1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wanzleben
  6. >
  7. Puppendoktor bittet selbst um Hilfe

Spezialsprechstunde Puppendoktor bittet selbst um Hilfe

Puppendoktor Günter Geier gibt am morgigen Sonntag seine letzte Sprechstunde in Wanzleben. Er will seinen Beruf an den Nagel hängen.

Von Sabrina Trieger 27.06.2015, 01:01

Wanzleben l Ausgekugelte Arme und Beine, tiefe Wunden an Kopf und Bauch – mit dieser schweren Diagnose landete gestern die 55 Jahre alte Puppe von Isolde Zekert auf Günter Geiers‘ OP-Tisch. „Die Verletzungen sind schon älter“, erklärt ihm die Dreileberin. Ein Nachbarshund habe sie in den 60er Jahren in ihre Einzelteile zerpflückt. „An ihr hängen viele Erinnerungen. Denn die Puppe war das letzte Weihnachtsgeschenk, das ich von meinen Großeltern bekommen habe. Das war 1960. Ein Jahr später sind beide verstorben. Die Puppe erinnert mich an sie. Deshalb konnte ich mich trotz ihres schlimmen Zustandes nicht von ihr trennen. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Und so habe sie all die Jahre auf dem Dachboden aufbewahrt“, erzählt die 63-Jährige dem 75-jährigen Puppendoktor, der seine Praxis heute sowie am morgigen Sonntag jeweils noch von 9 bis 18 Uhr auf der Wanzleber Burg geöffnet hat.

„Dass wird eine Groß-OP“, weiß Günter Geier nach einer kurzen Visite. „Es wird aber kein Blut fließen“, verspricht der Bayer, der in jede „Heilung“ Herzblut steckt. Denn bei ihm gibt es keinen Puppenfriedhof. „Ich versuche, alles wieder hinzukriegen.“

Nach einer Schneiderlehre und einem neunmonatigen Praktikum bei einem Puppendoktor weiß Geier nach 55 Berufsjahren genau, wovon er redet. „Das Handwerk ist ein künstlerisch anerkannter Beruf“, merkt er an.

Patienten hat er in all der Zeit in ganz Deutschland und Österreich versorgt. „Früher hatte jede Stadt einen Puppendoktor, doch die sind selten geworden.“ Einen festen Kollegenstamm habe er nicht.

Doch dass die Nachfrage auch heutzutage nach wie vor groß ist, bewiesen gestern die Bördebewohner. Auch Antje Drößler aus Hadmersleben fand mit „Ulla“ den Weg in die Ambulanz. „Die Puppe ist knapp 50 Jahre alt und hat den Brand am 1. August 2014 im Haus meiner Schwester überstanden. Jedoch nicht ohne Verletzungen an Händen und Augen. Beim Entkernen des Hauses habe ich sie gefunden und an mich genommen. Gern würde ich meiner Schwester ihre genesene Puppe als Überraschung zu ihrem 51. Geburtstag überreichen wollen“, erzählt die 40-Jährige im „Wartezimmer“.

Für den Puppen-Notarzt steht der Behandlungsplan schnell fest. „,Ulla‘ bekommt neue Hände und muss ein wenig nachgestopft werden. Zudem ist ihre Stimme kaputt. Bis Sonntag ist sie aber wieder auf den Beinen.“

Geier repariert seine Patienten aus Plastik, Porzellan oder Plüsch nach und nach. Die Besitzer erhalten einen Nummernzettel und können ihr Spielzeug entweder schon nach wenigen Stunden oder am nächsten Tag wieder abholen.

Für die Operationen und Transplantationen hat der Bamberger übrigens mehr als 15?000 Einzelteile – von Teddy- und Puppenaugen, über Köpfe, Perücken, Arme und Beine – in seinem OP-Koffer dabei. „Wenn irgendwo Puppenkliniken geschlossen wurden oder andere Puppendoktoren ihre Praxen aufgelöst haben, habe ich immer die Ersatzteile aufgekauft“, erzählt der 75-Jährige. Auch Puppenkleider, die seine Frau in liebevoller Handarbeit fertigt, hat er im Gepäck.

Seit 55 Jahren tourt der Senior so quer durch die Lande, um Puppen und Teddybären neues Leben einzuhauchen. Mit seinem Seat Alhambra hat es der Bayer allein nur in den vergangenen acht Jahren auf stolze 368?000 Kilometer gebracht. Doch mit seinem Besuch in Wanzleben läutet er jetzt langsam, aber sicher seinen Ruhestand ein.

Nur noch zwei Visiten stehen in seinem „Notarzt“-Terminkalender. Die erste wird ihn ins schöne Vogtland führen, die letzte OP hat er dann in Kirchheim (Hessen).

Seinen Traumberuf hängt Geier an den Nagel, weil er mehr Zeit für seine Frau haben möchte. „Mit mittlerweile sieben Herzkathetern ist das Risiko, weiter allein durch die Republik zu reisen, einfach zu groß“, gesteht der Senior, der erst gestern Vormittag über starke Schmerzen im rechten Arm klagte, die 112 wählte und den Notarzt kommen ließ. Einem Krankenhausaufenthalt entging der Herzpatient nur knapp, weil der Notarzt Entwarnung geben konnte.

Groß hingegen ist seine Sorge, dass der Beruf des Puppendoktors aussterben könnte.

„Deshalb suche ich noch einen Nachfolger. Dem Abschied sehe ich deshalb mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen.“

Wer Interesse hat, könne sich jederzeit beim Puppendoktor melden. Nach einem Praktikum könnte der Nachfolger direkt loslegen. „Der Bedarf ist da, und es ist eine tolle Aufgabe“, versichert Geier, der mit fünf Schwestern aufgewachsen ist. Und weil sie immer mit seiner Eisenbahn gespielt hätten, habe er sich irgendwann mit ihren Puppen beschäftigt. Doch bevor sich Günter Geier aus der Börde endgültig verabschiedet, bittet er noch ein letztes Mal zu seinen Sprechzeiten auf die Burg Wanzleben.