Großgarage Parkieren, tanken, waschen
Vor 90 Jahren eröffnete in der Vogelstraße in Stendal eine Großgarage. Sie ist ein interessantes Beispiel für das Neue Bauen.
Stendal l Parkplatzbedarf – was heute ob der individuellen Motorisierung offensichtlich ist, nahm schon Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Lauf. Sind es heute in Stendal (ohne Ortsteile) 19.331 zugelassene Kraftfahrzeuge, waren es im Jahr 1929 gerade einmal 782. Und während also heute immer mal wieder überlegt wird, in Stendal ein Parkhaus zu bauen oder auch nicht, dachte sich in den 20er Jahren eben auch Oskar Löwenthal, dass das keine ganz schlechte Idee sein könnte. Was aus dieser Idee geworden ist, kann man wiederum auch noch heute in Augenschein nehmen: die Großgarage in der Vogelstraße.
Man kann sie schnell übersehen, denn erst bei genauerem Blick in die Einfahrt neben dem Geschäft der Familie Hauptmann offenbart sich ahnungsweise die ganze Dimension dieses einzigartigen Bauwerks. 30 Garagen, die orange-rostroten Tore schräg angeordnet, fügen sich beiderseits einer U-förmigen Binnenstraße aneinander.
Der Stendaler Kaufmann Oskar Löwenthal hatte den Antrag zum Bau der Anlage im Juni 1928 eingereicht. Neben den Garagen waren auch ein Wagenwaschraum, diverse Nebenräume, ein Aufenthaltsraum für Kraftfahrer, „Toiletten für beide Geschlechter“, eine Werkstatt und „drei Zapfstellen für Betriebsstoff“ geplant.
Nicht jeder aber fand die Idee einer Großgarage mitten in der Stadt so großartig. Es gibt Anwohnerbeschwerden: Man befürchtet wegen der geringen Breite der Straße Unglücksfälle, da sich zahlreiche Kinder „wegen der Enge der Wohnungen (...) während der größten Zeit des Tages auf der Straße“ aufhalten, erklären die Unterzeichner am 9. Juni 1928. Zudem könnten zwei Wagen nicht aneinandervorbeifahren, es käme zu Blockierungen. Da die Garage tags und nachts geöffnet ist, befürchte man, dass die Anwohner „durch das Geräusch der laufenden Motore, die unvermeidlichen Hupensignale und anderen Lärm in ihrer Nachtruhe stark beeinträchtigt werden“. Zuletzt wird die Ansicht formuliert: „Garagen lassen sich ohne Schwierigkeiten an einer weniger dicht bewohnten Stelle bauen.“
Auch die Baupolizei hatte zunächst Skrupel, das Vorhaben zu genehmigen. „Wir halten die Unterbringung einer derartig großen Zahl Garagen usw auf dem engen Raum aus Sicherheitsgründen für unzulässig“, steht im Schreiben vom 5. Juli 1928 an das Gewerbeaufsichtsamt.
Trotz aller Vorbehalte und Bedenken: Die Anlage wird schließlich gebaut und 1929 eröffnet, der Entwurf stammt vom Architekten Jacob Büsen, bauausführend ist Oskar Stenzel – beide in Stendal ansässig.
Für uns Heutige ist die Großgarage nicht nur ein Relikt aus Zeiten der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung, sondern auch ein äußerst ansehnliches, interessantes Beispiel für das sogenannte Neue Bauen. Darum wird die Garage übrigens auch eine Rolle spielen in einer Sonderausstellung ab September im Altmärkischen Museum, die die moderne Architektur in Stendal aufgreift.
Und die Anlage wird übrigens auch heute noch ganz ihrem ursprünglichem Zweck gemäß genutzt, nämlich als Auto-Unterstellmöglichkeit. Nur eben ohne Tankstelle, Kundendienst und Fahrer-Aufenthaltsraum. Nach Auskunft der Familie Hauptmann, der das Grundstück seit 1974 gehört, sind derzeit sogar alle Garagen vermietet.
So historisch, so ästhetisch – kann es einen schöneren Stellplatz fürs Automobil geben?