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Zum Semesterstart des Senior-Campus klärt Michael Tsokos über Irrtümer der Rechtsmedizin auf "Die Menschen sind vom Tod fasziniert"

25.04.2013, 01:16

Es gibt sicher Angenehmeres, als sich mit Leichenfäulnis oder Totenflecken zu beschäftigen. Dennoch war der Hörsaal voll, als der Rechtsmediziner Michael Tsokos mit Einblicken in seine Arbeit das neue Semester des Senior-Campus eröffnete.

Stendal l Vergessen Sie (fast) alles, was Sie über den Tod zu wissen glauben. Oder zumindest das, was Sie aus dem Fernsehen darüber kennen. "Kaum ein Krimi kommt heute noch ohne Rechtsmediziner aus", stellte gestern der berühmte Rechtsmediziner Michael Tsokos fest und ließ es sich nicht nehmen, seine TV-Kollegen zu kritisieren, wenn auch auf charmante Art und Weise: "Da legt der Typ einfach die Hand unter den Fuß eines Toten und kann sogar schon den genauen Todeszeitpunkt feststellen. Das ist beeindruckend, wir hier in der Realität können das nämlich nicht."

"Es geht bei uns zu wie in einer Autowerkstatt."

Mit diesen und ähnlichen Anekdoten raubte Tsokos wahrscheinlich vielen der Anwesenden ihren Glauben an die Aufrichtigkeit beliebter Krimiserien wie "Tatort" oder "CSI". Wobei er sogar bei ersterem dem schrulligen Prof. Boerne alias Jan-Josef Liefers (Tatort Münster) mit Rat und Tat zur Seite steht. Immer wenn dieser einen medizinischen Tipp für seinen TV-Job brauche oder ihm noch die eine oder andere Latein-Vokabel fehle, rufe dieser bei Tsokos an. "Aber es wird nur ein kleiner Teil dessen umgesetzt, was wir empfehlen. Wahrscheinlich ist die Realität noch nicht aufregend genug", erzählt der Rechtsmediziner, der auch als Buchautor (Der Totenleser, Die Klaviatur des Todes) große Erfolge feiert.

Deshalb gibt er Einblicke in seine Arbeit, erzählt von zweifelhaften Todesursachen, die es festzustellen gilt, vom Umgang mit DNA-Spuren und vom Arbeitsablauf in seinem Sektionssaal an der Berliner Charité. Wer zum ersten Mal seinen Arbeitsbereich betrete, reagiere oft geschockt, "weil es bei uns zugeht wie in einer Autowerkstatt. Da wird gesägt, erzählt und auch gelacht. Das verunsichert viele", sagt er seinem Publikum. Zwar habe man Respekt vor den Toten, aber es sei eben ein Job wie jeder andere auch. Man habe kein Schweigegelübde abgelegt.

Das sind starke Worte, die das Publikum beeindrucken. Zur ersten Vorlesung des neuen Senior-Campus-Semesters war das Audimax am Stendaler Hochschulstandort gut gefüllt. "Die Faszination am Morbiden treibt viele Menschen zu meinen oder auch anderen Vorträgen dieser Art", erzählte Tsokos der Volksstimme.

Als er aber die Fotos zeigt, von aufgedunsenen Toten und halb verwesten Körpern, wird es ruhig im Hörsaal. Wahrscheinlich ist die Realität doch spannender als jede Fiktion.