Konflikt Homophobie belastet Städtepartnerschaft
Die Städtepartner Stendal und Puławy stehen vor einer harten Probe: Die polnische Stadt hat sich zur "LGBT-freien Zone" erklärt.
Stendal l Im vergangenen Jahr hatten beide Städte das 20-jährige Bestehen ihrer Partnerschaft gefeiert, nun wird diese in Frage gestellt – von einigen Stendalern, aber auch von polnischen Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung. Die sind in den vergangenen Wochen und Monaten aktiv geworden, um die Partnerstädte in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf die sexuelle Diskriminierung und die „LGBT-freien Zonen“ in Polen aufmerksam zu machen, deren Zahl immer weiter zunimmt. Immer mehr Kommunen und Verwaltungsbezirke beziehen damit klar Stellung gegen lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Personen (LGBT, wobei G für das englische gay = schwul steht).
Bereits im Mai vorigen Jahres hatte der Stadtrat eine Stellungnahme zur „Verhinderung der von der Subkultur LGBT lancierten Ideologie in der Stadt Puławy“ beschlossen. Vor allem gehe es darum, dass diese „lancierte Ideologie“ nicht in Kindergärten und Schulen zum Tragen kommt. Mit seiner Stellungnahme wolle der Pułwyer Stadtrat seinen Beitrag leisten, „die Kinder davor zu schützen“ und die „Verbreitung der Ideologie der sogenannten Subkultur LGBT zu verhindern“.
Zum Hintergrund: Anfang des Jahres 2019 hatte die rechte Wochenzeitung „Gazeta Polska“ einer Ausgabe den Aufkleber „LGBT-freie Zone“ beigelegt und damit auf eine Initiative des Warschauer Bürgermeisters Rafał Trzaskowski reagiert. Der wollte auch homosexuelle Lebensentwürfe in die Sexualkundelehrpläne örtlicher Schulen aufnehmen. Im Sommer 2019 hat ein Warschauer Gericht zwar die weitere Verbreitung der Aufkleber verboten, doch da war die homophobe Bewegung in Polen schon längst in vollem Gange. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch Stendals Partnerstadt Puławy zur „LGBT-freien Zone“ erklärt. Wie viele andere Orte in der Region, denn vor allem der Südosten Polens hat sich der Resolution angeschlossen und diese toleranzfreien Zonen ausgerufen. Mittlerweile sollen es rund 100 Kommunen und Verwaltungsbezirke sein. Laut der „Kommunalen Charta der Familienrechte“ bedrohe die „LGBT-Ideologie“ die christlichen Werte und die Integrität der polnischen Familie.
Nachdem Gegner dieser Diskriminierungsbewegung aktiv geworden sind, zum Beispiel Fotos von Homo-, Bi- und Transsexuellen vor jedem Ortsschild einer betroffenen Kommune veröffentlicht haben oder wie im Fall von Stendal direkt die Verwaltung angeschrieben haben, formiert sich auch in den europäischen Partnerstädten der Widerstand.
Im Dezember vergangenen Jahres hat das Europäische Parlament die Einrichtung von „LGBT-freien Zonen“ verurteilt, konkrete Maßnahmen gab es aber nicht. Einige Kommunen reagieren drastischer: Die französische Kleinstadt Saint-Jean-de-Braye kündigte kürzlich ihre Städtepartnerschaft mit dem polnischen Tuchów auf. Deutsche Städte prüfen, wie sie mit ihren Partnerstädten umgehen – dazu gehört auch Stendal.
Wenn sich heute Abend der Hauptausschuss trifft, will Oberbürger Klaus Schmotz (CDU) das Thema ansprechen und die Mitglieder, darunter die Fraktionsvorsitzenden, über bisherige Aktivitäten informieren. Armin Fischbach, Mitarbeiter im Büro des Oberbürgermeisters, hatte in den vergangenen Wochen aus verschiedenen Quellen Informationen eingeholt und Gespräche mit Puławyer Bürgern geführt. In einem ersten Schreiben an Pulawy heißt es: „Die Hansestadt Stendal hat diesen Beschluss des Stadtrates aufmerksam und mit einer gewissen Sorge zur Kenntnis genommen. Wir vertreten zu diesem Thema eine andere Meinung, die streng auf den Werten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland fußt. Jeder Mensch – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Konfession oder Sexualität – hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Eine Einschränkung dieses Rechts ist mit dem freiheitlich demokratischen Grundverständnis Stendals nicht vereinbar. Nichtsdestotrotz stellen wir die Städtepartnerschaft zwischen Puławy und der Hansestadt Stendal nicht in Frage.“
Stendal sei „an einem fortwährenden Austausch und Dialog mit den Menschen in Puławy interessiert, in dem es nun auch Fragen der Menschenrechte sowie der Freiheit und Selbstbestimmung im Geiste der EU-Grundrechte-Charta zu verhandeln gilt ... Ein Stopp der Beziehungen würde einen Dialog unmöglich machen. Wir sind der Ansicht: Es braucht nicht weniger politische Kontakte zwischen Polen und Deutschland, sondern mehr, gerade auch deswegen, da wir den betroffenen Menschen vor Ort den Rücken stärken wollen.“
Am 4. März sei im Rathaus ein Schreiben aus Puławy im Namen des Bürgermeisters und des Stadtrates eingegangen, informierte Armin Fischbach auf Nachfrage. Darin werde erneut betont, dass dieser Beschluss keine rechtlichen Auswirkungen hat und weder der Stadtrat, noch die Stadtverwaltung Puławys durch irgendwelche Vorurteile angeleitet seien. Die Puławyer verteidigten aber den Beschluss, der auf der polnischen Verfassung fuße und Eltern das Recht garantiere, ihre Kinder frei von Beeinflussung nach ihren eigenen Wertvorstellungen zu erziehen.
Der Vorstand der Partnerschaftsgesellschaft der Hansestadt Stendal hat sich vorige Woche mit dem Thema beschäftigt. „Die Städtepartnerschaft sollte vorerst nicht aufgekündigt werden. Das kann nur das letzte Mittel sein“, fasste der Vereinsvorsitzende Steffen Tank die Vorstandsmeinung zusammen. Wenn die Tür einmal verschlossen sei, lasse sie sich schwer wieder öffnen. Dennoch wünscht sich die Partnerschaftsgesellschaft vom Stendaler Stadtrat eine klare Positionierung. Direkte Auswirkungen könnte die Entwicklung auf den Jahresplan der Partnerschaftsgesellschaft haben, die in diesem Jahr wieder Puławy besuchen wollte. Während der Mitgliederversammlung Ende des Monats soll in großer Runde beraten werden, ob die Fahrt geplant oder verschoben werden soll.