Windmühle Das Dorf hat wieder ein Gesicht
Die Windmühle am Rande von Klein Germersleben hat wieder Flügel. Besitzer René Gehre hat sich dafür eingesetzt.
Klein Germersleben l „Das Dorf hat wieder ein Gesicht“, freut sich René Gehre am Rande von Klein Germersleben. Dort bläst der Wind vom Acker her viele Tage im Jahr mit einer kräftigen Briese. Dass war auch der Grund für die Altvorderen, an diesem Standort eine Windmühle aufzustellen. Gehre ist nicht nur Ortsbürgermeister von Bottmersdorf/Klein Germersleben. Er ist seit nicht allzu langer Zeit auch Besitzer der Platrockwindmühle. Und diese Windmühle am Rande von Klein Germersleben, die die Ansicht des Dorfes neben der Kirche St. Aegidie nachhaltig prägt, hat nunmehr neue Flügel bekommen.
Der Mühle neue Flügel zu verpassen, war alles andere als einfach. Der Kraftakt begann bereits, als sich der schwere Spezialkran bei der Anfahrt zur Mühle an einer kleinen, rutschigen Anhöhe festfuhr und drohte, auf die Wiese nebenan zu rutschen. Im Dorf hilft man sich. René Gehre alarmierte per Telefon den Bottmersdorfer Landwirt Werner Arndt, der mit einem Traktor anrückte. Arndt und der Traktor schafften es, den Kran wieder flottzumachen und bis vor die Windmühle zu bugsieren. Die Aktion war gerettet. Der Anbau der vier Flügel konnte starten.
Der Fahrer brachte seinen Kran in eine standsichere Position und begann damit, die tonnenschweren Flügel in die Höhe zu hieven. Ein kleiner Luftzug reichte bereits aus, sie in unerwünschte Bewegungen zu versetzen. Starke Männer, Freunde von Gehre aus dem Dorf, packten an Seilen an, um die Flügel vor Bewegungen zu sichern. Langsam schwebten die mehr als neun Meter langen Bauteile aus Holz in die Höhe, um schließlich am Flügelkreuz mit Zahnkranz befestigt zu werden. Der Vorgang wiederholte sich noch drei Mal, bis alle vier Flügel sicher mit massiven Bolzen aus Eisen an der Mühle festmontiert waren. Aufatmen bei René Gehre und seinen Helfern. Die Klein Germersleber Platrockwindmühle war wieder komplett.
Wie René Gehre gegenüber der Volksstimme berichtete, sind die Flügel seiner Windmühle drehfähig. Jetzt im Herbst und den bevor stehenden Stürmen habe er sie jedoch mit einer Bremse gesichert. Auch seien die Jalousien der Flügel so gestellt, dass sie den Wind ungehindert hindurch wehen lassen.
„Das sind alles Vorkehrungen, damit sich das Unglück aus dem Januar 2018 nicht wiederholt“, erklärte René Gehre. Damals zog der Orkan „Friederike“ vom Brocken her über die flache Börde in Richtung Klein Germersleben und hatte die Flügel der Platrockwindmühle in Bewegung gesetzt. Wie der damalige Mühlenbesitzer Siegfried Graumann aus Magdeburg den Hergang des Unglücks rekonstruierte, drehte der Sturm die Flügel der Mühle in die entgegen gesetzte Richtung des sonst üblichen Laufkurses. Dadurch habe sich die Bremse des Flügelrades gelöst. „Die zehn mal zehn Zentimeter starken Kanthölzer brachen weg wie Brennholz“, sagte Graumann damals. Der Sturm habe die Flügel der Windmühle mit hoher Drehzahl rückwärts gedreht. Schließlich seien die Kräfte zu groß gewesen, so dass das Flügelkreuz aus Metall und Grauguss aus mehreren Metern Höhe in den Garten vor der Windmühle krachte. Das zehn Tonnen schwere Bauteil bohrte sich fast einen Meter tief in die Erde.
