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Wolfgang Ludwicki und Heinz Wegerer vom Winckelmann-Gymnasium im Interview Zwei "Dompteure" gehen in Ruhestand

20.07.2012, 03:15

Heute geht für Wolfgang Ludwicki, Mathelehrer und stellvertretender Schulleiter des Winckelmann-Gymnasiums, und Heinz Wegerer, an selber Schule Chemielehrer, nicht nur ein Schuljahr, sondern auch ihr Berufsleben zu Ende. Sie gehen in den Ruhestand. Hannes Klitzing und Götz Siedler von der Schülerzeitung "Sinnflut" haben mit beiden gesprochen.

Herr Dr. Ludwicki, im Vorfeld des Interviews meinten Sie, Sie und Herr Dr. Wegerer wären sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Können Sie das näher erläutern?

Dr. Wolfgang Ludwicki: Herr Dr. Wegerer ist ein Chemiker, und ich bin ein Mathematiker. Das ist der Hauptunterschied.

Sie sind die beiden einzigen Doktoren an unserer Schule. Deshalb würde uns interessieren, worüber Sie Ihre Doktorarbeiten geschrieben haben.

Dr. Heinz Wegerer: Ich habe in der Botanik promoviert, in der Algologie. Und zwar mit dem Titel "Untersuchungen zum Einsatz der Grünalge Chlorella vulgaris als Bioindikator", um festzustellen, ob Luftverschmutzungen mit Hilfe von Chlorella angezeigt werden können, indem man dann diese Luft der Kultur zuführt und schaut, ob und wie sie darauf reagiert. Das sollte für den Umweltschutz nutzen; wir mussten aber feststellen, dass die Alge nicht so sensibel ist, wie wir uns das vorgestellt hatten. Es gibt andere Organismen, die sensibler reagieren und damit geeigneter sind.

Ludwicki: Das Thema meiner Dissertation war das Behandeln von Begriffen im Mathematikunterricht. Und zwar habe ich eine Auffassung beziehungsweise eine Theorie vertreten, die vertrete ich übrigens heute noch, die das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten fordert - und wie Begriffe im Mathematikunterricht nach dieser Methode unterrichtet werden können; so, dass die Schüler das Wesentliche eines Begriffes verstehen.

Sie haben einige Jahrzehnte als Lehrer gearbeitet. Was waren besondere Erlebnisse? Was hat Sie beeindruckt?

Wegerer: Ich habe heute noch zu Schülern meiner allerersten EOS-Klasse sehr persönliche Beziehungen. Das ist das, was mich am meisten bewegt. Und dass, je länger ich Lehrer war und neue Schüler kennengelernt habe, diese persönlichen Kontakte nicht mehr so intensiv waren.

Ludwicki: Ich bin froh darüber, dass ungefähr 20 meiner Schüler mit Erfolg Mathematik studiert haben und auch einige jetzt Mathematikprofessoren sind. Und dass einige ehemalige Schüler mich dankbar in ihren Diplomarbeiten erwähnt haben. Ein anderes ganz besonderes Erlebnis ist, dass ich als Klassenleiter zur Zeugnisausgabe vor einer Klasse stand und der Hefter, in dem die Zeugnisse eigentlich liegen sollten, leer war. Deshalb bin ich nachmittags losgefahren, um jedem Schüler sein Zeugnis einzeln zu bringen.

Haben Sie in den letzten Jahren eine Veränderung bemerkt, was die Schüler angeht? Haben sich die Schüler im Lernverhalten oder ihrer Grundeinstellung verändert?

Wegerer: Je älter ich geworden bin, desto weniger konnte ich einen persönlichen Zugang zu einem Teil der Schüler finden.

Liegt das an der Zeit oder auch am persönlichen Alter?

Wegerer: Da spielen viele Faktoren eine Rolle, und damals war auch eine andere Zeit. Man hatte das Gefühl, die Schüler waren dankbarer für die Kenntnisse, die man ihnen vermittelt hat. Das ist heute alles etwas oberflächlicher.

Ludwicki: Ich habe folgende Veränderung feststellen können: In den ersten Jahren meiner Lehrerzeit war ein deutliches gemeinsames Interesse zwischen Schülern, Eltern und Lehrern vorhanden, einen guten Schulabschluss zu bekommen und sich viel Bildung anzueignen. Dieses gemeinsame Ziel fehlt mir in den letzten 20 Jahren. Es ist mehr ein Gegeneinander, ich spüre kein gemeinsames Streben mehr.

Wegerer: Da kann ich nur zustimmen. Allerdings ist das nur so ein inneres Gefühl.

Ludwicki: Bei mir ist es nicht nur ein inneres Gefühl; das betrifft Fragen, die heute auf der Tagesordnung stehen, beispielsweise Versetzungsentscheide oder Zensuren, die gerichtlich eingeklagt werden. Das hätte es vor 20 Jahren nicht gegeben. Es wurde eher akzeptiert, und auch die Zensurengebung war etwas anders. Mehr auf Vertrauensbasis.

