1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Die Sechs hat die Spielwut gepackt

Theatergruppe der Chausseehaus gGmbH gewinnt Sachsen-Anhalts Kunst- und Kulturwettbewerb "Re-flect" Die Sechs hat die Spielwut gepackt

Von Sibylle Sperling 05.11.2013, 01:16

Fünf Akteure stürmten am Sonntag auf die Bühne des Theaters der Altmark und wollten gar nicht mehr runter, so viel Freude hatte die Theatergruppe beim Finale. Ihr Tatendrang wurde schließlich belohnt: mit der Siegertrophäe von "Re-flect".

Stendal l Moderator David Le-nard musste sein Mikro nach der Aufführung von "Emils Einkauf" förmlich zurückerobern. Denn die fünf Akteure der Theatergruppe der Chausseehaus gGmbH hatten unheimlich viel zu sagen - das Mikrofon wanderte ungebremst von einer Hand in die nächste. Und auch, als die Gruppe schließlich ihre Siegertrophäe von der Bühne abholen durfte, war ihre Freude einfach nur überwältigend.

Theaterstück überzeugt durch Authentizität

Mit ihrem Forumtheaterstück hatten sie die sechsköpfige Wettbewerbs-Jury überzeugt. "Wir waren uns absolut einig. Es war toll, dass die Betroffenen selber als Darsteller auf der Bühne zu erleben gewesen sind. Das hat für Authentizität gesorgt", begründete Jurymitglied und Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert (Linke). Gezeigt hatte die Theatergruppe der Behinderteneinrichtung ein Stück, das verschiedene Alltags-Situationen schildert: Situationen, in denen die Darsteller aufgrund von Klischees angefeindet und beleidigt worden waren.

So wird Emil (gespielt von Maik Frisch), Insasse einer Behinderteneinrichtung, bei einem Ausflug angepöbelt und am Ende von Theo (gespielt von René Ellermann) verprügelt. "Die Hauptgeschichte hat Maik etwas abgewandelt erlebt. Die anderen Darsteller haben ähnliche beleidigende, unterdrückende Erfahrungen gemacht. So haben wir von jedem etwas ins Stück transportiert", erklärte die Projektverantwortliche Babett Moritz. Die Gruppe konnte auch deshalb bei der Jury punkten, weil "die Darsteller die Hauptakteure auf der Bühne waren und nicht ihre Betreuerin. Sie hatten auf der Bühne so viel Spielfreude und zeigten sich nicht in der Opferrolle", lobte Jurymitglied Kristina Grahn.

Zu wenig Zeit blieb am Ende, der Jury das gesamte Konzept des Theaterprojektes zu zeigen. Ziel dieser Aufführung ist es, das Publikum inhaltlich zu integrieren. "Die letzte Szene ist der Auftakt zum Mitmachen", so Babett Moritz, "Personen aus dem Publikum sollen in eine Darstellerrolle schlüpfen und zeigen, wie sie sich aus der unangenehmen Situation gerettet hätten." Diese Interaktion mit dem Publikum nennt sich Forumtheater (siehe Kurzinterview).

Insgesamt 14 Beiträge standen im Mittelpunkt der Veranstaltung am Sonntag im Finale des TdA. Sie waren von einer Vorjury aus 25 eingereichten Beiträgen ausgewählt worden. Das Leben mit und ohne Behinderung aber auch "das Abweichende zu zeigen und Divergenzen offen zu diskutieren", ist Ziel dieses Sachsen-Anhalt-Wettbewerbs, so Ricardo Feigel von der Landesmedienanstalt Sachsen-Anhalt. "Andersartigkeit kann sich auch auf Lebensstile oder Freizeitinteressen beziehen. Es kann dabei um Details gehen: um die Körpersprache oder um den Jargon."

Das Los, ein Flüchtling zu sein, zeigte die Videodokumentation des in Magdeburg lebenden Ukrainers Alexander Gorsky, der den zweiten Preis entgegennahm. Torsten Haars- heim aus Gardelegen belegte den dritten Platz. Mit seinem Videobeitrag erinnerte er an das letzte Massaker von 1945 in Gardelegen. Denn auf dem Grund und Boden, auf dem der 48-Jährige heute lebt, stand damals eine Wehrmachtskaserne, in der über 1000 KZ-Häftlinge ihre letzte Nacht verbringen mussten, bevor sie am nächsten Morgen in einer nahe gelegenen Feldscheune bestialisch ermordet worden waren.