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Ehrenamt und Heimatliebe Tangermünder machen Unmögliches möglich

Viele Menschen um den Tangermünder Volker Schulz sorgen dafür, dass Sankt Stephans Uhr nach „Totalschaden“ wieder flott gemacht wird.

17.12.2024, 09:00
Das reparierte Uhrwerk von St. Stephan in Tangermünde sorgt  wieder für die Zeitanzeige auf der Turmuhr –  sowohl optisch als auch akustisch.
Das reparierte Uhrwerk von St. Stephan in Tangermünde sorgt wieder für die Zeitanzeige auf der Turmuhr – sowohl optisch als auch akustisch. Foto: Volker Schulz

Seit Mitte September zeigte die Uhr der Sankt-Stephanskirche keine Zeit mehr an. Es war immer 12 Uhr. Der Blick ins „Leere“ ist seit wenigen Tagen vorbei. Sankt Stephan weist wieder die Zeit und die Uhr ist nicht nur ables-, sondern auch wieder hörbar. Ein Team aus engagierten Menschen machte es möglich, dass innerhalb so kurzer Zeit ein „Totalschaden“ behoben und das Uhrwerk wieder in Gang gesetzt werden konnte. Volksstimme-Reporterin Anke Hoffmeister fragte bei Volker Schulz nach. Der Tangermünder ist seit Jahrzehnten um das Wohl dieser Uhr bemüht. Er wartet sie, sorgt für die richtige Zeit und die Umstellung auf Sommer- und Winterzeit. Seit wann ist die Uhr wieder in Betrieb?Volker Schulz: Sie lief schon einige Tage zum Testen aller Details im „Leerlauf“, aber die Zeiger und Glocken habe ich erst am 11. Dezember wieder angeschlossen, so dass die Tangermünder die Zeit ab diesem Zeitpunkt wieder ablesen und hören können. Kleinere Feinjustierungen dauern weiterhin an.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Reparatur?Nun ja, das ging schon mal mit dem Runter- und wieder Hochtragen der Teile los. Es sind immerhin 234 Stufen, die mit den schweren Einzelteilen mehrmals gestiegen werden mussten.

Am Weihnachtsmarkt-Wochenende lief der Blick auf die Turmuhr noch ins Leere.
Am Weihnachtsmarkt-Wochenende lief der Blick auf die Turmuhr noch ins Leere.
Foto: Anke Hoffmeister

Die De- und Montage aller Teile ist so bestimmt nicht mehr seit ihrem Bau im Jahr 1941 vorgenommen worden. Alle defekten Teile mussten vermessen, gerichtet, aber auch teilweise neu hergestellt werden. So etwas kann man nirgendwo fertig kaufen. 

Unter anderem haben wir festgestellt, dass die 1941 verwendeten Fräser für die Zahnräder einer anderen Norm entsprachen als heutige Werkzeuge. Dem Internet sei Dank, konnte tatsächlich ein solcher Fräser beschafft werden, so dass die jetzt neu hergestellten Zahnräder perfekt auf den alten Rädern abrollen. Wer hat Ihnen bei der Lösung der technischen und materiellen Aufgaben zur Seite gestanden?Da ist unbedingt die Firma Metallbau Thomas Hoffmann zu nennen – besonders die dort tätigen Mitarbeiter Dreher Uwe Hünemöller aus Stendal, Fräser Uwe Berzow aus Bölsdorf sowie Ingenieur Tilman Witt aus Magdeburg. Paul Rudolph aus Tangermünde half beim Tragen sowie bei der De- und Montage des Werks. Dirk Würsig unterstützte das Projekt ebenfalls, indem er beim Tragen der Teile die vielen Stufen auf- und abstieg.

Wie viele Stunden haben Sie investiert?Das kann ich nicht sagen. Die Uhr stand immerhin etwa ein Vierteljahr, und das hat mich in meiner Freizeit (fast) täglich beschäftigt.Können Sie die Kosten beziffern und wenn ja, wer übernimmt diese?Meine Arbeit sowie die aller anderen Helfer ist ehrenamtlich. Thomas Hoffmann und der Pfarrer Voigtländer werden sich in diesen Tagen treffen. Thomas Hoffmann wird dabei die tatsächlichen Kosten darstellen. So viel darf ich verraten: Thomas Hoffmann ging mit allen Arbeiten finanziell in Vorleistung. Einen Teil seiner Aufwendungen, die parallel zum täglichen Geschäft erbracht wurden, versteht er als Spende für Tangermünde.

Sein Mitarbeiter Tilman Witt hat sich bei mir nochmals mit den Worten gemeldet: „Wir danken noch mal für das entgegengebrachte Vertrauen, dass wir ein derartiges Projekt umsetzen können. Auch die handwerksgerechte Zusammenarbeit mit regelmäßiger Erinnerung seitens deines Projektmanagements hat gut geklappt. So muss man es halt machen, wenn es fertig werden soll.“

Viele Tangermünder haben mich angesprochen, wo und wie man spenden kann. Auch die Stiftersteine werden einen beträchtlichen Beitrag an der Finanzierung stellen. An solchen konkreten Dingen merke ich, dass wir Tangermünder tatsächlich eine sehr besondere Beziehung zu unserer Heimatstadt haben und die prägende Spitze von St. Stephan ohne Uhr überhaupt nicht vorstellbar ist.

Ist die Uhr jetzt so sicher, dass ein solcher Totalausfall die nächsten Jahre/Jahrzehnte nicht mehr vorkommen wird?Das kann ich tatsächlich nicht versichern! Das Zeigerwerk ist nun fast vollständig erneuert worden, das Gleiche gilt für die Getriebekette des Gewichtsaufzugs. Aber: Das Schlagwerk (Viertelstunde und volle Stunde) ist so, wie es 1941 ausgeliefert wurde. Und ein über 80-jähriges Material unterliegt naturgemäß auch Verschleiß- und Ermüdungserscheinungen – diese Erfahrung machen wir als Menschen im Laufe unseres Lebens ja auch. 

Aber auch externe Fehler, wie zum Beispiel das falsche Klemmen von Erdkabeln bei Bauarbeiten, kann die Phasenfolge für den Antrieb ändern, was den Aufzugsmotor für die drei mal 80 Kilogramm schweren Gewichte dann in die falsche Richtung laufen lässt. In so einem Fall würde der Motor dann gegen im Werk verbaute Kipphebel drücken – und bekanntlich reißt in einer Kette dann immer das schwächste Glied. Zudem bedarf ein mechanisches Werk immer regelmäßiger Wartung. Und es ist ja immer auch so: Wenn die Uhr läuft, denkt man gar nicht über die Zeit nach. Wie selbstverständlich richten wir unseren Tagesablauf an der Uhr auf St. Stephan.

Erst wenn sie kaputt ist, merkt man, wie sehr wir uns – selbst in digital geprägten Zeiten – daran gewöhnt haben, dass das alte Werk verlässlich seinen Dienst tut.