Was macht am Lehrerberuf Spaß?

Ludwicki: Der Umgang mit jungen Menschen. Oder auch, dass es mir immer wieder gelungen ist, Freude an der Mathematik zu wecken, wenn auch längst nicht bei allen. Bei einigen schafft man es sogar, ein Leuchten in die Augen zu zaubern, wenn man über sein Fach spricht. Das funktioniert meiner Meinung nach aber nur, wenn man von seinem Fach begeistert ist. Ich bin Lehrer geworden, weil ich denke, dass ich gut erklären kann.

Wegerer: Bei mir ist das ähnlich. Zuerst hatte ich allerdings eine andere Richtung eingeschlagen. Ich hatte eine pädagogische Ausbildung gemacht, habe dann promoviert und wollte schließlich in die Wissenschaft. Ich musste aber feststellen, dass das ein sehr hartes Brot ist. Ein Wissenschaftler ist mit Leib und Seele der Wissenschaft versprochen. Da gibt es keinen 24-Stunden-Tag. Deshalb bin ich dann in meinen Beruf zurückgekehrt und hatte immer Freude an der Arbeit mit jungen Menschen.

Ludwicki: Bei mir war es genau umgekehrt. Ich bin von der Wissenschaft gekommen. Ich bin gar kein gelernter Lehrer, sondern Mathematiker. Ich habe also Mathematik studiert, bin Diplom-Mathematiker und habe meinen Abschluss - das ist aber unwesentlich - mit Eins gemacht. Dann habe ich mir überlegt, dass es mir mehr Freude machen würde, in der Bildung zu arbeiten. Deswegen habe ich noch ein dreijähriges Studium drangehängt und bin Lehrer geworden.

Und als Sie klein waren - hatten Sie da vielleicht einen ganz exotischen oder ganz typischen Berufswunsch wie Feuerwehrmann?

Ludwicki: Ich wollte Raubtierdompteur im Zirkus mit Löwen und Tigern werden.

Wegerer (lacht): Das hat ja große Ähnlichkeit mit dem, was wir heute machen... Ich wollte zur See fahren. Handelsmarine nannte sich das. Das war in der 8. Klasse. Und als ich dann mein Abitur in der Tasche hatte, wollte ich Medizin studieren. Jedenfalls irgendetwas Biologisches - und dabei ist es ja auch geblieben.

Gab es in Ihrer Schülerzeit irgendetwas, was Sie gar nicht mochten?

Ludwicki: Ich konnte Russisch beim besten Willen nicht leiden. Das hat sich allerdings beim Studium geändert. Ich mache es sogar immer noch, indem ich regelmäßig eine russische Zeitschrift lese.

Wegerer: Ich mochte Deutsch nicht so unbedingt, weil es zu der Zeit immer richtig dicke Bücher zu lesen gab. Aber auch meine Haltung hat sich dahingehend geändert. Denn ich finde es sehr wichtig, dass man über die Literatur beziehungsweise die deutsche klassische Literatur Bescheid weiß. Damals als Schüler konnte ich mich dafür nicht erwärmen.

Sie verlassen den Schuldienst mit diesem Jahr. Was für Pläne haben Sie für Ihren Ruhestand? Irgendwelche Hobbys, die sie bisher immer zurückstellen mussten?

Wegerer: Ich bin ein Mann der Natur und bleibe ein Mann der Natur. Ich werde verstärkt meinem Hobby nachgehen: der Jagd. Weniger um das Wild zu erlegen, als vielmehr, um mich an der Natur zu erfreuen. Das ist mir viel wert. Ganz in Ruhe zu sitzen und über Gott und die Welt nachzudenken. Und in Haus, Hof und Garten gibt es auch immer was zu tun. So werde ich mich körperlich und geistig fit halten.

Ludwicki: Ich werde weiterhin Mathematik machen. In den unterschiedlichsten Formen. Ich werde auch weiterhin Mathematik unterrichten, höchstwahrscheinlich an der Fachhochschule Magdeburg. Im Aufgabenausschuss der Matheolympiade, in dem ich schon seit Jahrzehnten mitarbeite, werde ich weiterarbeiten und mir noch mehr Aufgaben ausdenken. Außerdem werde ich vielleicht noch mehr trainieren, als ich es ohnehin schon mache. (Anm. d. Red.: Ludwicki ist passionierter Langstreckenläufer)

Möchten Sie den Schülern noch etwas mit auf den Weg geben? Ein Zitat oder eine Lebensweisheit?

Wegerer: Die Schüler lernen fürs Leben. Und wenn man andere Menschen so behandelt, wie man selbst behandelt werden will, wenn man diese Dinge beachtet, hat man schon viel gekonnt.

Ludwicki: Die Leute sollten sich beizeiten überlegen, was sie mit ihrem Abitur anfangen wollen. Eine Zielstrebigkeit, die wünschte ich mir. Es ist ein Unding, dass die meisten unserer Schüler in der 12. Klasse noch nicht wissen, was sie später mal machen wollen.