Die Windmühle wieder mit den vier Flügeln zu versehen, war René Gehre nur durch eine finanzielle Förderung aus dem Leader-Programm der Europäischen Union zur Stärkung des ländlichen Raums möglich, die über das Amt für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten abgewickelt wurde.
Von den etwa 50 000 Euro Gesamtkosten stammten 45 Prozent aus diesem Fördertopf. Neben den Flügeln bezog sich die Förderung ebenso auf die Neueindeckung des Dachs und der Seitenbeplankung. Aus eigener Tasche bezahlte Gehre die Windrose, die früher die Mühle selbstständig in den Wind drehte. Und da die Rüstung einmal an der Mühle stand, erneuerten er und seine Helfer noch die kleinen Fenster und ölten die zum Dorf gewandte Holzseite der Mühle frisch ein.
Gehre hat bei seinem Projekt Windmühle Klein Germersleben darauf verzichtet, die vor der Zerstörung durch den Sturm angebauten „Bilauschen Ventikanten“ wieder herzustellen. Dabei handelt es sich um ein Flügelkreuz als Stahlkonstruktion mit stromlinienförmiger Ummantelung, den Ventikanten, mit zugehörigen Drehhecks. Diese einzigartigen Flügel würden die Kraft des Windes besonders effektiv für den Mahlvorgang in der Mühle nutzen. Sie bergen aber auch eine Gefahr. Bei starkem Wind geraten sie schnell außer Kontrolle und können wie im Fall der Klein Germersleber Windmühle zu einer Zerstörung führen. „Für die Bilauschen Flügel findet man auch keine Versicherung“, sagte Gehre. Deshalb und wegen der geringeren Zerstörungsgefahr habe er sich dazu entschlossen, nunmehr sogenannte Jalousienflügel anzubauen, wie sie die Windmühle bereits im Jahr 1948 gehabt habe. Die Jalousien lassen sich je nach Windstärke bewegen und regeln damit den Luftstrom, der auf die Mühle einwirkt. Die Platrockwindmühle Klein Germersleben im Feldweg 10c wurde 1949 aus einer Bockwindmühle erbaut.
Zu Beginn dieses Jahres hatte René Gehre erfahren, dass die Magdeburger Siegfried und Erika Graumann die Platrockwindmühle in Klein Germersleben verkaufen wollten. Das Ehepaar bewahrte das unter Denkmalschutz stehende Baudenkmal Jahre lang vor dem Verfall und nutzte es als Sommerwohnsitz, bis der Erhalt ihre Kräfte überstieg. Gehre wollte, dass die Windmühle in Klein Germersleben für die Dorfgemeinschaft erhalten bleibt und nicht in falsche Hände gerate. Kurz und schmerzlos habe sich Gehre nach zwei Tagen Bedenkzeit und einer Beratung mit seiner Familie dafür entschieden, das Technikdenkmal mit dem dazu gehörenden 2500 Quadratmeter großen Grundstück zu erwerben.
„Zum Mühlentag am Pfingstmontag des kommenden Jahres möchte ich die Mühle öffnen und ein Fest veranstalten. Wenn es bis dahin die Corona-Lage zulässt“, kündigte René Gehre an. Dann sollen sich auch die neuen Flügel im Wind drehen. Bis dahin warte auf den Hobby-Müller noch eine Menge Arbeit. Nach der Neuinstallation der Flügel sei es unter anderem sein Ziel, die Antriebe im Inneren der Mühle wieder funktionsfähig zu machen.
„Ich möchte auch meinen Dank an die Freunde und Mitglieder des Heimatvereins, die in ihrer Freizeit bei den vielen Nebenarbeiten und Vorbereitungen unentgeltlich geholfen haben, richten“, sagte Gehre. Sein Dank gelte ebenso die beteiligten Firmen für ihre gute und sachgerechte Arbeit bei der Wiederauferstehung des Technikdenkmals.