Raub-Prozess Täter hinterließ „Visitenkarten“
Um versuchten schweren Raub auf ein Juwelier- und Goldschmiedegeschäft in Havelberg geht es seit gestern vor dem Landgericht in Stendal.
Stendal l Er sieht unscheinbar aus in seinem grau-grünen Kapuzen-Shirt, ist geschätzte 1,80 Meter groß und schmächtig. Und doch soll der junge Mann im Jahr 2015 an mehreren, teils brutal ausgeführten Raubzügen auf Juwelier- und Goldschmiedegeschäfte in Brandenburg und Havelberg beteiligt gewesen sein.
Für zwei Überfälle – einen am 25. Juli 2015 in Brandenburg mit 59.000 Euro Beute und einen am 8. Mai in Havelberg mit etwa 80.000 Euro Beute – ist der 24-Jährige im Vorjahr nach sechsmonatigem Prozess vom Landgericht Potsdam zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Im Dezember hat der Bundesgerichtshof in letzter Instanz die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil verworfen.
Nun geht es um den Überfall am 24. August 2015, den dritten, den der heute 53-jährige Geschäftsinhaber bislang erlebt hat. Als er die Ladung zur Zeugenaussage am Landgericht in Stendal erhielt, wurden ihm die Umstände offenbar wieder allgegenwärtig und stürzten ihn laut behandelndem Arzt in eine schwere psychische Krise. Der von ihm konsultierte Facharzt attestierte ihm unter anderem „Herzrasen, Schweißausbrüche und diffuse Angstzustände“. Er bat darum, auf die mündliche Aussage vor Gericht zu verzichten. Und so wurde seine vor der Polizei noch am Tattag gemachte Aussage verlesen.
Demnach betraten kurz vor 11 Uhr zwei junge Männer von gepflegtem Aussehen sein Geschäft – ein „langer“ und ein etwa kleinerer. Erst hätten sie sich im Laden umgeschaut und ihn dann in gebrochenem Englisch und in einer ihm unbekannten Sprache angesprochen. Plötzlich sei ihm Spray ins Auge gespritzt worden und hatte der „Lange“ eine Schusswaffe in der Hand. Sie drängten ihn in Richtung seiner Werkstatt, schlugen ihn dort nieder und würgten ihn. Er konnte einen Hammer ergreifen und einen der Angreifer damit schlagen, was die beiden offenbar noch weiter zu brutalen Attacken anstachelte.
Er habe laut um Hilfe geschrien. Als ein Helfer dazu kam, „stürmten die Typen aus dem Laden“ – ohne Beute. Der 53-Jährige erlitt ein Hämatom über dem rechten Auge, eine stark blutende Platzwunde am Hinterkopf, Schürfwunden an mehreren Körperteilen sowie Würgemale am Hals und eine Stauchung der Wirbelsäule. Die drei beherzten Männer, 37, 42 und 36 Jahre alt, die nach den Schreien des Opfers sofort zu Hilfe eilten und dabei ihr eigenes Leben in Gefahr brachten, sagten als Zeugen aus.
Während sich einer um das Opfer kümmerte, ein zweiter Polizei und Rettungskräfte alarmierte, lief der dritte hinter den Flüchtenden her – bis „der eine eine Knarre auf mich richtete“, so der 42-Jährige couragierte Sandauer. Er folgte den Tätern trotzdem mit Abstand weiter und sah sie in einen Audi mit Brandenburger Kennzeichen steigen und flüchten.
Die Beweislage scheint erdrückend. Wohl haben die bislang gehörten Zeugen den 24-jährigen Angeklagten offenbar nicht wiedererkannt, der hat aber diverse „Visitenkarten“ in Form von DNA und daktyloskopischen Spuren am Tatort hinterlassen. So sicherte die Kripo den Abdruck seines rechten Mittelfingers an einer zurückgelassenen Papiertüte und fand seine DNA an diversen anderen Gegenständen.
So auch an einer Zigarettenkippe der Sorte Marlboro. Anscheinend haben die Täter zuvor auf dem Marktplatz von Havelberg in unmittelbarer Nähe des Juwelierladens draußen in einem Café gesessen. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit, so heißt es im Gutachten des Landeskriminalamtes, ist die an den Zigarettenresten gesicherte DNA dem Angeklagten zuzurechnen. Die Café-Chefin berichtete als Zeugin, dass sie die beiden Männer kurze Zeit später habe aus dem Juwelierladen rennen sehen. Die 2. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Ulrich Galler hat vier Prozesstage angesetzt. Allem Anschein nach könnte aber schon am zweiten Verhandlungstag, am kommenden Mittwoch, das Urteil gesprochen werden.