Antikenstück wird auf dem Ogema-Gelände gespielt / Interview mit dem Regisseur Wo das Alte und das Neue sich begegnen
Jetzt ist es offiziell: Das Antikenstück des Theaters "Die Besessenen" darf im Sommer auf dem alten Ogema-Gelände aufgeführt werden. Nora Knappe sprach mit Regisseur Oliver Bierschenk über diesen besonderen Ort und die Proben.
Volksstimme: Was war Ihr erster Eindruck von diesem Gelände, warum wollten Sie unbedingt dort spielen?
Oliver Bierschenk: Als wir das erste Mal dieses Gelände besichtigten, war ich sofort fasziniert und hatte den Eindruck, dass hier zwei wichtige Aspekte des Stückes in eine enge Beziehung zueinander treten: das Alte (die Vergangenheit) und das Neue (die Zukunft). Speziell im Fall des Ogema-Geländes bedeutet das eine riesige Industrieruine, die auf Vergangenes verweist, in unmittelbarer Nähe zum Neuen, also den modernen Errungenschaften der Gegenwart. Gerade die gesellschaftliche Dimension des architektonischen Gegensatzes bietet eine besondere Projektionsfläche für "Die Besessenen", in dem ja Dionysos als Vertreter einer alten Naturreligion und Pentheus als Vertreter einer neuen, rationalen Weltordnung aufeinanderstoßen.
Volksstimme: Werden Sie irgendetwas auf dem Areal oder an den Gebäuden verändern?
Bierschenk: Auf dem Areal wird es eine besondere Spielsituation geben, die die Gebäude mit in das Spiel einbezieht. Wenn man schon die Möglichkeit hat, dort so ein Stück zu zeigen, finde ich es spannend, den Ort so zu nutzen, wie er letztendlich auch ist.
Volksstimme: Wie weit sind Sie mit den Proben?
Bierschenk: Zurzeit gibt es Proben mit dem Sprechchor. Da Chorarbeit sehr spannend, aber auch arbeitsintensiv ist, haben wir damit schon eher begonnen. Die Proben mit den Schauspielern beginnen Ende April.
Volksstimme: Wie viele Mitwirkende haben Sie für den Sprechchor inzwischen, gibt es noch weiteren Bedarf?
Bierschenk: Zurzeit gibt es fünfzehn bis zwanzig Mädchen und Frauen aus Stendal in unterschiedlichen Altersstufen, die sehr viel Freude, Energie und Engagement mit zu den Proben bringen. Wenn wir es schaffen, diese Zahl zu halten, ist das für einen Sprechchor eine sehr große Anzahl. Wer noch Interesse hat, sollte sich schnell melden.
Volksstimme: Und was macht die Idee, auch Trommler und Rhythmusinstrumente zu integrieren - lässt sich das realisieren?
Bierschenk: Wir sind dabei, das zu verfolgen, und haben auch schon gezielte Ideen, das umzusetzen. Es soll auf jeden Fall etwas mit der Besonderheit des Ortes zu tun haben. Auch hier gilt: Wer Interesse hat, sollte sich zeitnah melden.
Volksstimme: Worauf freuen Sie sich besonders bei der Inszenierung?
Bierschenk: Ich freue mich darauf zu hinterfragen, was so ein Text, der ja immerhin schon 2400 Jahre alt ist, uns heute immer noch sagen kann. Er kann als eine Art individueller Selbstbefragung gesehen werden. Euripides stellt die Frage, mit welcher Figur wir es denn halten wollen. Da gibt es den zukunftsorientierten Pentheus, der Ordnung in einer chaotischen Welt schaffen will. Sein traditionsbewusster Gegenspieler Dionysos will das Chaos in die gottlose Ordnung bringen, um zum Sinn des Lebens und zur Fülle des Daseins zurückzukehren. Die Rückkehr des Dionysos in seine Heimatstadt Theben lässt zwei Weltmodelle aufeinanderprallen und bildet damit den zentralen Konflikt des Stückes.
Volksstimme: Inwiefern übertragen Sie das ins Heute?
Bierschenk: Die Grundfragen, die Euripides stellt, sind letztlich auch Fragen an unsere Gegenwart: Wie vereinen wir unsere Erfahrungen zu einer personalen Identität? Wie verwandelt der moderne Mensch schuldhafte Verstrickung in Verantwortung gegenüber der Welt? Welche Rolle spielt dabei die Sprache als Ausdruck seelischer Beweglichkeit? Gerade heute, in der öffentlichsten und schnelllebigsten aller Gesellschaften, scheinen wir unsere menschliche Natur und die Sehnsucht nach Transzendenz einer immer größer werdenden rationalen Künstlichkeit zu opfern. Bei der Suche nach dem eigenen Standpunkt können "Die Besessenen" ein Kompass sein.
Premiere von "Die Besessenen" ist am 9. Juni. Weitere Vorstellungen: 10., 15., 17., 22. und 23. Juni sowie 12. Juli