbeitszimmer ist schon voll.