Sexarbeit Die Gefahr lauert in der Unsichtbarkeit
Gewalt an Sexarbeiterinnen ist ein Problem. Darüber reden, will aber kaum jemand. Ein Versuch, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Stendal l Über Gewalt an Sexarbeiterinnen wird wenig gesprochen. Auch Zahlen zu finden ist schwierig. Heute ist der internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiterinnen und trotzdem fühlt es sich an, als ist dieses Thema kaum greifbar. Als würde sich ein über Generationen etabliertes Tabu einfach nicht aufbrechen lassen. Weder die Stendaler Polizei noch der Landkreis Stendal kann über Gewalt an Sexarbeiterinnen wirklich Auskunft geben. Auch Sexarbeiterinnen aus dem Landkreis Stendal waren nicht zu einem Gespräch mit der Volksstimme bereit. „Gewalt ist ein Teil der Realität von Sexarbeit, jedoch eine Ausnahme“, sagt Johanna Ebeling vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD).
Diese Realität musste auch eine Sexarbeiterin aus Stendal erfahren. Ihr Fall wurde durch einen Gerichtsprozess öffentlich. Sie wurde am 22. März 2019 von einem Kunden mit einem Messer schwer verletzt. Laut Einschätzung der Gerichtsmedizin seien diese Verletzungen lebensbedrohlich gewesen. Der damals 55-jährige Täter kam mit einer Bewährungsstrafe davon.
„Sexarbeiter*innen haben in unserer Gesellschaft mehrheitlich eine stark marginalisierte Stellung inne. Sie werden aufgrund ihrer Tätigkeit moralisch verurteilt, von vielen Menschen pauschal abgelehnt und sozial ausgegrenzt“, sagt Cathleen Paech von der Beratungsstelle Magdalena von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Sexarbeiterinnen. Dies führe dazu, dass sie nicht wahrgenommen würden. „Sie werden unsichtbar und so auch die Gewalt, die ihnen widerfährt.“
Wie viele Fälle von Gewalt an Sexarbeiterinnen es in Stendal gibt, ist nicht bekannt. „Die Tätigkeit eines Geschädigten wird bei der Anzeigenaufnahme durch die Polizei nur sporadisch zu den Personendaten erfasst, sodass sich anhand dieses Parameters keine fundierte Recherche führen lässt“, teilt Beatrix Mertens vom Polizeirevier Stendal mit. Nach den für die Polizei recherchierbaren Fällen wären nur wenig Anzeigen wegen Gewalt an Sexarbeiterinnen eingegangen. „Hinzu kommt, dass erfahrungsgemäß die Anzeigenbereitschaft bei Gewaltdelikten zum Nachteil von Sexarbeiter*innen sehr gering sein dürfte. Es ist davon auszugehen, dass das Dunkelfeld, im Vergleich zu den Fallzahlen, groß ist.“
Warum werden so wenige Fälle angezeigt? „Das hat verschiedene Gründe“, sagt Johanna Ebeling. „Opfer fühlen sich bei der Polizei häufig nicht ernst genommen, hinzu kommen oftmals Sprachbarrieren oder die Angst, dass die Tätigkeit im privaten Umfeld bekannt wird.“ Denn durch Stigmatisierung der Sexarbeit ist die Angst, sich zu dem Beruf zu bekennen, häufig groß. Das weiß auch Johanna Ebeling, die selbst seit 13 Jahren in der Branche tätig ist. „Es war schwer, mich meinem Umfeld zu öffnen. Meine Mutter sagte anfangs, aufgrund von Unkenntnis und dem von der Gesellschaft geprägtem Bild der Sexarbeit, ich sei nicht mehr ihr Kind.“ Die Stigmatisierung der Sexarbeit hinge unter anderem damit zusammen, dass sie in den Köpfen der Menschen oftmals mit Drogenmissbrauch und Menschenhandel verknüpft ist. „Das ist kein Teil von Sexarbeit, das sind Straftaten. Das, wovon in solchen Fällen oft gesprochen wird, ist Zwangsprostitution, die einen sehr geringen Teil ausmacht, der unbedingt verhindert werden muss und illegal ist. Unsere Arbeit ist das nicht. Es ist ein Job wie jeder andere auch“, sagt Ebeling.
