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Martin Thurm ist seit 40 Jahren als Instrumentenschleifer selbständig / Beruf ist Familientradition Dieser Mann macht alle scharf

Von Nora Knappe 08.05.2012, 05:26

Seit vier Generationen sind die Thurms aus Sachsen Werkzeugschleifer. In Stendal zeichnet sich das Ende des Betriebs ab, Martin Thurm führt ihn dennoch mit voller Leidenschaft.

Stendal l Wenn es ein Weisheitenbuch der Messerschleifergilde gäbe, müssten darin unbedingt diese drei Erkenntnisse stehen:

1. Spülmaschinenfeste Messer gibt es nicht.

2. Glasbretter sind Quatsch.

3. Unglücke passieren meist mit stumpfen Messern.

Ansprechpartner und Lehrmeister für nähere Erläuterungen zu diesen Erkenntnissen wäre dann Martin Thurm. Der 63-Jährige stammt aus einer Instrumentenschleifer-Familie: Vom Großvater über den Vater bis zum Bruder und dessen Sohn waren oder sind sie alle Schleifer. Sein Bruder Christian übernahm den väterlichen Betrieb im sächsischen Rochlitz, Martin ging 1972 nach Stendal und machte sich mit einem Stahlwarenfachgeschäft und der Schleifwerkstatt selbständig.

Wundern kann sich Martin Thurm nur immer wieder. "Da gibt es Leute, die wohnen fast nebenan und wissen nicht, dass es hier seit 40 Jahren einen Laden gibt, wo sie ihre Messer schärfen lassen können." Und wer es erst in zwei Jahren mitbekommen sollte, hat einfach Pech: Dann nämlich schließt Familie Thurm ihr Geschäft im Schadewachten. "Es lohnt sich nicht", sagt Martin Thurm. Selbst wenn hier im Osten eher noch die Mentalität vorherrsche, auch mal etwas zur Reparatur zu bringen, anstatt es gleich wegzuwerfen. "Damit kann sich keiner mehr über Wasser halten."

Zumal auch kein Nachfolger aus der Familie in Sicht ist. Die Tochter wohnt nicht mehr hier, der Sohn ist nicht in Vaters Fußstapfen getreten. "Verkaufen? Also, ich kenne keinen, der den Laden übernehmen würde", sagt Thurm und wirkt doch völlig gelassen. "Ich mach\' die Arbeit gerne, ich hätte mir nie etwas anderes vorstellen können." Und mit seinem ihm eigenen spitzbübischen Lächeln setzt er nach: "Das glaubt ja immer keiner, dass Schleifen Spaß macht."

26 verschiedene Maschinen stehen ihm für diesen Spaß zur Verfügung. Ob Küchenmesser, Friseurschere, Fleichwolfmesser, Kreissägeblätter, Blechscheren oder Rasenmähermesser - Martin Thurm macht alles wieder scharf. Bei der Arbeit geschnitten hat er sich "nur ganz selten". Dann aber auch nur, wenn er an seinen Maschinen etwas reparieren muss. Früher hat Thurm sogar Skalpelle geschärft - aber selbst die sind mittlerweile nur noch Einweg. Dass es dennoch Menschen gibt, die die Messerschleiferdenke haben und seine Arbeit schätzen, merkt Martin Thurm an langjährigen Kunden. Die schicken ihm die Messer mittlerweile aus anderen Ecken Deutschlands per Post.

Messer kaufen braucht der Mensch eigentlich nur einmal im Leben, findet Thurm: "Ein gutes Messer hält ewig, 20, 30 Jahre sind kein Alter." Nur scharf muss es eben sein. "Mit einem stumpfen Messer verletzt man sich viel eher, weil man zu sehr aufdrückt und eher abrutscht." Womit die eingangs zitierte Weisheit Nummer 3 schon mal erklärt wäre. Nummer 2 gehört unweigerlich dazu: "Glasbretter sind Quatsch, damit machen Sie die Klinge ruckzuck kaputt." Und damit eine Klinge lange hält, muss sie gut behütet sein, was heißt: mit der Hand abwaschen. "Die Salze in der Spülmaschine greifen das Metall an und machen die Klinge stumpf, da kann die Werbung noch so sehr behaupten, ein Messer sei ,rostfrei und spülmaschinenfest\'. Das gibt es nicht."