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Schriftsteller wäre heute 100 Jahre alt geworden / Auch in Stendal hat er noch seine Leser Erwin Strittmatter: Literarisch bedeutend, menschlich jedoch problematisch

Von Lion Grote 14.08.2012, 05:24

In den Schulen der DDR gehörten seine Texte zur Pflichtlektüre. Nach der Wende verlor er an Bedeutung. Doch auch in Stendal findet er immer noch seine Leser. Heute wäre der Schriftsteller Erwin Strittmatter 100 Jahre alt geworden.

Stendal l Wer und wie er wirklich war, wusste vermutlich nur er selbst. Heute wäre der Schriftsteller Erwin Strittmatter 100 Jahre alt geworden. Der Mann aus einfachen Verhältnissen, dessen Eltern Bäcker in der brandenburgischen Provinz waren, wurde zu einem der bedeutendsten Literaten der DDR. Und zu einer der umstrittensten Personen der ostdeutschen Schriftsteller-Szene. Doch sein literarisches Werk lebt bis heute, auch in Stendal.

"Wir achten immer darauf, seine Bücher vorrätig zu haben", bestätigt Buchhändlerin Annette Mäcker. Nicht nur das bekannteste, sondern in Stendal auch das beliebteste Werk ist die Romantrilogie "Der Laden", in der Strittmatter auch viele Kindheitserinnerungen im sorbischen Teil Brandenburgs verarbeitete. Auch in der Stendaler Stadtbibliothek sind die Bücher von Strittmatter noch gefragt. Insgesamt 19 Titel stehen dort zur Auswahl. "Strittmatter ist jetzt nicht der ganz große Renner, wird aber regelmäßig ausgeliehen", sagt Bibliotheksleiterin Brigitte Schnellhardt. Doch auch die Erzählungen "Geschichten ohne Heimat" werden gerne gelesen, berichtet Schnellhardt.

In 40 Sprachen wurden Strittmatters Texte übersetzt, nur nicht, wie er selbst sagte, "ins Westdeutsche". So erfolgreich Erwin Strittmatter in der DDR war, so wenig bekannt ist er in den alten Bundesländern. "Für die DDR war Strittmatter sicher sehr bedeutend", glaubt auch Brigitte Schnellhardt. Doch nicht erst mit einer neu erschienenen Biographie hat das Bild von Erwin Strittmatter Risse bekommen. Schon früher war er als wortkarger und eigenwilliger Mann bekannt. "Eine so einfache Person, als die er sich gerne dargestellt hat, ist er wohl nicht gewesen", sagt die Stendaler Buchhändlerin Ingrid Genz.

Dazu gehört eben auch, dass Strittmatter 1941 Mitglied der deutschen Schutzpolizei wurde, die später in der Waffen-SS aufging. Eine Mitgliedschaft in der SS war dafür zwar nicht notwendig, doch Briefe und Aufzeichnungen aus Strittmatters Nachlass legen die Vermutung nahe, dass er der Politik des Dritten Reiches nicht gänzlich abgeneigt war. Immerhin war Strittmatter auch selber an Kampfhandlungen in Slowenien und Polen beteiligt gewesen. Von sich selbst aber behauptete Strittmatter stets gegen den Krieg gewesen zu sein, setzte gar die Legende des Dissidenten in die Welt. Eindeutig ist seine Rolle im Dritten Reich bis heute nich geklärt. Bis 1964 war Strittmatter zudem auch als Geheimer Informant für das Ministerium für Staatssicherheit tätig. Auch das Verhältnis zu seinen Kindern blieb immer angespannt. Als er sich zum Ende seines Lebens ein Familienfoto wünschte, lehnten seine Kinder das ab. Die heile Familie wollten sie nicht spielen.

Doch über allem steht bis heute das literarische Werk. "Die Verbundenheit zur Natur und die Einfachheit der Sprache", sind es, die Annette Mäcker an seinen Texten faszinieren. Sie bezeichnet sich sogar als "begeisterte Strittmatter-Leserin". Literarisch gesehen, da sind sich auch die Stendaler Buchexpertinnen einig, wird der Name Erwin Strittmatter erhalten bleiben. Auch wenn junge Leute nur noch selten zu Klassikern wie "Der Laden", "Ochsenkutscher" oder "Ole Bienkopp" greifen. "Meist kommen ältere Leute, um seine Bücher zu kaufen. Die kennen ihn noch von früher und verbinden damit vielleicht auch Kindheits- und Jugenderinnerungen", sagt Ingrid Genz. Doch auch sie hofft, dass der Schriftsteller Erwin Strittmatter durch das Jubiläum heute wiederentdeckt wird. "Seine Werke jedenfalls hätten es verdient."