Ferner registrieren sich nicht alle Prostituierte als solche – nicht zuletzt einer der Gründe, weswegen wenig Anzeigen aufgeben werden. „Das ist ein großes Problem. Es gibt einige Frauen, die sich etwa als Model anmelden.“ Bei einer Anzeige könnten diese Frauen Probleme mit dem Gewerbe- oder Finanzamt bekommen. Beweggründe, warum sich Frauen nicht offiziell anmelden, gibt es viele. Die meisten hängen laut Ebeling mit einem mangelnden Vertrauen in die Behörden und dem Datenschutz zusammen. So hätten etwa alleinerziehende Mütter Angst, dass sie Konsequenzen vom Jugendamt zu erwarten hätten. „Und das, obwohl Sexarbeit seit 19 Jahren legal ist.“
Bei sexueller Gewalt gegen Sexarbeiterinnen müssen Opfer auch heute noch gegen Vorurteile kämpfen. „Viele Menschen denken leider, dass Sexarbeiter*innen nicht vergewaltigt werden können. Als hätten Kunden nach dem Bezahlen die Verfügungsgewalt.“
Unterstützung für Sexarbeiterinnen gibt es etwa bei der mobilen Beratungsstelle Magdalena. Sie ist die einzige Beratungsstelle dieser Art in Sachsen-Anhalt. „Wir sind regelmäßig, etwa alle zwei Wochen, in Stendal.“ Bei ihrer Tätigkeit würden die Mitarbeiterinnen auch von Gewalt berichtet bekommen. Neben Magdalena gibt es für Opfer die Möglichkeit, sich an Frauenhäuser oder den Weißen Ring zu wenden.
Separate Beratungsstellen für Gewalt an Sexarbeiterinnen sieht Ebeling kritisch: „Es sollte kein Unterschied dazwischen gemacht werden, wer Gewalt erfahren hat“, sagt die 42-Jährige. Die Berlinerin musste glücklicherweise selbst noch nie Gewalt erfahren. „Nur am Anfang, da habe ich manchmal Sachen gemacht, die ich eigentlich nicht wollte. Diese Grenzen muss man kennen und artikulieren lernen.“ Als besonders sicher schätzt sie die Arbeit in Prostitutionsstätten ein. Das Prostitutionsschutzgesetz schreibt vor, in jedem Raum, der für Sexarbeit genutzt wird, ein Notrufsystem zu installieren. „Auf dem Straßenstrich oder bei Wohnungsprostitution gibt es weniger Sicherheitsnetze, aber das kann man nicht verallgemeinern“, sagt Ebeling. „Mit gutem Beispiel geht der Straßenstrich in Köln in der Gestemünder Straße voran, dem eine Beratungsstelle angeschlossen ist, wodurch Gewalt stark minimiert werden konnte.“
Doch egal welcher Art von Sexarbeit nachgegangen wird, „die Sexarbeiter*innen sichern sich ab.“ Eine Möglichkeit ist das „covering“, bei dem eine Freundin oder Kollegin stets weiß, welcher Kunde wann und wo getroffen wird. „Es ist ein sehr solidarisches Miteinander.“ So spräche es sich schnell herum, wenn sich ein Kunde nicht an Regeln halte. Für Ebeling ist es aber wichtig zu betonen, dass die meisten Kunden keinesfalls gewalttätig sind, sondern respektvoll und wertschätzend.
Für Johanna Ebeling gäbe es mehrere Möglichkeiten, Sexarbeit sicherer zu gestalten. „Es sollte Coachings oder Seminare geben, in denen Sexarbeiter*innen lernen, ihre Grenzen zu formulieren.“ Außerdem müsste sich die gesellschaftliche Einstellung zu Sexarbeit ändern: Die Abwertung über den Beruf müsste aufhören. Denn Sichtbarkeit erzeugt auch Sicherheit.
• Am 1. Juli 2017 in Kraft getreten.
• Sexarbeiterinnen müssen ihre Tätigkeit anmelden. Dazu benötigen sie einen Nachweis über eine gesundheitliche Beratung vom Gesundheitsamt. Bei unter 21-Jährigen muss diese Untersuchung alle sechs Monate durchgeführt werden, bei über 21-Jährigen alle 12 Monate.
• Die Kosten für die Anmeldung belaufen sich im Landkreis Stendal auf 10 bis 50 Euro. Eine zusätzliche anonymisierte Alias-Bescheinigung kostet 20 Euro.
• Die beiden Bescheinigungen müssen stets mitgeführt werden.
• Die Anmeldebescheinigung gilt für zwei Jahre.
Weitere Informationen gibt es hier.