92 junge Menschen aus Tangermünde und Umgebung erlebten am Sonnabend ihr Fest / Bericht einer Mutter Jugendweihe - und die Eltern spielen Kopfkino
Für 92 junge Menschen aus Tangermünde und Umgebung fanden am Sonnabend im Tangermünder Kulturhaus zwei Festveranstaltungen statt. Sie feierten ihre Jugendweihe, erlebten Festrede, Tanz und Gesang. Unsere Autorin berichtet mit den Augen einer Mutter.
Tangermünde l Was sind schon 14 Jahre im Leben eines Menschen? Für die einen sind es Jahre, die wie im Fluge vergingen, für die anderen eine scheinbar ewig lange Zeit, in der unheimlich viel passiert ist, die mit so vielen Veränderungen verbunden war.
Es ist Sonnabendvormittag. Vor mir steht ein junger Mann, herausgeputzt für seine Jugendweihe. Es ist doch gerade erst 14 Jahre her, da war mein Sohn ein wenig größer als ein halber Meter. Ich konnte ihn auf den Arm nehmen, ihn küssen und drücken, wann immer ich wollte, denke ich. Und heute: Ich muss nach oben schauen, um ihm in die Augen sehen zu können. In den 14 Jahren ist er mir längst über den Kopf gewachsen. Tragen kann ich ihn schon lange nicht mehr, drücken nur noch manchmal und küssen - na ja, nur dann, wenn es niemand sieht.
Mit 14 Jahren ist so ein junger Körper ganz offensichtlich total im Umbruch. Experten sprechen immer von Pubertät und dem Spiel der Hormone. Dabei sind es bei meinem Sohn weniger die Gefühls-, vielmehr die Wachstumshormone, die so einiges unproportional wirken lassen. Mit mehr als 1,80 Meter hat der junge Mann inzwischen mich, meinen Mann und seinen vier Jahre älteren Bruder überholt. Seine Arme scheinen im Zuge der Vergrößerung besonders bevorteilt worden zu sein. Sie schlenkern an dem dünnen Körper herum, als würden sie nicht zu ihm gehören. Doch noch viel extremer sind die Füße. Die langen dünnen Beine - heute wahrscheinlich doppelt so lang wie der kleine Kerl vor 14 Jahren insgesamt - stecken am Tag der Jugendweihe in Schuhen, die wir im Regal bei Größe 46 gefunden hatten. Das erste Paar Schuhe vor 13 Jahren hatte Größe 21.
Jugendweihe ist wie ein Kurzfilm. Im Kopfkino sehe ich meinen heute so furchtbar langen dünnen Sohn als ziemlich properes Kleinkind mit Autos spielen, seine ersten Schritte gehen, erinnere mich an Einschulung und Geburtstage, Urlaubsfahrten und Ausflüge, an Dummheiten und Streiche, vor allem an all das, was unser Familienleben in den 14 Jahren bereichert hat. Vieles davon scheint einerseits erst gestern gewesen zu sein, andererseits ist es aber auch schon sehr lange her. Es sind vor allem die unvergesslichen Augenblicke, die meine und sicher auch die Gedankenvieler anderer Mütter und Väter kreuzen, Momente, die sich tief eingeprägt haben.
Und während das Kopfkino weiterspielt, betreten Mädchen und Jungen, junge Frauen und Männer die Bühne, die alle auf ihre Weise in 14 Lebensjahren Familiengeschichte mitgeschrieben haben.
Eines wird spätestens an diesem Tag klar. Helga Paschke (Partei Die Linke), Vizepräsidentin des Landtages von Sachsen-Anhalt, fasst es als Festrednerin in folgende Worte: "Der Start ins Erwachsenenleben ist wie ein Marathonlauf. Ihr seid die Läufer, eure Eltern und Großeltern stehen an der Strecke." Recht hat sie, denke ich. Bald wird die Zeit kommen, da wird sich auch er nichts mehr sagen lassen. Während mein älterer Sohn mit fast 18 Jahren seine eigenen Wege sucht, auf Abstand geht und die pure Selbständigkeit anstrebt, begibt sich der Jüngere jetzt (noch ganz unbewusst) auf eben diesen Pfad. Wer an der Marathonstrecke steht, kann nur noch wenig für den Läufer tun: anfeuern, kurze Tipps geben, gut zureden. Und eines kann er auf jeden Fall: Halt geben, für ihn da sein und immer Nähe wahren, selbst wenn Tausende Kilometer trennen.
,Kinder gehören uns nicht, wir haben sie nur geliehen\', schießt mir ein Satz durch den Kopf, den ich schon oft gelesen habe. Wir legen in ihrem Leben lediglich nach bestem Wissen und Gewissen den Grundstein für ihr Leben, hoffen, dass sie damit gut gewappnet sind für den Start in ihre eigene Welt.
Ob es die Sängerin Miriam Miesterfeld von Lysander ist, die zur Feierstunde wundervolle Worte für die jungen Menschen findet oder ob es das Lied der Jugendweihe - die Hymne der Jugendweihe von Band, gesungen von der 15-jährigen Hannah Frances Fricke aus Dessau ist - all das in Summe macht die Jugendweihefeier zu einem wertvollen und unvergesslichen Akt.
"Das war eine großartige Veranstaltung", lobt einer der Besucher das einstündige Programm und fügt hinzu: "Wenn ich da an die Feierstunden zu DDR-Zeiten denke, ist das gar nicht mehr miteinander zu vergleichen."
Für meinen Sohn ist die Jugendweihe der Start ins Erwachsenenleben und mir an diesem Tag einmal mehr bewusst: 14 Jahre haben nicht nur mich älter gemacht, sondern auch mein Kind verändert, aus dem Baby einen jungen Mann werden lassen, der nun auf Abstand gehen und eigene Wege beschreiten wird.