Mit 97 verstorben Musiker, Komponist, Vater - Wie Manfred Schlenker Stendal geprägt hat
Der Kirchenmusiker und Komponist Manfred Schlenker hat in seiner fast 20-jährigen Amtszeit in Stendal Spuren hinterlassen. In einer Stadt, die ihm immer am Herzen lag. Im Alter von 97 Jahren ist er verstorben.
Stendal - Wenn Ruth-Barbara Schlenker über ihren Vater spricht, dann mit einem Lächeln. Denn in ihrer Trauer über seinen Tod findet die Christin nicht nur Trost in ihrem Glauben, sondern vor allem in der Freude darüber, was Manfred Schlenker ihr und der Familie, seinen Freunden und Wegbegleitern, was er der Musikwelt hinterlassen hat. Sie findet Trost darin, auch fast 50 Jahre nach dem Wegzug der Familie nach Greifswald noch (Erinnerungs-)Spuren ihres Vaters in Stendal zu finden.
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„Mir begegnen Menschen aus verschiedenen Lebenszusammenhängen, die freundlich vom Wirken des Vaters und der Mutter erzählen. Sie wirkten sehr prägend, haben viele zur Musik und zum Musikstudium gebracht“, gibt Ruth-Barbara Schlenker Begegnungen wieder. Oft höre sie: „Euer Vater hat mir die Musik ans Herz gelegt.“
Chor der Kriegsgefangenen
Ein Weg dorthin waren die Kinder- und Jugendmusicals, die Manfred Schlenker in jedem Jahr zum Sommerfest der Domgemeinde inszeniert hat. „Manches stammte aus seiner eigenen Feder wie das hinreißende alte Andersen-Märchen ‚Die Nachtigall und der Kaiser von China‘. Die inzwischen altgewordenen Kinderchorsängerinnen und -sänger können ihre Rollen heute noch hersagen und singen, wie zum Beispiel Pfarrer Tobias Eichenberg und Pfarrer Matthias Barniske, die kürzlich zu dessen 75. Geburtstag zusammen sangen: ‚Ein Kaiser hat’s nicht leicht, weil alles um ihn schleicht‘“, erzählt Ruth-Barbara Schlenker.
Ihr Vater habe sehr viel für Jugendliche gemacht, das gemeinsame Musizieren war ihm immer eine Herzensangelegenheit. Daran hat er auch in schwierigeren Lebensabschnitten festgehalten, hat darin Halt gefunden. So leitete er als Kriegsgefangener in estnischen Lagern Singgruppen, Chöre und Orchester, inszenierte Singspiele und Operetten. Sein „Morgenchor“ wurde bei einem Treffen mehrerer Tallinner Lagerchöre gemeinsam aufgeführt.
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In seinen fast 20 Jahren in Stendal (1956 bis 1975) hat Manfred Schlenker als Kirchenmusiker und Propsteikirchenmusikwart der Altmark im Dom und anderen Kirchen musiziert. Er hat als Landesobmann des Kirchenchorwerkes der Landeskirche Sachsen-Anhalt rund 1000 Kirchenchöre per Mitteilungs- und Informationsblatt (im Eigenbau-Abzugsverfahren hergestellt) betreut und Singwochen im Nordharz organisiert. Er hat für die Zeitung Rezensionen über das TdA-Musiktheater geschrieben.
Und er hat vor allem sehr viel komponiert. „Wann, kann ich gar nicht sagen, bei fünf Kindern war keine Ruhe im Haus.“ Dennoch habe ihr Vater schon in Stendal „große Werke“ geschaffen. Die Zeit habe er sich einfach genommen, auch im Familienurlaub. Ruth-Barbara Schlenker erinnert sich gern an die Sommertage, als ihr Vater in Ferchesar auf einem Harmonium in der Dorfkirche komponiert hat, während der Rest der Familie ans Wasser ging.
Schatz an Kompositionen
Fast 35 Jahre nach seiner Berentung hat Manfred Schlenker noch komponiert: Lieder, Oratorien, Kanons, Werke für Chor, Orgel, Bläser, Streicher und vieles mehr. Mit Keyboard und Computer fürs Notenschreiben hat er im hohen Alter dafür gern moderne Technik genutzt.
Der Landesmusikdirektor hinterlasse „einen großen Schatz an Kompositionen, der nun weiter gehoben werden darf“, heißt es auf der Trauerkarte zum Tod von Manfred Schlenker. Die Evangelische Landeskirche Mitteldeutschland übernimmt den kompositorischen Nachlass, das Material wird in Magdeburg liegen.
„Sein kompositorisches Werk wartet darauf, aufgeführt zu werden“, ermuntert Ruth-Barbara Schlenker und denkt dabei auch an Stendal. Schon während des diesjährigen Serenadenkonzertes im Dom und bei einem Auftritt von SDLbrassisimo in der Marienkirche waren dieser Tage Stücke in der Bearbeitung von Manfred Schlenker zu hören. Zur Andacht zu Bachs Todestag am 29. Juli um 17.30 in Röxe stehen „Schlenker“ auf dem Programm.
Seine Musik ist sehr beliebt, fünf seiner Lieder stehen im Gesangbuch. „Er war immer ein totaler Praktiker. Komponieren ist ein richtiges Handwerk“, sagt die Tochter und zitiert das Lob eines Musikverlages, dass ihr Vater „bis ins hohe Alter ein so genauer Arbeiter war“.
Sehr viel von Stendal gehalten
Über die Stendaler Zeit, die Menschen und Freunde hier, „haben meine Eltern nur Positives erzählt. Sie haben sehr viel von Stendal gehalten“, sagt Ruth-Barbara Schlenker. In einer von ihm selbst verfassten Kurzbiografie beschreibt ihr Vater die ersten Jahre seiner Dienstzeit in Stendal, die er Ostern 1956 antrat, als „umfangreiche Aufbauarbeit“.
