Rusch ist eine Institution in Stendal / Nachfolger führt Chronik der Unternehmensgeschichte Hieß er wirklich "Stempel" mit Vornamen?
In unserer Serie "Hinter alten Inschriften" schauen wir hinter die Fassaden historischer Gebäude in Stendal. Wir spüren die Menschen hinter diesen Schriftzügen auf und lassen sie ihre Geschichte erzählen. Heute: Stempel Rusch in der Frommhagenstraße.
Stendal l Stempel Rusch - dieser Name ist vielen Stendalern ein Begriff und im besten Wortsinne sogar fest verankert (aber dazu später mehr). Es geht sogar das Gerücht um, dass manch einer in jungen Jahren dachte, Herr Rusch heiße "Stempel" mit Vornamen...
In Wahrheit lautet der Vorname des Geschäftsgründers natürlich nicht so, sondern Theodor. Am 8. Dezember 1926 eröffnete dieser als 30-Jähriger seinen ersten Laden in der Wüste Worth 24, an der Ecke zur Brüderstraße. Gänzlich unerfahren war Rusch zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht, bereits seit 1924 hatte er in Magdeburg ein Geschäft geführt.
Die Anfangszeit in Stendal war dann geprägt von Umzügen und Sortimentserweiterungen. Zunächst bot Theodor Rusch nur Stempel und Abzeichen an. Noch in den 20er Jahren zog er erst in die Grabenstraße, dann in die Frommhagenstraße, wo der Laden bis heute ansässig ist. Seit diesem letzten Umzug - das Ladengeschäft teilte sich Rusch mit einem Heißmangel-Unternehmen - gehörten auch Schreibwaren zum Sortiment, und sie bildeten schon bald das Kernsegment des Angebots.
So waren die meisten Kunden dann auch Schüler, zum Beispiel von der nahegelegenen Hildebrand-Mädchenschule, andererseits aber auch Betriebe, die bei Rusch ihre Stempel und Abzeichen herstellen ließen.
Chronik erzählt vom Laden, der alle Zeiten überstanden hat
Diese Herstellung garantierten zwei fest angestellte Setzer und ein Stempelmacher-Meister. "Heute würde man dazu Flexograph oder Mediengestalter sagen", erklärt Detlef Schleifer, der den Laden seit 1994 betreibt. Übernommen hatte er ihn von Hans-Joachim Rusch, dem Sohn von Gründer Theodor.
Die Übergabe von Vater Rusch an den Sohn erfolgte 1975. Bis dahin seien keine Besonderheiten im Geschäftsleben zu verzeichnen gewesen, sagt Schleifer, der die Chronik des Unternehmens fein säuberlich als Buch hat binden lassen und über zahlreiche Original-Dokumente aus der Rusch-Historie verfügt. Krieg? Nachkriegszeit? Gründung der DDR? All dies habe keine Auswirkungen auf den Betrieb gehabt. Im Krieg wurden Stempel für die Wehrmacht hergestellt, danach für die Amerikaner, und auch während der DDR-Zeit arrangierte man sich, so gut es ging, mit den herrschenden Zuständen.
Und auch die Wende - man ahnt es schon - wirkte sich kaum aus. "Einzig die Postleitzahlenänderung hatte eine Relevanz, Adressstempel mussten ja dann geändert werden", weiß Schleifer heute zu berichten.
Weihnachten 1993 schließlich erhielt Detlef Schleifer einen Anruf von Rusch junior, der ihn fragte, ob er den Laden übernehmen wolle. Schleifer bejahte, und schon eine Woche später wurde dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Der gebürtige Salzwedeler Schleifer zog 1984 nach Stendal. Bereits 1989 hatte er dort ein Geschäft für Werbegeschenke eröffnet, zudem besaß er in Arneburg ein Ladenlokal, welches er als Lager benutzte. Dieses gab er mit Übergabe des Stempelbetriebs ebenso auf wie seine regelmäßigen Markt-Fahrten, bei denen er Textilien verkaufte und die Zeit für Außentermine im Namen seines Werbegeschenke-Fachhandels nutzte.
Erste Amtshandlung an der Frommhagenstraße war eine Komplettrenovierung. Zum einen waren viele Maschinen veraltet, zum anderen "hat Hans-Joachim Rusch so viel geraucht, dass sämtliche Schreibwaren vergilbt waren", erinnert sich Detlef Schleifer an die Anfänge. Somit nutzte Schleifer die Chance und führte andere Dinge ins Sortiment ein: Textildruck, Schilder, Pokale, Medaillen, Autobeschriftung. "Dieses Angebot war in der Form einzigartig in Stendal, ich habe es dann im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert."
Vom Rauchen vergilbte Schreibwaren leiten Sortimentswechsel ein
Was nicht verändert wurde, war die Inschrift an der Fassade, die dort bereits seit 1928 hängt. Warum? "Ganz einfach: Die Schrauben waren zu tief in der Wand." Zu seinen Kunden zählt Schleifer heute Banken, die Bahn, öffentliche Einrichtungen oder Geschäftsleute. Seit etwa zehn Jahren ist sein Angebot auch online zu finden, "man muss eben mit der Zeit gehen", befindet Schleifer. Auch er möchte "mit der Zeit" gehen, nämlich im Idealfall in zwei bis drei Jahren - in Rente. Noch sei aber leider kein Nachfolger in Sicht, sagt seine Frau Ingrid, die sich um die Buchhaltung kümmert.
Solange kein Nachfolger gefunden ist, bleibt Schleifer vorerst als Stempelmacher aktiv. Er organisiert jedes Jahr eine Zusammenkunft mit Kollegen, die aus allen Teilen Deutschlands anreisen. Seine alten Stempel, darunter solche Raritäten wie ein originaler Unterschriftenstempel von Erich Honecker, gibt er für Ausstellungen her.
Und er kümmert sich zusammen mit Ingrid um Speedy, ihren 16-jährigen Hund, der, so Schleifer, "bekannter ist als ich. Er ist mittlerweile so etwas wie unser Ladenmaskottchen".