Kriegsschäden mussten beseitigt werden. Er berichtet: „Die erst halbfertige Orgel wurde durch die Firma Schuke/Potsdam vollendet, eine Kleinorgel für den Hohen Chor sowie eine weitere Orgel für den Cordatussaal wurden angeschafft.“ Ein Jugendchor wurde gegründet, der mit dem Bläserchor „nicht nur regelmäßig in Heimen und im Krankenhaus auftrat, sondern auch eigene Konzerte und sommerliche Singfahrten durchführte; es entstanden für ihn Motetten, Kantaten, ein Passionsspiel und anderes.“ Diese Gemeinschaft habe ein Leben lang gehalten, schreibt Schlenker: „Nach der Wende traf sich der ‚Alt-Jugendchor Stendal‘ zwölfmal an verschiedenen Orten der Region zum Singen der gewohnten und neuerer Literatur.“
Im Sommer gab es unter seiner Regie im Dom eine Orgel-Konzertreihe, im Winter im Cordatussaal eine Kammermusikreihe, im Advent das „Weihnachtssingen im Kerzenschein“ mit regionalen Chören in den Stendaler Kirchen. „Der Dom öffnete seine Türen zu mehreren Jazz-Konzerten mit Etta Cameron und Veronika Fischer sowie der Hannes-Zerbe-Band; viele Jugendliche aus der Umgebung folgten der Einladung“, heißt es in Manfred Schlenkers Lebenserinnerungen.
Die nimmt Ruth-Barbara Schlenker immer wieder gern zur Hand. Sie wurde in Stendal geboren, ging 1975 mit der Familie nach Greifswald, wo der Vater Kirchenmusiker der Domgemeinde St. Nikolai und Leiter der Kirchenmusikschule wurde. 30 seiner ehemaligen Schüler, alle ausgebildete Chorleiter, haben bei der Beisetzung gesungen. Am Grab wurde das Lied „Neuer Himmel, neue Erde“ angestimmt, für das Manfred Schlenker 2003 die Melodie komponiert hatte.
Nachdem er 1987 aus gesundheitlichen Gründen Abschied vom Amt nahm, zog er mit seiner Frau 1988 nach Stolpe (Oberhavel) und arbeitete freischaffend als Komponist und Kirchenmusiker. Seit 1999 lebte das Paar in Hohen Neuendorf bei Berlin. In Berlin ist Manfred Schlenker am 5. Juni gestorben, fünf Monate nach seiner Frau Ursula.
Stendal hat immer eine besondere Rolle gespielt
Um näher bei den Eltern zu sein, war Ruth-Barbara Schlenker nach 20 Jahren als Pfarrerin im Weimarer Land auf eine Stelle nahe Oranienburg gewechselt, arbeitete dort sechs Jahre als Pfarrerin. Mittlerweile lebt sie wieder in Stendal – und das kam so: Bei ihrer goldenen Konfirmation 2020 im Dom kam sie mit Pfarrer Markus Schütte ins Gespräch, der gerade ins Amt des Dompfarrers eingeführt worden war. Er hatte vorher eine Pfarrstelle in Velten, sie kannten sich aus der Arbeit im selben Kirchenkreis. Als das Gespräch darauf kam, dass für eine Wohnung im Pfarrhaus in der Hallstraße Mieter gesucht werden, zögerte sie nicht lange. Über ihre schnelle Entscheidung seien die Eltern sehr glücklich gewesen. Denn wie gesagt: Stendal hat in ihrer aller Leben immer eine besondere Rolle gespielt.
Einen besonderen Platz hat Manfred Schlenker auch in den Erinnerungen von Stadtmusikdirektor Michael Hentschel. Der Stendaler schrieb im Kondolenzbrief an die Familie: „Sehr dankbar war ich, als ich nach meinem Dienstantritt in der Musikschule 1971 auch von Manfred Schlenker im Dom an der Orgel und im Chor freundschaftlich und mit offenen Armen aufgenommen wurde. Es war die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, die wir damals in der DDR-Zeit brauchten und bei Ursel und Manfred in der Chorgemeinschaft fanden.“
Über den Kirchenmusiker, den er fünf Jahren erleben durfte, sagt er: „Er war eine präsente Persönlichkeit, eine offene, geistvolle und überaus sympathische.“ Sehr dankbar sei er Manfred Schlenker für die Orgelpartita über ein Thema von Adam Ileborgh, „die er auf meine Bitte zur 550-Jahrfeier der Orgelhandschrift im Jahre 1998 schrieb und bei deren letzter Aufführung vor zwei Jahren er zur Marienandacht dabei war.“
„Ein motivierender Mann“
Darüber, dass sein Vorvorgänger Manfred Schlenker bis zuletzt immer wieder Konzerte und Veranstaltungen im Stendaler Dom besucht hat, freut sich Domkantor Johannes Schymalla. So war Manfred Schlenker im September vorigen Jahres dabei, als das Haydn-Oratorium „Die Schöpfung“ aufgeführt wurde, zum Osterfest in diesem Jahr besuchte er die Kirchenmusik. Johannes Schymalla erinnert sich gern an die „fröhlichen Gespräche“ mit einem „immer freundlichen, sehr motivierenden Mann“. Ein Mann, dessen kompositorisches Schaffen und dessen Name in der kirchenmusikalischen Szene sehr bekannt ist. Darum kündigt Johannes Schymalla gern an: „Es wird immer mal wieder etwas von ihm gesungen.“